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Musikperformance als kosmische Ästhetik – Meredith Monk gewinnt Gish Prize 2017

Meredith Monk – Komponistin, Sängerin, Pianistin, Tänzerin, Theater- und Filmregisseurin – gilt als Kultfigur der zeitgenössischen Musikavantgarde. Jetzt gewinnt sie den jährlich verliehenen, mit 300.000 US-Dollar dotierten Kulturpreis der Gish-Stiftung. Ein Beitrag von Constanze Elisabeth Tinawi.

Der Dorothy and Lillian Gish Prize ist einer der international höchstdotierten Kunstpreise, in die Historie der Preisträger reihen sich Namen wie Frank Gehry, Bob Dylan oder Arthur Miller ein. Dass nun Meredith Monk den Preis verliehen bekommt, überrascht vielleicht, da in der Fachliteratur wenig über sie geschrieben wird – insbesondere, weil nur begrenzt veröffentlichtes Material zur Verfügung steht. Denn das Management ist mit Rücksicht auf Monks Vorstellungen von Kunstvermarktung bedacht darauf, Material wie Videoaufzeichnungen zu den Aufführungen der letzten Jahre in eigener Hand zu behalten. Erschwerend für eine Auseinandersetzung mit der Musik kommt hinzu, dass fast keine Noten zur Verfügung stehen, da die Künstlerin ihre Kompositionen aus Überzeugung meist nicht nieder schreibt.

Will man Musik verbal oder skriptural erfassen, so bedeutet dies immer einen Kraftakt der Übersetzungsleistung, herausgefordert durch die Ungleichheit verschiedener Sphären. Eben diese Übersetzung kann nicht vonstattengehen ohne Verlust (Simone Mahrenholz hat in Musik-Verstehen jenseits der Sprache – Zum Metaphorischen in der Musik Erhellendes dazu geschrieben). Die Vokalmusik Meredith Monks umgeht derartige Verlusterscheinungen, indem sie auf eine wortlose Sprache zurückgreift. Monks musikalische Arbeit wird der Unbegrenztheit musikalischer Sprachlichkeit gerecht, sie berücksichtigt die unermessliche Komplexität dieses Symbolisationssystems, indem sie schlichtweg auf Notation verzichtet: Der Erhalt ihrer Musik wird einzig durch mündliche Weitergabe und ein rein geistiges Behalten gesichert, denn die Mitglieder von Monks Ensembles singen die Musik allein aus ihrer Erinnerung heraus. Als Ertrag dieses Partitur-fernen Schaffens steht ein hohes Maß an Direktheit und Emotionalität, das durch die Form der non-deskriptiven, direkten, praktisch erfahrenen Musik gewahrt wird.

Assorted audio cassette tapes of Meredith Monk work, with Meredith Monk photo insert | BrillLyle via Wikimedia commons
Assorted audio cassette tapes of Meredith Monk work, with Meredith Monk photo insert | BrillLyle via Wikimedia commons

Bar der Skriptur hat die Künstlerin, deren Bühnenarbeit sich in den Bereich der Musikperformance einordnen lässt, so ihre ganz eigentümliche Sprachlichkeit im Zusammenspiel von szenischer Handlung und vokalen Klängen gefunden. Grundlage ihrer Vokalmusik stellt das untrennbare Verhältnis von Körper und Stimme dar, das von einer eindeutigen begrifflichen Sprache konsequent Abstand hält, um sie um eine sinnlich-körperliche Dimension zu erweitern: Glucksen, Keckern, Summen, Heulen, Lachen, Klagen, Lispeln, Flüstern, Schmettern, Wispern, Tirilieren, Stöhnen, Krächzen, Keuchen, Jodeln –  Monks abstrakte Form des Gebrauchs der Stimme mit ihrem unermesslichen Fundus an vokalen Gesten, an Kopf- und Körperresonanzen im Umfang dreier Oktaven ähnelt im Ausdruck Qualitäten wie im Tanz oder in der Malerei.

Monks musikalische Performances finden in einem Raum statt, dessen Begrenzung allein der Vorstellungskraft des einzelnen Zuhörers anheimgestellt ist und dessen dramaturgischer Aufbau geschlossene Handlungsschemata oder entwickelte Charaktere vermeidet. Verzichtet wird auf eindeutige Ausgänge, auf ein Fixieren von möglichen Antworten auf sich abzeichnende Fragen. Stetig fremd und neu erscheinende Klang- und Bewegungssequenzen formen vielmehr Gewohntes zum Ungewohnten. Und so schafft Meredith Monks Vokalmusik einen kindlichen, unverstellten Blick des Staunens – durch eine gänzlich wortlose Sinnhaftigkeit.

Der im Sinne von Lillian Gish nach ihrem Tod gegründete und seit 1994 jährlich vergebene Gish Prize will Künstler_innen auszeichnen, deren Schaffen der »Schönheit der Welt« Ausdruck verleihen. Meredith Monks Musikästhetik geht sogar noch einen Schritt weiter, in die Schönheit des Kosmos: Die Musikerin benennt ihre Kunst als interplanetarity.