Film, Fotografie, InSzeniert

»Es ist etwas Persönliches«

Die amerikanische Fotografin Nan Goldin hat am Freitag den Käthe-Kollwitz-Preis 2022 der Akademie der Künste erhalten. Aus diesem Anlass zeigt die Akademie einige Arbeiten der Amerikanerin in ihren Räumen. Parallel wurde auch der in Venedig mit dem Goldenen Löwen ausgezeichnete Dokumentarfilm »All the Beauty and the Bloodshed« von Laura Poitras gezeigt. Er zeigt, wie bei der Amerikanerin Leben, Fotografie und politisches Engagement zusammenfließen.

»Mit Nan Goldin würdigt die Akademie eine Künstlerin, die weltweit eine zentrale Position in der zeitgenössischen Fotografie einnimmt und mit ihren Fotografien aus ihrem persönlichen Lebensumfeld und der LGBT-Community Tabus gebrochen, Grenzen überwunden und sich damit für Akzeptanz und zunehmende Anerkennung der LGBT-Szene eingesetzt hat«, hieß es in der Pressemitteilung, mit der die Akademie der Künste im Mai 2022 die Verleihung des mit 12.000 Euro dotierten Käthe-Kollwitz-Preises an Nan Goldin angekündigt hatte. »Die Unmittelbarkeit in Nan Goldins Arbeiten entstammt ihrer physischen und emotionalen Zugehörigkeit und Distanzlosigkeit zu einer Lebenswelt, die vielen Menschen verschlossen ist und erst durch sie als Künstlerin geöffnet wurde.«

Am vergangenen Freitag war es dann so weit, die »Berliner Weltbürgerin«, wie Laudator Klaus Biesenbach Nan Goldin nannte, nahm in Berlin den Preis persönlich entgegen. Dabei sprach sie auch über das Vertrauen, das zwischen ihr und den Fotografierten bestand und besteht. »Wir haben eine sehr innige Freundschaft und das Fotografieren ist ein Teil davon. Es bringt uns näher zusammen.« Die Betrachter:innen ihrer Bilder bringt diese Nähe auch nah an die Menschen aus der LGBTIQ*-Szene der 80er und 90er Jahre, deren Glücks- und Schmerzmomente sie ebenso festgehalten hat wie die Momente der Ekstase und des Deliriums.   

Nan Goldin Thora at my vanity, Brooklyn, NY, 2021 Dye sublimation print on aluminum (76,2 x 101,6 cm) Courtesy of the artist and Marian Goodman Gallery © Nan Goldin

In ihrer Dankesrede zeigte sich Goldin bewegt und der Stadt verbunden. »Berlin ist mein Zuhause, eines der wenigen, die ich in meinem Leben gefunden habe. Hier habe ich einige meiner schönsten Tage verbracht. Und Nächte«, sagte sie im Saal der Akademie der Künste direkt neben dem Tiergarten. 1982 kam sie erstmals nach Berlin, die Stadt hatte es ihr angetan. Fast jährlich tauchte sie im Westteil der Stadt in den 80er und 90er Jahren auf und bewegte sich im Umfeld der Künstlergruppe rund um die Band »Die Tödliche Doris«. In Berlin entstanden viele fotografische Arbeiten, die Berlinische Galerie zeigte 2010/2011 unter dem Titel »Berlin Work« eine Auswahl der zwischen 1984 und 2009 entstandenen Arbeiten.

Die Ausstellung, die in der Akademie der Künste anlässlich der Preisverleihung noch knapp zwei Wochen zu sehen ist, zeigt erstmals seit über zehn Jahren Arbeiten der Künstlerin in Berlin. Knapp 60 Fotografien – zum Teil in Collagen zusammengestellt – sind in den zwei abgedunkelten Räumen der Akademie zu sehen. Goldin hielt ihr Leben mit der Kamera fest, dokumentierte dabei auch das Leben und Sterben viele ihrer Freunde aus der LGBTIQ*-Szene. In die Subkultur von Drag Queens, Transvestiten und Homosexuellen tauchte sie zunächst in Boston und ab 1978 in New York ein.

