Film

Die Magie des Kinos

Steven Spielberg erzählt in dem unterhaltsamen Märchen »Die Fabelmans« die fabelhafte Geschichte seiner Kindheit. Zugleich ist der Film eine Verneigung vor dem Kino und eine grandios bebilderte Hommage an das Filmemachen.

Vielleicht steht am Anfang jeder großen Entscheidung die Angst vor dem Ungewissen. Dem kleinen Sammy Fabelman steht die Furcht ins Gesicht geschrieben, als ihm seine Eltern begeistert eröffnen, dass sie mit ihm in Philadelphia einen Film im Kino anschauen wollen. Von der Vorfreude seiner Eltern irritiert fragt Sammy seine Mutter, was das eigentlich sei, ein Film. »Filme sind wie Träume, die du niemals vergisst«, flüstert die kunstverliebte Mitzi (Michelle Williams) ihrem Sohn ins Ohr.

Steven Spielberg gilt als der kommerziell erfolgreichste Regisseur aller Zeiten, Blockbuster wie »Der weiße Hai«, »E.T. – Der Außerirdische«, »Jurassic Park« oder »Minority Report« gehören ebenso zu seinem auf fast drei Dutzend Filme angewachsenen Werk wie das mit zwei Oscars ausgezeichnete Holocaust-Drama »Schindlers Liste« und der ebenfalls oscarprämierte Film »Der Soldat James Ryan«. Im Laufe seines Lebens hat er immer wieder vereinzelte Anekdoten aus seiner Kindheit und Jugend preisgegeben, wirklich erzählt hat er davon noch nicht. Das holt er nun mit »Die Fabelmans« nach, einem wunderbaren 50er-Jahre-Märchen über das Aufwachsen in einer Familie, in der »die Wissenschaft mit der Kunst konkurriert«.

Szene aus Steven Spielbergs »Die Fablemans« | © Universal

Spielbergs junges Alter Ego begegnet uns im zarten Alter von fünf Jahren, vom Zauber des Kinos ahnt er noch nichts. Dann nehmen ihn seine Eltern mit in Cecil DeMilles halbdokumentarischen Zirkusfilm »Die größte Schau der Welt«, in dem der Knirps die spektakuläre Kollision eines Zuges mit einem LKW auf der übergroßen Leinwand sieht. Es ist der Moment, in dem sich seine Beklemmung in Begeisterung verwandelt, die den Jungen nicht mehr loslässt.

Nur wenige Tage später stibitzt Sammy die 8-mm-Kamera seines technikbegeisterten Vaters Burt (Paul Dano), der als Kriegsheimkehrer Karriere in der noch jungen Computerbranche macht, und stellt im heimischen Keller die Szene des Aufpralls mit einer Modelleisenbahn nach. Ein echter Kino-Moment. Ihm folgen noch viele andere, die mit einfachsten Mitteln von der Faszination des Films erzählen. Sie zeigen, wie Sammy seine in Toilettenpapier eingewickelten Schwestern als Mumien vor der Kamera tanzen lässt, wie er bei einem Familienurlaub seine vor dem Lagerfeuer tanzende Mutter einfängt wie eine Göttin und wie er als Pfadfinder in der Wüste Arizonas erst einen spielerischen Western und dann einen geradezu ambitionierten Kriegsfilm dreht.

Szene aus Steven Spielbergs »Die Fablemans« | © Universal

In seiner Kindheit zog Spielbergs Familie, bedingt durch die Anstellungen des Vaters, quer durch die USA. Der Film folgt dieser Spur, führt von der Ostküste über Arizona bis an die kalifornische Westküste, wo Sammy eines Tages im Büro von Regielegende John Ford (David Lynch) steht und einen Ratschlag erhalten wird, den er sein Lebtag nicht vergessen wird.

Sammy (Gabrielle LaBelle) hat seine Kamera immer dabei und die sieht auch dann genau hin, wenn es Unangenehmes zu entdecken gilt. So bringen die Aufnahmen, die er im Familienurlaub macht, seine heile Welt ins Wanken. Die Warnung seines kunstverrückten Onkels Boris (Judd Hirsch), »Familie und Kunst, das reißt dich entzwei«, bekommt im Laufe des Films eine existenzielle Aktualität. Spielberg erzählt den Anfang vom Ende der Ehe seiner Eltern als filmische Erweckung, bei der er sich auf der Tonspur vor der Klavierpassion seiner Mutter verneigt.

Szene aus Steven Spielbergs »Die Fablemans« | © Universal

Auch 60 Jahre später sei es ihm nicht leicht gefallen, das zu erzählen, erklärte Spielberg gegenüber den Medien. Er hätte diesen Film ohne Pulitzer-Preisträger Tony Kushner, mit dem er schon für »München« und »Lincoln« zusammengearbeitet hatte, nicht schreiben können. Die vertrauensvollen Gespräche mit ihm hätten es ihm möglich gemacht, »mein Innerstes nach außen zu tragen und mich dabei niemals peinlich berührt oder beschämt zu fühlen.«

So ist der Film voller Anspielungen auf Spielbergs Leben, aber auch auf die Film- und Kunstgeschichte, die eng mit seinem Werk verwoben ist. Das birgt die Gefahr von Stückwerk und Selbstverherrlichung. Spielberg ist aber zu erfahren, um in diese Falle zu tappen. Stattdessen erzählt er mit seinem großartigen Cast die mitreißende Geschichte eines Jungen, der mit der Super-8-Kamera unterm Arm erwachsen wird. Spielbergs langjähriger Kameramann Janusz Kaminski hat diese amerikanisch-jüdische Kindhelt als éducation cinémaographique genial und detailgetreu ins Bild gesetzt.

Szene aus Steven Spielbergs »Die Fablemans« | © Universal

Bei den diesjährigen Oscars war »The Fabelmans« sieben mal nominiert und neben »Everything Everywhere All At Once« und »Im Westen Nichts Neues« einer der großen Favoriten. Dass der Film am Ende leer ausging, hat weniger mit seiner Qualität als vielmehr mit den Dynamiken der Preisvergabe zu tun.

Zu Beginn des Films sitzt Sammy in seinem dunklen Zimmer und bestaunt die Bilder, er in seine Handflächen projiziert. In diesem magischen Moment stellt er das erste Mal fest, dass die Wirklichkeit im Kino zwar eine Künstliche ist, hinter all den Verzerrungen aber eine tiefere und erschütternde Wahrheit liegt.

Steven Spielberg: Die Fablemans. Mit Gabriel LaBelle, Michelle Williams, Paul Dano, Seth Rogen. 145 Minuten. Universal Home Etertainment

Eine kürzere Version des Beitrags ist bereits im Rolling Stone 3/2023 erschienen.

1 Kommentare

  1. […] den renommierten American Book Award und das prestigeträchtige Pulitzer-Prädikat, sondern wurde von Steven Spielberg – mit Whoopie Goldberg in der Hauptrolle der jungen Celie und Oprah Winfrey in der Nebenrolle der […]

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