Noch bis 4. September zeigt die c/o Berlin Galerie im Amerikahaus unter dem Titel »Allure [frz. Stil, Eleganz]« eine sorgfältig kuratierte Auswahl an Fotografien aus der Sammlung von Susanne von Meiss. Die zahlreichen Aufnahmen der verschiedensten Genres – Modefotografie, Street Photography oder Conceptual Photography – eint, dass sie einen flüchtigen Moment fotografisch festhalten und sichtbar machen. Der Begleitkatalog verewigt nicht nur das vergängliche Moment dieser Ausstellung, sondern erlaubt auch tiefere Einblicke in das grundsätzlich gelungene Ausstellungskonzept sowie den langen, genussvollen Blick auf das wahrhaft Schöne.
Ein nur allzu bekanntes Paradoxon der Fotografie ist es, dass sie es vermag, die grundlegende Natur des Moments – nämlich die Vergänglichkeit – zu überwinden und ihn festzuhalten. Mehr noch, was zuvor durch seine höchst flüchtige und immaterielle Natur geprägt war, wird nun auf Film gebannt und materialisiert sich auf dem Abzug eines Bildes – und wird dann wieder zu einem vergänglichen Eindruck durch den Blick des Betrachters.
Die Ausstellung Allure [frz. Stil, Eleganz] greift dieses Paradoxon der Fotografie gekonnt auf und spielt mit ihr, was im begleitenden Bildband noch stärker zum Ausdruck kommt. Aus den rund 400 Fotografien von den 1920er Jahren bis zur Gegenwart, die die Collection Susanne von Meiss umfasst, haben die Kurator_innen Birgit Filzmaier und Felix Hoffmann gemeinsam mit der Sammlerin einen hochwertigen, sinnlich ansprechenden und das Ausstellungsthema immer wieder anders fassenden Katalog zusammengestellt. Der in schwarzem Halbleinen gebundene und mit silbernen Lettern geprägte Band setzt bereits das schwarzweiße Titelbild Rita #516 von René Groebli aus dem Jahr 1953 – das auch das Ausstellungsplakat schmückt – sehr gekonnt in Szene.
Groeblis Fotografie zeigt die Rückansicht einer anmutigen Frau, die vor allem durch die Kontrastierungen von Hell und Dunkel in Teilen des Bildes sowie der eingefangenen Bewegung der fallenden Bluse den Betrachter fesselt. Vor allem aber entzieht sich die Frau auf Groeblis Bild dem Blick des Betrachters, denn ihr nach hinten gedrehtes, verdunkeltes Gesicht bleibt völlig verborgen. Das schafft in diesem Fall gleichermaßen Distanz und Intimität, weil der Betrachter zwar einem scheinbar zufälligen Augenblick, in dem die Frau ganz bei sich zu sein scheint, beiwohnt, aber nicht Teil dessen wird.
Die exponierte Stellung dieses Bildes als Titelmotiv verdeutlicht das Konzept der Ausstellung beispielhaft, im Gegensatz zu der dem Ausstellungstitel beigefügten Übersetzung frz. Stil, Eleganz, die dies nur teilweise vermag. Allure bedeutet mehr als pure Eleganz oder Stil, was zu sehr in Richtung Modefotografie deutet, auch wenn diese die Ausstellung und den Bildband dominieren. Der Begriff Allure widersetzt sich einer festen Definition, er basiert mehr auf einer Empfindung als auf genau definierten Aspekten, wie auch Felix Hoffmann in seiner sehr gelungenen Einführung im Rückgriff auf Barthes’ Definition des punctum schreibt: »Schwer greifbar ist ALLURE eine Essenz, in der etwas sichtbar wird: ‚das Zufällige an ihr, das mich besticht (mich aber auch verwundet trifft)’ […]. Das Vermögen, Flüchtiges und das Vorbeiziehende zu fassen, verbindet Fotografie und den Begriff der ALLURE miteinander.« Das Flüchtige und Vorbeiziehende – eine Geste, eine Bewegung, ein Detail, Anmut und Schönheit – sichtbar zu machen gelingen der Ausstellung und dem Begleitband zweifelsohne.
Doch macht Felix Hoffmanns Einführung »To Meet our Gaze. Den Blick aufschlagen« – die sowohl kulturgeschichtlich als auch sprachlich in ihrer deutsch-englisch übersetzten Form durchaus überzeugt – deutlich, wo die theoretische Schwäche des Konzepts liegt. Gerade die zahlreichen Modefotografien hätten sich dafür angeboten, Fragen nach dem Verhältnis von Bild und männlich dominiertem Blick (male gaze) und nach dem historisch wandelbaren und gender-differenziertem Zeichensystem von Mode zu stellen, wie dies Barbara Vinken in ihrer für den Leipziger Buchpreis nominierten Monographie Angezogen. Das Geheimnis der Mode 2013 grandios getan hat. Sowohl der große zeitliche Bogen, den Ausstellung und Katalog schlagen, als auch die Auswahl an präsentierten Fotograf_innen – von Brassaï, Henri Cartier-Bresson, Robert Mapplethorpe, Nan Goldin, Peter Lindberg bis hin zu Sam Samore, Ellen Auerbach, Diane Arbus, Bettina Rheims und nicht zuletzt der Ikone der feministischen Kunst Cindy Sherman – hätten es nahegelegt, Fragen nach Mode und Macht sowie nach dem Blick (dem sich oftmals entziehenden als auch dem betrachtenden) zu thematisieren.
Ungeachtet dieser Schwäche ist es eine große Stärke des opulenten Ausstellungskatalogs, den Betrachter in ein Wechselspiel aus Blick und Reflektion einzubeziehen. Spiegelfolien zu Beginn und Ende des Bandes, zufällig auftauchende Leerseiten und das Frontispiz von André Gelpke, auf dem eine junge Frau dem Betrachter einen Spiegel vorhält und damit ihr eigenes Gesicht komplett verdeckt, verstärken diesen Effekt, der den Betrachter zu einem Teil dieses Spiels macht und ihn (im Barthes’schen Sinn) besticht und verwundet. Und ihn nicht zuletzt am Ende mit einem Gefühl von Allure zurücklässt.
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