Nan Goldin Jimmy Paulette and Tabboo! in the Bathroom, 1991 Cibachrome print (72,6 x 101,6 cm) Courtesy of the artist and Marian Goodman Gallery © Nan Goldin

»Nan Goldins Begehren nach dem Bild sucht schützend die Blöße des Menschen«, heißt es in der Jurybegründung. Entsprechend zeigen ihre Aufnahmen die unbändige Lebensfreude unter Gleichgesinnten und Freunden, verschweigen aber auch nicht die Folgen von körperlicher Misshandlung und Drogenmissbrauch. Sie dokumentieren hautnah die sexuelle Begegnung, halten aber auch die Folgen einer AIDS-Erkrankung bis zum bitteren Ende fest. Sie zeigen die Verletzlichkeit, aber auch die Stärke von den Missfits ihrer Zeit.

Die dunkle Atmosphäre der Räume schafft für die Besucher:innen einen nahezu privaten Rückzugsraum, in dem sie den ebenso zärtlichen wie brutalen Bildern, die die Liebe feiern und den Verlust beweinen, begegnen können. Hier wird man nicht zum neugierigen Beobachter des Fremden, sondern zum intimen Gegenüber einer Begegnung, zum Träger eines Geheimnisses, das sich in den Betrachter:innen fortschreibt.

Bedauerlich ist, dass die Bilder kaum eingeordnet werden, so dass Bezüge und Geschichten verlorengehen, die Goldin mit ihren Bildern erzählt. So braucht es entweder einiges an Vorwissen oder eine Dokumentation wie Laura Poitras »All the Beauty and the Bloodshed«, die im vergangenen Herbst bei den Filmfestspielen in Venedig den Hauptpreis erhalten hat und Ende März um einen Oscar konkurriert. Der Film, der erst Ende Mai in den deutschen Kinos startet, wurde im Rahmen einer Preview am Sonntag nach der Preisverleihung in der Akademie der Künste gezeigt.

»All the Beauty and the Bloodshed« von Laura Poitras

Poitras erzählt in der HBO-Dokumentation zwei Geschichten, die aufeinander zulaufen. Zum einen lässt sie Nan Goldins Werdegang nachvollziehen, ausgehend von den schwierigen familiären Verhältnissen und dem frühen Selbstmord der Schwester hin zu ihrem Weltruhm als Künstlerin, die das Leben und elende Sterben während der AIDS-Pandemie in ihrem queeren Umfeld so unmittelbar und direkt festgehalten hat wie keine vor ihr.

Zu ihren berühmtesten Werken zählen die mit Sound unterlegten Dia-Show-Installationen, die auch in Poitras Film immer wieder aufgegriffen werden, weil sie darin die Geschehnisse in ihrer unmittelbaren Umwelt zu klugen gesellschaftspolitischen Beobachtungen umdeutet. Die bekannteste dürfte die 1986 entstandene »Ballade der sexuellen Abhängigkeit« sein, ein visuelles und öffentliches Tagebuch, das heute wie ein Denkmal an ihre New Yorker Freunde und Liebhaber:innen wirkt, von denen sie viele an AIDS verloren hat. Zahlreiche der Bilder aus der in der Akademie der Künste präsentierten Werkauswahl sind im Film verarbeitet, so dass sich hier erst thematische und persönliche Querverbindungen ziehen lassen.

Poitras Film nähert sich aber noch von einer anderen Seite dem Leben der Künstlerin. Goldin engagiert sich seit Jahren in einer Künstler:innen-Gruppe, die fordert, dass Museen, Gesundheitseinrichtungen und andere Institutionen aufhören, Spenden der Sackler-Familie anzunehmen. Die Sacklers lassen sich weltweit als großzügige Philanthropen feiern, ohne transparent zu machen, dass ihr Vermögen durch Valium sowie die Erfindung des Medikaments OxyContin entstand, das die Opioid-Krise in den USA auslöste. Millionen Menschen weltweit gerieten in die Abhängigkeit von Medikamenten aus den Industriehallen des Sackler-Imperiums.

