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Leicht neben die Norm gesetzt

Im Übersetzerzentrum der Leipziger Buchmesse wurden wenige Stunden vor der Vergabe des Preises der Leipziger Buchmesse die fünf nominierten Titel in der Kategorie Übersetzung vorgestellt. Dabei sprachen die Übersetzer:innen über besondere Aspekte ihrer Arbeit.

Ki-Hyang Lee – Bora Chung: Der Fluch des Hasen

Bora Chung: Der Fluch des Hasen. Storys. Aus dem Koreanischen von Ki-Hyang Lee. Culturbooks 2023. 264 Seiten. 24,- Euro. Hier bestellen.

Ki-Hyang Lee hat Bora Chungs Erzählungen »Der Fluch des Hasen« aus dem Koreanischen übersetzt. Die englische Ausgabe hatte es im vergangenen Jahr bereits auf die Longlist des National Book Award und die Shortlist des International Booker Prize geschafft. Im Mittelpunkt der zehn Geschichten stehen meist koreanische Frauen, die sich in patriarchalischen Verhältnissen behaupten müssen. Der weibliche Körper wird dabei zum Schlachtfeld gesellschaftlicher Auseinandersetzungen, der Geist zum Fluchtpunkt in einer dunklen Welt, der es zu entkommen gilt. Im Gespräch, das Marie Schmidt mit ihr geführt hat, ging es leider gar nicht um die Übersetzung, sondern nur um die Handlung der Erzählungen, die in unterschiedlichen Zeiten an verschiedenen Schauplätzen verortet sind.

Ki-Hyang Lee hat Bora Chungs Erzählungen »Der Fluch des Hasen« übersetzt | Foto: Thomas Hummitzsch

In der Begründung zur Nominierung hieß es: »Ki-Hyang Lee hat Chungs bizarre Kurzgeschichten in eine pointierte und leicht neben die Norm gesetzte deutsche Prosa gebracht, die dem Absurden und Unheimlichen im Deutschen eine angemessen eigenartige Form gibt.« Hier hätte sich ein spannendes Thema angeboten, da die Übersetzerin keine deutsche Muttersprachlerin ist, sondern vor zwanzig Jahren ohne tiefere Deutschkenntnisse nach Deutschland gezogen ist. Inwiefern die »leicht neben die Norm gesetzte deutsche Prosa« in der Übersetzung intendiert war und welche Einflüsse da gewirkt haben oder ob sie möglichweise erst im Zuge des Lektorats entstanden ist, blieb so leider unklar.


Klaus Detlef Olof – Goran Vojnivic: 18 Kilometer bis Ljubljana«

Goran Vojnović: 18 Kilometer bis Ljubljana. Aus dem Slowenischen von Klaus Detlef Olof. Folio Verlag 2023. 319 Seiten. 26,- Euro. Hier bestellen.

Klaus Detlef Olof hat Goran Vojnivics Roman »18 Kilometer bis Ljubljana« formal betrachtet aus dem Slowenischen übersetzt. Der Zerfall Jugoslawiens spielt in diesem Kneipen- und Schimpfroman, der als innerer Monolog eines deprimierten jungen Mannes in einer Plattenbausiedlung daherkommt, eine besondere Rolle. Die Auflösung der Vielvölkerutopie spiegelt sich im Wirrwarr der nationalistischen und sprachlichen Ausdifferenzierung, die sich durch Text und Handlung zieht. Das spiegelt sich auch im Original, wie Olof erklärte, im zu übersetzenden Text wird Slowenisch (grün), Serbo-Kroatisch (rot) und Serbisch (schwarz) gesprochen.

Klaus Detlef Olof hat Goran Vojnivics Roman »18 Kilometer bis Ljubljana« übersetzt | Foto: Thomas Hummitzsch

Aber wie markiert man so etwas im Text? Olof hat sich wie schon in seinen vorherigen Vojnovic-Übersetzungen entschieden, viele dieser Ausdrücke im Text zu belassen, was nicht immer einfach zu lesen ist, dem Roman aber auch einen besonderen Sound gibt. Zugleich lässt es diesen Roman mit seinen eindrucksvollen Szenen, in denen am Familien- oder Stammtisch wüst geschimpft wird, besonders leuchten. Die Jury lobte in ihrer Nominierungsbegründung, Klaus Detlef Olof haben »den Rhythmus, den bitteren Humor und die sprachliche Dynamik von Goran Vojnovićs Milieuroman glänzend ins Deutsche übertragen«.


