Comic

Logbuch aus dem Dunkeln

Mit bitterer Ironie durchdringt der Kanadier Guy Delisle in seinem neuen Comic »Aufzeichnungen aus Birma« die Verhältnisse in dem südostasiatischen Absurdistan.

Nach dem verheerenden Zyklon Nargis sprach die Welt wieder von Birma. Und auch, als die Militärjunta die friedlichen Proteste der burmesischen Mönche brutal niederschlug, war das Land, über dem der Nebel der Unwissenheit schwebt, wieder in aller Munde. Es scheinen immer erst Katastrophen geschehen zu müssen, bevor sich die Weltöffentlichkeit für die wenigen Informationen, die aus dem Land dringen, interessiert. Stets bedarf es der dunklen Stunden, um ins Bewusstsein zu rufen, dass inmitten der südostasiatischen Urlaubsparadiese eine egoistische und menschenverachtende Militärdiktatur existiert.

Über das totalitäre Regime in Birma ist genug bekannt, als dass jemand behaupten könne, er habe davon nichts gewusst. Am Ende sind es meist die humanitären Organisationen, die den Birmesen eine Existenz auf minimalem Niveau ermöglichen. Die Frau des kanadischen Comiczeichners Guy Delisle arbeitet bei der kanadischen Sektion von Ärzte ohne Grenzen, die auch in Birma tätig ist. Als sie eine Stelle in Birmas Hauptstaat Rangoon angeboten bekommt, entschließen sich Delisle und seine Frau, mit dem gemeinsamen Sohn für 14 Monate nach Birma zu ziehen. So erhielt der Zeichner die einmalige Möglichkeit, dieses kafkaeske Land von innen kennen zu lernen.

Da das Fotografieren in Birma nicht sonderlich erwünscht ist, hat Deslisle seine Beobachtungen und Erlebnisse in sein Tagebuch gezeichnet. Entstanden sind die Aufzeichnungen aus Birma, in denen er die ganz banalen Alltagssorgen ebenso festgehalten hat, wie die Debatten nach dem Sinn und Zweck humanitärer Interventionen innerhalb der Helfer-Gemeinschaft. Mit diesem Band ist ihm erneut ein faszinierender Comic gelungen, der in bitterer Ironie die Niederträchtigkeit der tyrannischen Willkür aufdeckt und die Absurditäten der birmesischen Lebensumstände enthüllt.

Delisle ist nicht nur der Erfinder des Sachbuch-, Doku- und Reportagecomics, sondern auch sein unerreichter Meister. Intelligent und mit Witz durchschaut er die gesellschaftlichen Verhältnisse, in die er sich (meist freiwillig) begibt und bringt diese anekdotisch auf den Punkt. Bereits in den anekdotischen Betrachtungen der chinesischen Provinzstadt Shenzhen sowie der nordkoreanischen Hauptstadt Pjöngjang hat er seine Beobachtungs- und Dokumentationsgabe hinlänglich unter Beweis gestellt. Seine Zeichnungen sind dabei oft vielschichtiger, als ein Dokumentarfilm.

Mit seinem neuen Comic hat er sich vom Stadtbeobachter zum Sprachrohr eines ganzen Landes gemacht. Mit bissigem Witz und Ironie legt er den administrativen und bürokratischen Nonsens des birmanischen Alltags offen. Mehr als einmal steht er völlig perplex vor den Herausforderungen, die ihm der birmanische Alltag bereitet.

Zugleich scheut er sich nicht, das elitäre, ja fast kolonialistische Dasein der internationalen Helfer, Funktionäre und Diplomaten kritisch unter die Lupe zu nehmen. Nicht selten begegnet ihm in der Scheinhumanität mancher Helfer eine krude Mischung aus Resignation, diplomatischer Lebensferne und persönlicher Sorglosigkeit. Sein Tagebuch ist auch ein wenig die persönliche Verarbeitung der eigenen Isolation inmitten der internationalen Interventionisten. Allem Außenseitertum zum Trotz greift er die Debatten auf, die die internationale Helfergemeinde seit Jahren bewegt. Wo hört die humanitäre Hilfe auf und wo beginnt die Substitution staatlicher Fürsorgepflicht?

Diese Frage spiegelt sich am Schicksal der Ärzte ohne Grenzen-Mission in Birma. Da die Organisation in den Krisengebieten keine humanitäre Hilfe leisten und in den zugänglichen Gebieten nur noch die Gesundheitsversorgung sicherstellen durfte – die eigentlich in die Hände eines verantwortungsbewussten Staates gehört – wurde die Mission eingestellt. Auch wenn das birmanische Staatswesen alles andere als pflichtbewusst ist, sollte man ihm nicht den Gefallen tun, es von solchen Aufgaben zu entmündigen, führt ein internationaler Funktionär in Delisle Comic an.

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Guy Delisle: Aufzeichnungen aus Birma. Aus dem Französischen von Kai Wilksen. Reprodukt Verlag 2009. 272 Seiten. 20,- Euro. Hier bestellen

Delisles Zeichenstil ist wie schon in seinen vorherigen Reportagen schlicht und auf das Wesentliche beschränkt. Der Comicleser wird mit den puren Eindrücken des Zeichners konfrontiert. Die asiatische Kulisse klingt in seinen Zeichnungen an, drängt sich aber nicht in den Vordergrund. Delisle bleibt in Aufzeichnungen aus Birma seinem minimalistischen Zeichenstil treu. Diese zeichnerische Bescheidenheit schafft den nötigen Raum, der Aussagekraft seiner Bilder genügend Geltung zu verschaffen. Das Zusammenspiel aus Text und Bild ist von einer einzigartigen Raffinesse geprägt, die die Absurdität Birmas auf ironische Art vor Augen führen. Aber auch die textfreien Episoden, die von der Isolation und Leere des Landes erzählen, hinterlassen beim Leser einen nachhaltigen Eindruck,

Seine Aufzeichnungen bilden einen eindringlichen Comic, der nahezu alle Aspekte des Lebens in der birmanischen Diktatur thematisiert, ohne dabei wie ein Sammelsurium an Impressionen daherzukommen. Er berichtet darin von Internetzensur, medialen Raubkopien und dem massiven Drogenkonsum im sog. Goldenen Dreieck im Norden des Landes; von den Stromausfällen, der drückenden Hitze in der Trocken- und der belastenden Feuchte während der Regenzeit; von der Selbstisolation der humanitären Gemeinde, den hehren Zielen und ihrem Scheitern; von der britischen Kolonialarchitektur, den buddhistischen Tempeln und den Strohhütten der urbanen Ausläufer und Dörfer; von der militärischen Repression und der buddhistischen Hoffnung auf Erlösung. Alles das fügt sich in einer Collage zu einem ironisch-sarkastischen Lehrstück über eine der dunkelsten Ecken dieser Welt zusammen. Guy Delisle hat einmal mehr nachgewiesen, dass er ein Meister des Doku-Comics ist. Und wer Birma verstehen will, muss diesen Comic lesen!

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