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Einwurf für den demokratischen Populismus

Es ist nur ein schmales Büchlein, das Heribert Prantl da geschrieben hat. Aber wie viele der von diesem streitbaren und wertegetriebenen Journalisten für die Süddeutsche Zeitung verfassten Texte besticht auch der Essay »Gebrauchsanweisung für Populisten« durch seine gesellschaftspolitische Relevanz und intellektuelle Brillanz. Und gibt Antworten auf die Frage, wie man als Demokrat populistischen Extremisten begegnet und zugleich die Demokratie stärkt?

Der Anlass ist klar. 2016 und 2017 waren und sind anni horribiles der Demokratie, die Belege dafür zahlreich: Die Briten entschieden sich, politischen Hasardeuren zu folgen und dem Wohlstands- und Friedensprojekt EU den Rücken zu kehren. Die US-Amerikaner wählten einen narzisstischen Milliardär zum US-Präsidenten, der wenig Ahnung von praktischer Politik aufwies, aber mit einem untrüglichen Gespür für das Populistische die Gesellschaft spaltete. Und bei der ersten Runde der französischen Präsidentschaftswahl stimmten mehr als 40 Prozent der französischen Wählerinnen und Wähler für einen extremistischen Kandidaten. Ja, diese Entwicklungen machen Angst und diese Angst vernebelt die Fähigkeit vieler, gute Analysen und noch bessere Handlungsanleitungen dafür zu entwickeln, wie wir mit dieser populistischen Welle zurechtkommen.

Heribert Prantl trotzt dieser Angst. Er weist sowohl analytische Fähigkeiten als auch das gesellschaftspolitische Engagement auf, für seine Überzeugung einzustehen. Und so beginnt er damit, dieses Phänomen, das in den Debatten des politischen Feuilletons als Populismus wabert, genauer zu bestimmen. Für ihn ist der sogenannte Rechtspopulismus eine verharmlosende, eine allzu niedliche Bezeichnung. Sie verallgemeinere unzulässig, denn im Kern sei er eine »Entbürgerungs-« und »Entrechtungsbewegung«. Wir befinden uns in einer Zeit der politischen Regression, einer negativen Renaissance, einer Wiederkehr politischer Überzeugungen und Ideologien, die Europa und die Welt im 20. Jahrhundert in einen Höllensturz verwandelte. Warum diese Wiederkehr von übersteigertem Nationalismus, Rassismus, warum diese negative Renaissance?

Vielleicht, weil früher alles besser schien. Immer noch existiert die Sehnsucht nach einer Politik, die Hoffnung auf eine gute Zukunft macht, auf Arbeit, Sicherheit und Heimat in einer globalisierten Welt. Politik soll die eigene, die persönliche Zukunft wieder großartig werden lassen. Diese Hoffnung aber wird von der klassischen Politik zu wenig befriedigt, vielleicht auch, weil Politik dies immer weniger leisten kann, um diesen Hoffnungen und Ansprüchen gerecht zu werden. Und ob diese Hoffnung nicht einem regressiven Wunschbild nach der guten Biedermeierzeit ähnelt, nach einer Zeit, die niemals existierte, sei dahin gestellt.

Und doch, und darauf verweist auch Prantl, haben sich die gesellschaftspolitischen Parameter verschoben. Das Versprechen auf sozialen Aufstieg, die normative Grundlage unserer sozialen Marktwirtschaft, lässt sich kaum noch realisieren. Folgt man dem Buch Verteilungskampf von Marcel Fratzscher, herrscht – bezogen auf Einkommen, Vermögen und Chancen – in kaum einem Industrieland eine so hohe Ungleichheit wie in Deutschland. Auch auf globaler Ebene zeigt sich eine vehemente Ungleichheit zwischen Arm und Reich, die laut Prantl obszöne Ausmaße erreicht. So zieht sich ein tiefer Riss durch die Gesellschaften in den USA und Europa.

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Heribert Prantl: Gebrauchsanweisung für Populisten. Wie man dem neuen Extremismus das Wasser abgräbt. ecowin 2017. 80 Seiten. 9,99 Euro. Hier bestellen

Bei einer so eklatanten gesellschaftlichen Ungerechtigkeit fragt sich nicht nur Prantl, was denn an einem »great again«-Versprechen denn so schlecht sei? Eigentlich nichts, wenn die Ankündigungen dieser rechtspopulistischen Extremisten unrealistische und damit falsche Versprechungen und diese Ankündigung nicht auch mit Erniedrigungen von Menschen verbunden wären. Es ist ein fatales, ein extremistisches Spiel, welches die Populisten da spielen, indem sie soziale Gruppen aufeinander hetzen. Und oft genug hetzen sie sozial schwache Gruppen auf sozial noch schwächere.