Lisa Palmes – Joanna Bator: Bitternis

Joanna Bator: Bitternis. Aus dem Polnischen von Lisa Palmes. Suhrkamp Verlag 2023. 829 Seiten. 34,- Euro. Hier bestellen.

Lisa Palmes hat Joanna Bators neuen Roman »Bitternis« aus dem Polnischen übersetzt. Bator, die in diesem Jahr den Österreichischen Staatspreis für Europäische Literatur erhalten hat, erzählt darin von vier Frauengenerationen, deren Geschichten sie wie in einem Flickenteppich zu einer Art kollektiven weiblichen Erzählung im 20. Jahrhundert zusammensetzt. Mit jedem Ausschnitt, den man in den nach den Vornamen der Frauen benannten Kapiteln erhält, weitet sich der Blick und zugleich sinkt die Erzählung in die Tiefe auf die Ebene existenzieller Fragen. Sprachlich beeindruckt die Übertragung des durch Reime und Wiederholungen vorgegebenen Singsangs, der dem Text einen beschwörerischen Charakter verleiht. Zudem wechselt die Erzählinstanz zwischen Ich-Perspektive und einer allwissenden dritten Person, in der sich die Positionen der Figuren situativ zum Ich und zur Welt spiegeln.

Lisa Palmes, Polonistin und Übersetzerin von Joanna Bator und Olga Tokarczuk | Foto: Thomas Hummitzsch

Im Gespräch ging Palmes, die auch die Literatur von Literaturnobelpreisträgerin Olga Tokarczuk übersetzt (hier das Toledo-Arbeitsjournal zur Übersetzung des Romans »Die Jakobsbücher«), auf die Hintergründe einzelner sprachlicher Verschiebungen ein, die etwa vom Polnischen gorzki als Ausruf zu dem polnisch klingenden Lehnwort Butterko führen. Dieses Spiel mit den Registern würden »Gerüche, die Stofflichkeit der jeweiligen Epoche, die Erfahrung von Gewalt in einer Männerwelt sprachlich erfahrbar« machen, begründete die Jury ihre Nominierung.


Ron Winkler – Lawrence Ferlinghetti: Angefangen in San Francisco

Lawrence Ferlinghetti: Angefangen mit San Francisco. Übersetzt aus dem Englischen von Ron Winkler. Schöffling Verlag 2023. 260 Seiten. 28,- Euro. Hier bestellen.

Ron Winkler hat Lawrence Ferlinghettis Gedichte aus dem amerikanischen Englisch übersetzt, die in dem Band »Angefangen in San Francisco« erschienen sind. Die Gedichte sind zwischen den 1950ern und 1980er Jahren erschienen. Den revolutionären Rhythmen des Free-Jazz verpflichtet, greifen sie Debatten und Ereignisse der Zeit auf und lassen hinter die Fassade des Gründers von City Lights blicken. Ferlinghetti, der Beat-Poeten wie Allen Ginsberg verlegt hat, ringt in seinen Versen dem Leben auf der Straße ebenso poetische Momente ab wie er im Beat eines frühen Rappers die gesellschaftlichen und politischen Verhältnisse pointiert anklagt.

Ron Winkler ist der Übersetzer von Lawrence Ferlinghettis Gedichten | Foto: Thomas Hummitzsch

Winkler berichtet im Gespräch, dass die Texte wohl oft in vielen performativen Situationen entstanden sind, ihr Sound deshalb sehr mündlich und lebendig wirke. Davon habe er sich nicht beeindrucken lassen. Statt die Aufführung nachzuahmen, habe er die Texte als gedruckte Buchstabenflut ernst genommen und sei dem Rhythmus gefolgt, den die Zeichen als solche und in der Ordnung der Verse vorgeben. Entstanden sei »eine Übersetzung, die aus heutiger Zeit auf einen Geist von damals antwortet«, so die Jury bei der Nominierung der Übersetzung, die mit Phantasie und sprachlichem Übermut »Ferlinghetti als Wahlverwandten von Dante und Chagall« plausibel mache. Ob diese Verse eher ästhetische oder politische Werke sind, müsse jede:r selbst entscheiden, so Winkler. Ganz sicher sind sie aber literarische Erlebnisse, die die Welt und den unwiderstehlichen Puls der Zeit einfangen. 


