Literatur, Roman

Statt Puntigam die weite Welt

Wolf Haas hat nach fünfjähriger Pause mit »Brennerova« endlich wieder einen neuen Brenner-Roman vorgelegt. In diesem Kriminalmärchen zur Globalisierung verschlägt es den kauzigen Privatermittler bis nach Russland und die Mongolei. Ein Kult erhält eine wohlverdiente und gelungene Fortsetzung.

»Jetzt ist schon wieder was passiert!« Mit diesem Satz begannen fast alle Brenner-Romane des österreichischen Autors Wolf Haas. Aber »ob du es glaubst oder nicht«, mit Brennerova erscheint nun schon der dritte Roman hintereinander, der auf die magische Formel verzichtet. Der literarischen Qualität von Haas’ Büchern tut das keinen Abbruch, sie gehören einfach zu dem Besten, was man im deutschen Sprachraum lesen kann. Nicht umsonst gewann er mit drei von sechs Brenner-Abenteuern den Deutschen Krimi-Preis.

Umso größer war der Schreck, als Haas in seinem achten Roman Das Wetter vor 15 Jahren sein fiktives Alter Ego ankündigen ließ, dass er keine Krimis mehr schreiben würde, zumal am Ende des vorangegangenen Brenner-Falls Das ewige Leben der geschwätzige Erzähler durchlöchert am Boden lag. Ein Jahr später erschien mit Der Brenner und der liebe Gott dann doch ein neuer Krimi, groß war die Erleichterung. Viele Leser hatten befürchtet, Haas würde den sympathischen Privatermittler aus dem Puntigam – »Lustig sammer, Puntigamer« – aus seinem weiteren Schaffen verbannen. So ist es nicht gekommen, doch vor dem achten Brenner-Buch hatte Haas mit Verteidigung der Missionarsstellung noch einen zauberhaften Liebesroman geschrieben, der vor allem aufgrund seines spielerischen Textsatzes beeindruckte.

Nun also Brennerova, ein Roman, der neue Maßstäbe im Universum des Privatermittlers setzt. Nicht nur, weil der ewige Junggeselle hier tatsächlich in mehrfacher Hinsicht auf die Abwege der Liebelei gerät, sondern auch, weil er so tief wie bislang nie fällt. Und das schon ziemlich am Anfang. Da erwischt ihn ein Zehnjähriger auf dem falschen Fuß und schlägt ihn nicht nur bewusstlos, sondern raubt ihn mit seiner Bande dann auch noch bis aufs letzte Hemd aus. Das wäre alles nicht so dramatisch, wenn sich Simon Brenner zum Zeitpunkt des Überfalls in Wien befinden würde. Doch statt in einer Klinik in Wien kommt er in einem russischen Schlafwagen wieder zu sich, auf dem Weg in die Tiefste Provinz. Dort trifft er auf Nadeshda, die er in einem Internetportal kennengelernt hat. Doch statt ihm schöne Augen zu machen, hat sie ganz andere Interessen. Sie sucht ihre Schwester, deren Spur sich in Österreich verliert, und bittet Brenner, ihr zu helfen.

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Wolf Haas: Brennerova. Verlag Hoffmann & Campe 2014. 240 Seiten. 20,- Euro. Hier bestellen

Also muss Brenner zurück, Nadeshda im Schlepptau, während in der heimischen Küche schon die verloren geglaubte Herta wartet, mit der der Detektiv gerade erst wieder angebandelt hat. Doch statt eifersüchtig zu werden, öffnet diese ihr Herz für die bildschöne Russin und ihre »noch bildschönere Schwester«. Sie schickt Brenner ins Wiener Rotlicht- und Escort-Milieu, wo einiges im Argen liegt. Dem Chef des Zuhälterrings namens WU TAN-Clan Lupescu wurde ein falsches Motiv auf den Rücken tätowiert und alle Welt hat davon erfahren. In der Internetrevue Untergrunt konnte alle Welt davon lesen. Das lässt »der Lupescu« nicht auf sich sitzen. Schnell gibt es einen Toten, mehrere Personen, denen die Gliedmaßen abhanden kommen, sowie ein team überforderter Ärzte. Und auch für Simon Brenner wird die Situation bedrohlich.

Das Schöne an Wolf-Haas-Romanen liegt an der Verlässlichkeit des wiederkehrenden Idiolekts seiner Helden, eine abgehackte Versatzsprache aus Hochdeutsch und Österreichisch. Jedes vermeintliche Sprach-Malheur ist dabei wohlgesetzt, denn Haas birgt in den Lücken zwischen den Dialekten und Soziolekten, zwischen Semantik und Etymologie die Komik seiner auf der Handlungsebene oft hanebüchenen Erzählungen.

Der Österreicher legt nicht allzu viel Wert darauf, dass seine Geschichten realistisch sind. Vielmehr versucht er immer wieder, »aus der Kontrolliertheit herauszufinden«, wie er es in einem Interview mit der FAZ einmal formulierte. Seine wilde Brenner-Sprache entstehe im puren Rausch des von der Selbstkontrolle befreiten Schreibens, erklärte er da. Dieser Rausch treibt seine Helden von der ersten bis zur letzten Seite der Erzählung durch die Seiten.

Dazu kommt der Umstand, dass sein Erzähler nicht wirklich erzählt, sondern sich gemeinsam mit dem Leser die Geschichte erst erschließt. Immer wieder wird der Leser direkt angesprochen und in die Handlung hineingezogen, als wäre er der Assistent von Ermittlungspapst Dr. Simon Brenner. Dies ist ein stilistisch-erzählerischer Winkelzug von dringender Notwendigkeit, denn trotz seiner fast 60 Lenze scheint sich Simon Brenner keineswegs so etwas wie Altersweisheit anzueignen.

Besonders einprägsam wird dieses Wiener Hochdeutsch, wenn Haas seine Geschichten selbst liest. Wer dies einmal erlebt hat, wird immer seine Stimme beim Lesen im Ohr haben. Umso konsequenter, dass er die Hörbücher seiner Romane selbst einliest. Das Hörbuch seines neuen Romans wurde gerade mit dem Deutschen Hörbuchpreis in der Kategorie Beste Unterhaltung ausgezeichnet. Wolf Haas lasse »mit unverwechselbarer Stimme die Skurrilitäten und aberwitzigen Geschichten des Wiener Rotlichtmilieus lebendig werden. Bizarre Amüsements von großer Kurzweil«, begründete die Jury. Mit verrätselten Worten wie »Nichts sei sicher – nicht einmal das« treibe Detektiv Simon Brenner »auf die Spitze, was das Leben ihm an Einsichten über den absurden Lauf aller Dinge nahezulegen scheint«, heißt es weiter. Beliebt sind auch die Verfilmungen der Brenner-Romane mit Josef Hader in der Hauptrolle des Simon Brenner. Mit Das ewige Leben wird im März der vierte Brenner-Film in die deutschen Kinos kommen.

Mit zunehmendem Alter wirkt der kauzige Detektiv immer wieder mal heillos überfordert. In Brennerova bekommt er es darüber hinaus nicht nur mit der Wiener Unterwelt zu tun, sondern auch noch mit der russischen Kindermafia und einigen mongolischen Kidnappern. Die weite Welt bricht über ihm zusammen. Was Brenner schließlich zu dem Gedanken bringt, dass er vielleicht »langsam zu alt wird für diesen Job.« Bleibt zu hoffen, dass dieser Gedanke genauso schnell wieder verfliegt, wie er gekommen ist.