Der Journalist Patrick Radden Keefe, der auch im Film mehrmals zu Wort kommt, zeichnet in seinem gerade in der Übersetzung von Gregor Runge, Kattrin Stier und Benjamin Dittmann-Bieber erschienen Buch »Imperium der Schmerzen« eindrucksvoll das Sittengemälde dieser machiavellistischen Familie.

Patrick Radden Keefe: Imperium der Schmerzen. Aus dem Englischen von Gregor Runge, Kattrin Stier, Benjamin Dittmann-Bieber. Hanser Verlag 2022. 640 Seiten. 36 Euro. Hier bestellen.

Der Film folgt dem Engagement der Künstler:innen, die wie David mit den Mitteln der Kunst gegen den schier unantastbaren und von dutzenden Anwälten abgeschirmten Goliath der Sackler-Familie kämpfen. So erfahren wir, dass die Sacklers Milliarden von ihrem verantwortlichen Pharmaunternehmen Purdue Pharma abzogen und sich in den wichtigsten Museen der Welt einkauften, um den Namen Sackler mit den schönen Künsten der Welt zu verbinden statt in einem Atemzug mit der hässlichen Wahrheit genannt zu werden.

Während die Familie also ganze Sammlungen oder wissenschaftliche Institute finanzierte, ging Purdue Pharma pleite, so dass Schadensersatzforderungen betroffener Familien leer ausgingen und die juristische Verfolgung der Familie beigelegt wurde. Allein in den USA hat die Opioid-Krise bisher mehr als einhunderttausend Menschen das Leben gekostet. Der Schaden für das Gesundheitssystem geht in die Billionenhöhe.

Nan Goldin Smokey car interior, New Hamsphire, 1979 Cibachrome print Courtesy of the artist and Marian Goodman Gallery © Nan Goldin

Konnte Goldin den Kampf gegen die AIDS-Pandemie nur mit der Kamera begleiten und mit ihren Bildern bezeugen, will sie im Kampf gegen die Verursacher der Opioid-Krise selbst aktiv werden. Der Film zeigt, wie das Künstler:innenkollektiv P.A.I.N. die Inszenierungen der Act Up-Artists aus den 80ern adaptieren, um den Namen Sackler aus den Kunsthallen dieser Welt zu verbannen. Galeonsfigur der Gruppe ist Nan Goldin, die in einigen der betroffenen Häuser auch ausstellt und damit drohte, ihre Kunstwerke abzuziehen. Im Film sagt sie zu ihrem Engagement gegen die Sacklers: »Es ist etwas Persönliches. Ich hasse diese Leute, die Profit aus dem Schmerz anderer ziehen.« Sie war nach einer Operation selbst jahrelang OxyContin-abhängig, im Gegensatz zu vielen anderen konnte sie sich aber die teure Entzugstherapie leisten.

Goldins Leben inmitten einer marginalisierten Gemeinschaft und ihr Engagement gegen die Sackler-Familie werden im Film lose von einer dritten Geschichte zusammengehalten. Es ist die ihrer älteren Schwester Barbara, die von ihren überforderten Eltern erst in Heime und Ersatzfamilien abgeschoben wurde, bevor sie sich, abgestempelt als geisteskrank, das Leben nahm. Der frühe Verlust der Schwester, ein dunkles Familiengeheimnis abseits der gesellschaftlichen Aufmerksamkeit, wirkt wie ein Puzzlestück, das eine Antwort darauf gibt, warum Goldin ihr Leben den von der Mehrheitsgesellschaft Ausgegrenzten und Abgestempelten gewidmet hat.

Laura Poitras Film führt dieses Leben in seinen unterschiedlichen Facetten vor Augen, setzt der Fotografie ihrer Protagonistin ein Denkmal und führt die freigeistige und körperliche Gegenkultur im New York der 80er mit der künstlerischen Resistenz der Gegenwart zusammen. Politisch, persönlich und poetisch erzählt »All the Beauty and the Bloodshed« von Macht und Moral, Missbrauch und Liebe, Brutalität und Zärtlichkeit.

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