Film

Der innere Krieg

So wie es kein richtiges Leben im falschen gibt, scheint es keine Menschlichkeit in der Zivilisationslosigkeit des Krieges zu geben. Tobias Lindholm erzählt in seinem Film »A War« eindrucksvoll von einem Mann, der auf einem schmalen Grat wandelt.

Was für einen Krieg hat die sogenannte »internationale Gemeinschaft«, die es an nahezu jedem Krisenherd an Gemeinschaftsgedanken fehlen lässt, am Hindukusch geführt? Wurden dort tatsächlich die ebenfalls so genannten »westlichen Werte«, wurden Freiheit, Demokratie und Menschenrechte verteidigt? Oder war dieser Krieg nicht vielmehr ein Grab, in dem diese Werte versenkt wurden? Es gibt keine einfache Antwort auf diese Fragen, der dänische Regisseur und Drehbuchautor Tobias Lindholm stellt sie umso eindringlicher.

In seinem für den Oscar als bester fremdsprachiger Film nominierten Film A War erzählt er vom ISAF-Einsatz einer dänischen Einheit in Afghanistan, die den Wiederaufbau des Landes mit sichern soll. Bei einer Patrouille stirbt ein junger Soldat, nachdem er auf eine Mine getreten ist. Befehlshaber Claus Pedersen (Games of Thrones-Star Pilou Asbæk) muss alle Überzeugungskräfte aufwenden, um die Moral in seiner Truppe aufrecht zu erhalten. Er beschließt, selbst mit auf Patrouille zu gehen. Zwar riskiert der dreifache Familienvater dabei sein Leben, aber er wird seiner Vorbildrolle gerecht.

Tobias Lindholm: A War. Studiocanal. Mit: Pilou Asbæk, Tuva Novotny, Dar Salim. 115 Minuten. FSK: 12 Jahre

Pedersen ist das Paradebeispiel eines guten Soldaten, der die Verantwortung für seine Einheit wahrnimmt und zugleich seine Menschlichkeit gegenüber den Afghanen wahrt. Umso schwerer fällt es ihm, als er eine Familie abweisen muss, die im Militärstützpunkt Schutz sucht. Am folgenden Tag findet seine Einheit die Familie ermordet in ihrem Haus auf. Bei dem Ausgang gerät Pedersens Einheit in einen Hinterhalt. Als einer seiner Soldaten lebensgefährlich verletzt wird, trifft er eine fatale Entscheidung. Er wird vom Einsatz abgezogen und muss sich in seiner Heimat vor dem Militärgericht wegen des Todes von elf Zivilisten verantworten. Er steht vor dem Dilemma, ehrlich zu bleiben und ins Gefängnis zu gehen oder zum rettenden Strohhalm der Halbwahrheit zu greifen und seiner Familie nicht noch einmal entrissen zu werden.

Lindholm, der für Dogma-95-Mitbegründer Thomas Vinterberg die Drehbücher unter anderem für den diesjährigen Berlinale-Beitrag Die Kommune oder für Submarino schrieb, hat mit seinem vierten eigenen Film ein kraftvolles Zeugnis der Dilemmata im Krieg geschaffen. Magnus Nordenhof Jøncks Kamera zeigt den Krieg im Feld mit aller Brutalität und macht den doppelten Boden sichtbar, auf dem Soldaten wie Claus Pedersen im Krieg stehen. Asbæks intensives Spiel lässt eintauchen in den Kopf des introvertierten Familienvaters, wo Menschlichkeit, militärischer Gehorsam, Loyalität und Überlebenstrieb einen zweiten Krieg führen; den des Gewissens.

Dieser Text erschien bereits im Rolling Stone Magazin, Ausgabe 4/2016