Vor diesem Hintergrund versteht Prantl seinen Essay als Aufruf zu einer demokratischen, rechtsstaatlichen und sozialen Offensive. Er versteht ihn als einen Aufruf zu einer Politik des demokratischen Populismus. Er versteht den Begriff populistisch in einem populären, demokratischen Sinn. Franz Josef Strauss und Roland Koch auf der einen, Oskar Lafontaine und Gregor Gysi auf der anderen politischen Seite waren und sind brillante Populisten. Sie haben und hatten die Gabe, Politik zu vereinfachen und damit der Bevölkerung verständlich nahezubringen. Nicht der in diesem Sinne populistische Zugang zur Politik macht die Gesellschaft kaputt, sondern der populistische Extremismus. »Ein demokratischer Populist ist einer, der an Kopf und Herzen appelliert; ein demokratischer Populist ist einer, der die Emotionen nicht den extremistischen Populisten überlässt. Ein demokratischer Populist verteidigt die Grundrechte und den Rechtsstaat gegen extremistische Verächter. Populistische Extremisten appellieren nicht an Herz und Verstand, sondern an niedrige Instinkte. Das ist der Unterschied.«

Die Verachtung von Demokratie und Verfassung ist kein Populismus, sondern politischer Extremismus. Die sogenannten Rechtspopulisten tarnen sich mit dem Begriff populistisch, sie verbergen dahinter ihre extremistischen Ansichten eines rassistischen Nationalismus, ihrer Fremdenfeindlichkeit und ihrer Verachtung der von der Verfassung garantierten Bürger- und Menschenrechte. Gerade aus diesen Gründen darf man, soll man Populisten nicht verharmlosen, sondern sie zu dem erklären, was sie sind: Feinde der Demokratie.

In seinem Essay Was ist Populismus? benennt Jan-Werner Müller drei Elemente der Populisten als wesentlich. Populismus sei erstens anti-elitär, zweitens anti-pluralistisch und drittens anti-parlamentarisch eingestellt. Implizit folgt Prantl der Argumentation des Politikwissenschaftlers aus Princeton und dekliniert dies an einem der wesentlichen Charakteristika demokratischer Politik durch, dem Kompromiss.

Populisten verstehen sich als einzige legitime Vertretung des Volkes. Allein sie wissen, was richtig und wichtig für das Volk ist. Platz für andere Meinungen, gar legitime Meinung gibt es dabei nicht. Und wo nur eine Meinung richtig ist, da ist auch der Kompromiss per se Ausdruck einer falschen politischen Haltung. Der Kompromiss kompromittiert, auf diese Formel bringen es die Populisten. Nichts ist falscher als das. Eine heterogene, vielfältige Gesellschaft, organisiert in einer parlamentarischen Demokratie, lässt sich mit solchem Rigorismus nicht politisch steuern und gestalten. Im Gegenteil, in modernen Gesellschaften ist die Aushandlung von Kompromiss die vernünftige Art des Ausgleichs von Interessen verschiedenster gesellschaftlicher Gruppierungen. Es ist die hohe Kunst des Managements zivilen Dissens. Diese hohe Kunst lebt von der Achtung gegnerischer Positionen, davon, dass man sich auf anderes und andere einlässt und damit gesellschaftlichen Wandel sinnvoll gestaltet. Der Kompromiss gehört zum Wesen demokratischer Gesellschaften, er ist die Seele jeder repräsentativen Demokratie.

So schön es wäre, aber die Probleme komplexer, heterogener und pluraler sowie zugleich ausgleichsbedürftiger Gesellschaften löst man nicht auf einen Schlag. Demokratie ist nicht das Zerhauen eines gordischen Knotens, wie es Alexander der Große angeblich 333 vor Christus getan haben sollte, sondern ein mühseliges Aufdröseln ineinander verknoteter Positionen und Interessen, die ein langes, beharrliches und gemeinsames Zupfen und Ziehen an verschiedenen Enden bedeutet. Prantl erinnert uns daran, wie anstrengend, mühsam Politik in demokratischen Gesellschaften ist, wie alternativlos aber diese Art des Ausgleichs divergierender Interessen ist. »Die Güter einer Politik zeigt sich nicht in der Größe echter oder vermeintlicher Ideale ihrer Politiker, sondern in der Qualität ihrer Kompromisse.« Genau das ist die Stärke einer Demokratie.

Wenn man etwas an Gebrauchsanweisung für Populisten kritisieren möchte, dann die Anzahl der Themen, die Prantl auf kleinem Raum anspricht. Die Menge an Stichworten steht einer tiefer gehenden Betrachtung der Probleme zum Teilen im Weg. Aber vielleicht hat Prantl auch nicht mehr gewollt, als die Probleme hinzutupfen, die vermeintlichen Problemlöser als das zu benennen, was sie sind: nämlich Vereinfacher und Blender, Feinde der Demokratie, denen die Komplexität der Welt zu viel geworden ist.

Prantl möchte populistische Extremisten aber nicht nur entlarven, sondern vor allem Menschen für die Demokratie zurückgewinnen. Das Anliegen dieses Buches besteht darin, klarzumachen, dass Zukunft nicht erduldet, sondern gestaltet werden soll und kann. Frei von jeder Mühe wird dies nicht geschehen. Jeder Wunsch und jedes Anliegen werden nicht zu realisieren sein, das ganze Leben ist ein Kompromiss von Träumen, Wünschen und harter Realität. Die Frage, die Prantl stellt, ist nicht, was auf unsere Gesellschaft zukommt, sondern wohin wir gehen wollen. »Viele haben den Glauben verloren, vielen fehlt die Erfahrung, dass die Demokratie dazu nützt. Es gilt also, die praktische Nützlichkeit der rechtsstaatlichen Demokratie und ihrer Werte auch für diejenigen spürbar zu machen, die sich immer mehr unnütz fühlen. Das ist das demokratische Gegenfeuer gegen den populistischen Extremismus.«

Es ist nur ein schmales Büchlein, das Heribert Prantl da geschrieben hat. Es sollte aber von vielen gelesen werden.

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