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Der Lauf der Gewalt

Clemens Meyer hat ein Epos über die Brutalität des 20. Jahrhunderts geschrieben. In »Die Projektoren« verdichtet er die grausame Wirklichkeit mit Witz und Fantasie – und bändigt so das Chaos der Welt. Auch ohne Deutschen Buchpreis ist dieser Roman ein Solitär.

© Thomas Hummitzsch

Übersetzen übersetzen

Am 30. September wird der Hieronymustag als Internationaler Übersetzertag gefeiert. Dabei ist den Übersetzenden in Deutschland schon lange nicht mehr nach Party zumute. Miserable Honorare, prekäre Verhältnisse, fehlende Sichtbarkeit und die künstliche Intelligenz sind strukturelle Bedrohungen einer Branche, die am seidenen Faden des Idealismus derjenigen hängt, die uns die Weltliteratur erschließen. Versuch einer Bestandsaufnahme.

Odile Kennel (57) übersetzt französische, spanische, portugiesische und englische Lyrik. Zuletzt u.a. »Brennen, Brennen, Brennen« von Liselotte Lombé. | © Jan Beumelburg

»Ich jongliere immer mit zehn Projekten gleichzeitig«

Odile Kennel (57) ist nicht nur anerkannte Lyrikerin und Autorin, sondern auch eine geschätzte Übersetzerin, die Lyrik aus dem Französischen, Portugiesischen, Spanischen und Englischen übersetzt. Sie begreift sich als im »Großraum Sprache« beheimatet, entsprechend trennt sie weder die eine Tätigkeit von der anderen, noch Leben von Arbeit. Übersetzen, reisen, lesen, moderieren, netzwerken gehen bei ihr Hand in Hand. Dennoch fehlen ihr kreative »Autragsübersetzungspausen« sowie eine Anerkennung von Lyrik und ihrer Übersetzungsarbeit, die sich auch finanziell niederschlägt.

»Ein Berufswechsel wäre das Naheliegendste«

Andreas Jandl (49) übersetzt nicht nur schon eine gefühlte Ewigkeit aus dem Französischen und Englischen, sondern ist auch zweiter Vorsitzender des Verbands deutschsprachiger Übersetzer:innen VdÜ. Er ist Mentor für das Goldschmidt-Programm und erhielt 2021 den Eugen-Helmlé-Übersetzerpreis für sein Gesamtwerk. Doch von Anerkennung allein kann der dreifache Familienvater nicht leben. Die gleichbleibend schlechten Honorare, die Nachwuchslücke und die drohende Altersarmut brächten die Branche in existenzielle Schwierigkeiten.

Katy Derbyshire (51) übersetzt aus dem Deutschen ins Englische. Demnächst erscheint ihre Übersetzung von Judith Hermanns Roman »Wir hatten uns alles gesagt«. | © Nane Diehl

»Die Unesco sollte Literaturübersetzungen fördern«

Katy Derbyshire (51) übersetzt anders herum, also nicht ins Deutsche, sondern aus dem Deutschen ins Englische. Ihre englische Übersetzung von Clemens Meyers Roman »Im Stein« gewann 2018 den Straelener Übersetzerpreis und war für den International Booker Price nominiert. Bei Voland & Quist ist sie für die englischsprachige Reihe V&Q Books verantwortlich. Finanziell profitiert sie davon, dass Honorarverhandlungen im englischsprachigen Raum stärker standardisiert seien, erklärt sie im Interview.

Milena Adam (33) übersetzt aus dem Englischen und Französischen. Zuletzt u.a. Die Horde im Gegenwind von Alain Damasio. | © Stefanie Kulisch

»Übersetzen ist wie Lesen, nur langsamer«

Milena Adam (33) übersetzt aus dem Französischen und Englischen ins Deutsche, von ihr sind in diesem Jahr gleich zahlreiche Übersetzungen erschienen. Wenn Großverlage und Medienkonzerne mit ihren Honoraren Minimalstandards unterlaufen, findet sie das »kackendreist«, die angekündigten Kürzungen für den Deutschen Übersetzerfonds empfindet sie als Hohn. Vom Übersetzen allein kann sie nicht leben, sie setzt auf eine Mischkalkulation mit themennahen Nebenerwerben.

© Thomas Hummitzsch

Was wäre wenn…

Saša Stanišic spielt in seinen kaleidoskopisch angeordneten Erzählungen das Leben auf Probe durch und beweist, dass die Literatur ein Ort des Utopischen ist. Wie kaum ein anderer versteht er es, über die existenziellen Fragen des Lebens nachzudenken und dabei seinen Leser:innen ein Lächeln ins Gesicht zu zaubern.