Durch das Entblößen menschlicher Schwächen und Geneigtheiten führt der Brite Michael Frayn vor, wie weit man mit Posieren und Imitieren, Krakeelen und Polemisieren, Verklausulieren und Paraphrasieren, Vorführen und Aufführen in der Welt der vorgeblich Interessierten kommen kann.
Als Dr. Norman Wilfred seinen Koffer nicht auf dem Laufband des kleinen Regionalflughafens auf Skios findet, ist das für ihn zunächst nichts Ungewöhnliches. Der Experte für Szientometrie, also der Erforschung der Wissenschaftlichkeit von Forschung (was wäre angesichts der europäischen Finanzkrise, die in Griechenland ihr Epizentrum hat, sinnvoller, als den Finanzpopulismus von seriöser Wirtschaftswissenschaft abzulösen), ist ein Globetrotter im Namen des wissenschaftlichen Ideentransfers, der »sein halbes Leben im Flugzeug« verbringt. Diese Lebensweise als Jetsetter bringt es mit sich, dass das Gepäck schon mal in Murmansk oder Manchester im Fundus steht, während sein Besitzer in Minneapolis oder Minsk ohne frisches Hemd auskommen muss. Auf Skios soll er den Jahresvortrag bei der Fred Toppler Stiftung zum Thema »Innovation und Governance – Das Versprechen der Szientometrie« halten – wovon er grundsätzlich weiß, aber zugleich auch wieder nicht. Denn alle Unterlagen sind in dem Koffer, der verschwunden ist. Und wohin er soll, weiß er auch nicht mehr. »Es war irgendein Zentrum. Oder irgendein Institut. Irgendein Irgendwas. Irgendein Irgendwas für das Irgendwas von Irgendwas. […] Er wusste genau, wie der Ort hieß, oder hatte es gewusst, bis diese Chose hier angefangen hatte.«
An »dieser Chose« schuld ist Oliver Fox, »ein zerknitterter junger Mann mit zerzaustem, ungewöhnlich blassblondem Haar«, der nach Skios geflogen ist, um mit einer Einmalbekanntschaft eine Woche in einer gemieteten Villa zu verbringen. Spontan entscheidet er sich gegen die Aussicht auf ein frivoles Miteinander, greift zu einem falschen Koffer und im Foyer, in einer Mischung aus dreister Absicht auf ein paar kostenlose Hotelübernachtungen und dem Jagdinstinkt des Casanovas, charmant lächelnd auf eine junge, äußerst attraktive Fahrerin zurück, um sich von dieser ins Hotel fahren zu lassen. Das Setting für Frayns die Identitäten durcheinanderwirbelnde Farce Willkommen auf Skios ist gesetzt.
Als offenherziger Filou wickelt Oliver in der Rolle des renommierten Wissenschaftlers nicht nur Nikki, die bildschöne Assistentin von Mrs. Fred Toppler, um den Finger, sondern auch sämtliche der geladenen Gäste inklusive des Stiftungspersonals. Wenn ihm interessierte Gäste der Stiftung konkrete Fragen zum Thema stellen, dann überspielt er seine Sprachlosigkeit klug mit Aussagen wie »Ich denke darüber nach, wie ich es auf eine nichttechnische Art erklären kann, so dass es alle verstehen. Ich eingeschlossen.« Dieser kleine Nachsatz macht deutlich, dass er niemanden wirklich betrügen zu wollen scheint. Aber das einmal begonnene Spiel will er – zumal es alle Beteiligten aus verschiedenen halbseidenen Gründen mitspielen – aufgrund der damit verbundenen Annehmlichkeiten nicht abbrechen. Brenzlig wird es erst, als ein gewisser Wellesley Luft auftaucht, ein alter Freund von Dr. Norman Wilfred.
Dieser lernt unterdessen die Vorzüge eines Lebens in der Anonymität kennen, ganz davon abgesehen, dass er Georgia, mit der Oliver ursprünglich ein paar verheißungsvolle Tage unter der ägäischen Sonne verbringen wollte und in deren Wochenendhaus er sich inzwischen niedergelassen hat, nach einigen Anlaufproblemen durchaus reizend findet. Für Unfrieden sorgt allein Annuka Vos, die Freundin von Oliver, die nach Griechenland kommt, weil ihr der am Flughafen zurückgebliebene Koffer nachgeschickt wurde. Das geplante tête à tête ihres Freundes amüsiert sie natürlich keineswegs.
Leser, die durchstrukturierte und stets logische Geschichten mögen, werden Frayns Roman schnell weglegen, denn es sind nicht wenig vermeintliche Unmöglichkeiten, die sich hier aneinanderreihen. Wer sich allerdings erst einmal darauf einlässt, dass die erste Täuschung weitere nach sich ziehen muss, der wird bei diesem ver-bluff-enden Roman von einem Vergnügen zum nächsten gelangen. Durch das Entblößen menschlicher Schwächen und Geneigtheiten führt der Engländer vor, wie weit man mit Posieren und Imitieren, Krakeelen und Polemisieren, Verklausulieren und Paraphrasieren, Vorführen und Aufführen in der Welt der vorgeblich Interessierten kommen kann. Die Intrigen und Spielereien in Politik und Wirtschaft hatte er bereits in seinem Willy-Brandt-Roman Demokratie vorgeführt. In seiner Verwechslungskomödie Willkommen auf Skios treibt er dies ironisch auf die Spitze.
[…] und Aischylos emporsteigt, bis hin zu dem kongenial in Szene gesetzten Roman Demokratie von Michael Frayn – in Matinee- und Abendveranstaltungen, bei denen das Schauspiel der Diskussion aktueller […]