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Geteiltes Leid, wenig Verständnis
Anderthalb Jahre nach dem 7. Oktober ist noch immer kein Ende des Gazakriegs in Sicht. Die ungebremste Gewalt wirft abgründige Fragen auf: nach der langen Vorgeschichte des Konflikts. Aber auch nach der Rolle des Westens. Neue Sachbücher, die ich für das Schweizer Republik-Magazin gelesen habe, richten den Blick darauf.
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Die Französische Theorie im Club Med
Der Berliner Kulturwissenschaftler Onur Erdur untersucht in »Schule des Südens«, was es heißt, in Zeiten kolonialen Unrechts zu philosophieren. Dabei legt er die kolonialen Wurzeln der französischen Theorie frei. Der Politikwissenschaftler Yascha Mounk vermutet dort die Ursprünge »einer gefährlichen Idee«.
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Mit allen Wassern gewaschen
Pieter Waterdrinkers Pageturner »Monsieur Poubelle oder: Der Mülleimer der Geschichte« ist ein rasanter Schelmenroman, der von Sex und Crime im Kunst- und Politikbetrieb erzählt. Einen unterhaltsameren Roman über das politische Europa und sein Verhältnis zum Ukrainekrieg gibt es aktuell nicht.
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Prosa, Baby!
Homayoun, Yorgos, Ferdinand, Toni und Yasmina sind Mitte Zwanzig und verzweifelt. In Arad Dabiris vielversprechenden Roman »Gloria!« (ver)zweifeln sie an der Kunst, an den Maßstäben, am ausbleibenden Erfolg, am Alkohol und an der Liebe.
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Die wahre Geschichte von »Jud Süß«
Die Gerichtsreporterin Raquel Erdtmann zeichnet in ihrem Buch Aufstieg und Sturz des jüdischen Finanzrats Joseph Süßkind Oppenheimer nach und rollt den antisemitischen Schauprozess neu auf.
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»Manuskripte brennen nicht«
Michael Lockshins »Der Meister und Margarita« ist in Russland ein absoluter Publikumserfolg. Jetzt ist die mutige Romanadaption mit Anklängen an die totalitäre russische Gegenwart endlich in den deutschen Kinos zu sehen.
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Die Welt durch einen Bilderrahmen
Die Geschichte eines expressionistischen Gemäldes, erzählt aus der Perspektive eben jenes Gemäldes: Comic-Star Luz hat mit »Zwei weibliche Halbakte« erneut unter Beweis gestellt, dass er einer der Großen der neunten Kunst ist.
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»Dies is going to be tief«
Die Lyrikerin und Essayistin Monika Rinck stellt in ihrem aktuellen Lyrikband »Höllenfahrt & Entenstaat« der erdrückenden Langeweile der Legislative den Thrill der »Realitöt« gegenüber. Aufregender, aktueller und politischer kann Poesie nicht sein.
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Gerade denken und anders werden
Davi Kopenawa ist einer der bekanntesten indigenen Aktivisten der Welt, mit dem Anthropologen Bruce Albert hat er jahrelang seine Ansichten geteilt. Ihr Gesprächsband »Der Sturz des Himmels« ist ein ebenso aufrüttelnder wie perspektivverändernder Weckruf.
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Überwältigendes Kopfkino
Comic-Ikone Alan Moore schreibt die Geschichte eines Arbeiterviertels in Northampton zu einer vielstimmigen und verschachtelten Welt- und Geistesgeschichte um. Sein Roman »Jerusalem« ist politische Kampfschrift und sinnliche Komödie, Gegenwartsanalyse und Hirngespinst, ein fulminanter Geistertanz auf den Ruinen des Kapitalismus. Ein ebenso einschüchterndes wie überwältigendes Werk, das vor kreativer und geistiger Energie überschäumt.