Jennie Seitz – Katerina Gordeeva: Nimm meinen Schmerz

Katerina Gordeeva: Nimm meinen Schmerz. Geschichten aus dem Krieg. Aus dem Russischen von Jennie Seitz. Verlag Droemer Knaur 2023. 352 Seiten. 24,- Euro. Hier bestellen.

Zuletzt konnte Jennie Seitz ihre Übersetzung aus dem Russischen der von Katerina Gordeeva eingesammelten Geschichten aus dem Ukraine-Krieg vorstellen, die unter dem Titel »Nimm meinen Schmerz« erschienen sind. Es sind die Berichte von Überlebenden im Wortsinn – von Menschen, die aus Butscha, der Ostukraine oder Mariupol geflohen sind –, die in ihrer Form selbst schon existenzialistische Dokumente sind. Das erinnert einerseits an die essayistischen Erkundungen von Literaturnobelpreisträgerin Swetlana Alexijewitsch, andererseits aufgrund der zeitlichen und thematischen Nähe auch an die Briefe ukrainischer Frauen, die die französische Journalistin Aurélie Bros gesammelt hat.

Jennie Seitz hat Katerina Gordeevas Kriegsberichte »Nimm meinen Schmerz« übersetzt | Foto: Thomas Hummitzsch

Die russische Journalistin Gordeeva, die im Exil lebt, lässt in ihren Texten die Menschen, denen sie begegnet ist, den Raum, ihre Geschichten zu erzählen, ohne diese künstlich zu schleifen oder zu bewerten. Gerade diese Geste mache den Wert dieser zutiefst menschlichen Erzählungen aus, erklärte Seitz im Gespräch. Diese Zurückhaltung werde auch im übersetzten Text deutlich, lobte Juror Moritz Baßler. Seitz deutscher Text mache nicht mit expressionistischen Endzeitbildern (die es gibt) Lärm, sondern besteche in seiner Stille und Nachdenklichkeit, den genauen Beobachtungen und schlichten Schilderungen. Seitz mache die verstörenden Erfahrungen eindringlich lesbar, lobte die Jury. Die einzelnen Stimmen seien in Ton und Sprechweise präzise unterscheidbar. Dabei entwickelt der Text eine über die Dokumentation hinausgehende, universelle humanistische Kraft. 


Es ist immer wieder ein Erlebnis, die Übersetzer:innen über ihre Arbeit sprechen zu lassen. Ihnen und dem Publikum wäre zu wünschen, dass die jeweiligen Mitglieder der Leipziger Buchpreisjury, die diese Gespräche führen, sich kurz bewusst machten, wo sie diese Gespräche führen. Das geschieht seit Jahren im Übersetzerzentrum der Leipziger Buchmesse, die Übersetzungsarbeit bekommt hier, unterstützt vom Verband deutschsprachiger Übersetzer/innen (VdÜ) und dem Deutschen Übersetzerfonds (DÜF), ganz dezidiert eine Bühne. Da wäre es sinnvoll, wenn sie ihre Fragen auch auf die Feinheiten der Übersetzung abstellten und sich nicht in Plattitüden zur Handlung der Romane oder deren grundsätzlicher oder aktueller Relevanz – die sie doch als Jury längst geklärt haben sollten – aufhielten. Alles andere wirkt wie leicht neben die Norm gesetzt, nur ist das hier kein Qualitätsmerkmal.

2 Kommentare

  1. […] die Antwort schuldig, worin die preisverdächtige Übersetzungsleistung in diesem Fall besteht. Dies war auch schon bei der Vorstellung der nominierten Übersetzertitel ein Manko. Statt sich mit der Übersetzung auseinanderzusetzen, floh sich die Jury in Plattitüden zur […]

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