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»Es muss nicht die Wahrheit sein«

Neben dem Comiczeichner Reinhard Kleist steckt auch zitty-Redakteur Lutz Göllner hinter der erfolgreichen Comicserie »Berliner Mythen«. Wir sprachen mit ihm über Berliner Legenden und wie man ihnen nachgeht.

Lutz, wie findet man »Berliner Mythen«?

Die musste ich nicht finden. Ich bin hier geboren und aufgewachsen, ich kenne nun mal viele Geschichten über und aus dieser Stadt.

Wie viel Wahrheit steckt in den Mythen oder muss man sie am Ende als Berliner Märchen bezeichnen?

Kennst Du The Man Who Shot Liberty Valance? Da sagt doch ein Journalist den schönen Satz »Wenn die Legende zur Wahrheit wird, druck die Legende.« Das war die Idee hinter den Mythen: Es muss nicht die Wahrheit sein. Den Begriff Märchen finde ich zu abwertend…

Wie viele Geschichten hattest Du zu Beginn Deiner Recherche?

Anfangs hatte ich zehn oder zwölf Geschichten, denen Reinhard Kleist dann nachgegangen ist. Dann hat er eigene Ideen gehabt, wie die Geschichten zu David Bowie und den KaDeWe-Räubern. Dann kam die Geschichte einer Tagesspiegel-Kollegin dazu, die ich faszinierend fand. Und mit der Zeit fielen mir viele neue Ideen ein. Ich hätte das ewig weiter machen können.

Gab es Mythen, auf die ihr verzichten musstet oder die sich beim Zeichnen als Enttäuschung entpuppten?

Nicht im Sinne von Zensur. Aber Berlin ist eine ziemlich geschichtsvergessene Stadt, übrigens schon immer gewesen, und es gibt ganze Perioden, über die auch ich sehr wenig weiß. Ich wäre gerne mehr durch die Jahrhunderte gesegelt, aber da hätte ich mehr recherchieren müssen. So spielen die meisten Geschichten in den letzten 200 Jahren. Ziemliche Schwierigkeiten hatten wir mit der Geschichte um den Flughafenhund, die ich eigentlich sehr mag. Ich wollte ihr unbedingt so ein The Right Stuff-Feeling geben, das passte aber gar nicht. Reinhard wollte unbedingt die Familie des Taxifahrers zeigen, das fand ich wiederum nicht so spannend.

Bist Du Geschichten begegnet, bei denen Du selbst kaum glauben konntest, dass sich so etwas hält?

Es gibt da diese Geschichte über den Verbindungsgang zwischen Tempelhofs Burg und Kloster, die davon handelt, dass sich die religiösen Mönche mit den ganz weltlichen Burgfräuleins treffen. Naja… Und Kinderskeletten, die man da… Aber wie gesagt, kaum zu glauben. Ein anderer, aber dokumentierter Favorit wären die Sexpartys im Jagdschloss Grunewald und die daraus resultierende Erpressung gewesen. Oder die Rucksackatombomben unter dem Flugfeld Tempelhof. Oder die Eröffnung der Hundebrücke vor dem Schloss.

BerlinerMythen-1

Welche Funktion hat Taxifahrer Ozan über seine Erzählerrolle hinaus? Bei seinem Allwissen vermutet man eine kleine Hommage an die zahlreichen studierten Taxifahrer in Berlin.

Naja, wir brauchten eben jemanden, der die Geschichten verbindet. Ich hatte die Idee eines Zeitreisenden, aber Reinhards Taxifahrer ist dann doch besser gewesen. Davon aber mal abgesehen stimmt es schon, dass viele Berliner Taxifahrer verhinderte Intellektuelle sind.

Zugleich tappt er als Migrant in verschiedene Sprachfallen. Bsonders amüsant ist es, wenn er geflügelte Worte durcheinanderbringt und vom »falschen Holzweg« spricht oder davon, das etwas »wie die Faust auf den Eimer« passt.

Wir fanden das einfach lustig.

Wie war die Arbeitsteilung zwischen Reinhard und Dir? Eine klassische Autor-Zeichner-Beziehung?

Um Gottes Willen: NEIN!!!!! 85 Prozent sind auf Reinhards Mist gewachsen, zehn Prozent kamen von Michael Groenewald und der mickrige Rest – die Idee, einige Geschichten – ist von mir.

Berliner Mythen
Reinhard Kleist: Berliner Mythen. Carlsen Verlag 2016. 96 Seiten. 14,99 Euro. Hier bestellen

Wie viele Details der Geschichten hast Du geliefert?

Bei den ersten Geschichten haben wir viel recherchiert, bis hin zum Unterschied der Polizeiuniformen in Ost und West. Manchmal bin ich rumgefahren und habe Fotos vom Ist-Zustand gemacht, in anderen Fällen habe ich Fotos aus alten Büchern gefunden. Aber irgendwann hat Reinhard dann alles alleine übernommen.

In Deinem Vorwort schreibst Du von großer Presseresonanz. Welche Resonanz ist Dir am meisten in Erinnerung geblieben oder hat Dich am meisten überrascht?

Die zur Geschichte der KaDeWe-Räuber! Weil ich die Kerle durch einen Zufall kenne. Ich hätte nie gedacht, dass die Geschichte so abgeht, mit Berichten in der B.Z., Tagesspiegel, Morgenpost, U-Bahn-TV usw. Da lief die Serie immerhin schon anderthalb Jahre.

Lutz, vielen Dank für das Gespräch.

Hier geht es zum Interview mit Reinhard Kleist