Barbi Markovic hat mit »Minihorror« den Preis der Leipziger Buchmesse gewonnen. In ihrem fünften Buch begibt sie sich mit einem skurrilen Pärchen in die Abgründe des Alltags und vermisst diese mit genauem Blick.
Miki: Wie viel Ironie kann Literatur eigentlich vertragen? Mini: Ja! Dieser Dialog ist keineswegs den unterhaltsamen Miniaturen entnommen, mit denen Barbi Markovic kürzlich den Belletristikpreis der Leipziger Buchmesse gewonnen hat. Es wäre auch anmaßend, zu behaupten, er könnte Teil von »Minihorror« sein. Aber die abenteuerliche Logik, die in diesem sprachlich missglückten, aber durchaus zeitgemäßen Mini-Diskurs steckt, ist eine, auf die auch die in Belgrad geborene und in Wien lebende Schriftstellerin setzt.
Was hilft schon eine orthografisch korrekte Sprache in einer Gesellschaft, die sich gar nicht mehr verstehen will. Die wechselweise oder zeitgleich von Kapitalismus, Mystizismus und Individualismus regiert wird? Genau, gar nichts. Warum also nicht die Sprache Sprache sein lassen und von dem erzählen, was wirklich ist? Und genau das macht Markovic in ihren unheimlich komischen, aber auch irgendwie gruseligen Erzählungen aus dem Leben eines in Wien lebenden Pärchens. Miki ist ein Ur-Österreicher aus Osttirol, Mini gebürtige Serbin, die zwar schon eine Weile in Österreich lebt, mit so manchem Brauch aber ihre Schwierigkeiten hat.
So erlebt man die beiden einmal in Mikis Heimat beim traditionellen Krampuslauf. Der Krampus ist eine Art Schreckgespenst der Adventszeit, der in den ostdeutschen Bergregionen gern als Bartel durch die lokalen Bräuche geistert. Lokale Bräuche sind das ideale Einfallstor für den kleinen und großen Horror, wie wir spätestens seit Ari Asters Film »Midsommar« wissen. Ganz so rabiat steigt Markovic nicht ein, aber sie macht unverkennbar die ignorierten Abgründe hinter dem Brauch deutlich.
»Männer verkleiden sich als Monster. Ihre Masken heißen Larven, kosten mehrere tausend Euro und werden sorgfältig angefertigt. Mini lernt Folgendes über diese gefährlichen Wesen, und auf eine gewisse Art ist das, was sie lernt, wirklich nichts Neues für sie: Sie muss aufpassen, von den verkleideten Männern nicht geschlagen oder vergewaltigt und von ihren riesigen Accessoires nicht am Kopf getroffen zu werden. Sie muss aber auch dauernd auf diese Wesen aufpassen, weil sie zugleich gewalttätig und zerbrechlich sind.«
So kippen die ausgezeichneten 28 Miniaturen (exklusive Bonusmaterial) immer wieder in die kleinen Gemeinheiten und Grausamkeiten des Alltags. Es geht um Kriegsverbrecher und senile Selbstdarsteller, um die Bodenlosigkeit der Selbstständigkeit und die Verheerungen des Klimawandels, um Gurkenflieger und Kitzelmonster, Diäten, Routinen und die Nachbarn. Der Horror des Alltags ist immer nur eine Ecke entfernt.
Der titelgebende Minihorror schlägt in den Alltagsszenen von Mini und Miki die großen Tragödien, die ohnehin im Kleinen mitschwingen. Markovics »Minihorror« ist eine markante Alternative zur gängigen Autofiktion, ist bis zum Rand gefüllt mit Popkultur und Ironie. Die stilbrechende Prosa der in Belgrad geborenen und in Wien lebenden Autorin ist von einer eindrucksvollen Souveränität. »Minihorror« liest sich wie eine Miniserie des Absurden. Da ist man kurz geneigt, die »Kafka«-Serie von Daniel Kehlmann und David Schalko als flimmerndes Gegenstück sehen zu wollen, muss dann aber schnell einsehen, dass die Prosa der 43-jährigen Autorin dann doch die größere Unterhaltung bietet.
Das liegt auch daran, dass die zusammenhängenden Erzählungen wie eine Soap ineinandergreifen. Immer wieder geraten Mini und Miki aneinander, sie trennen sich und raufen sich wieder zusammen. »Die Kunst besteht darin, den Moment kurz vor der Katastrophe zu erkennen«, heißt es in einer der ersten Geschichten. »Täglich spielen Paare, Wohngemeinschaften und Familien dieses gefährliche Spiel. Die Ordnung ist ein Arschloch, schon das Streben danach macht etwas mit den Leuten.«
Gegen dieses Arschloch hat Barbi Markovic schon in ihrem Vorgängerroman »Die verschissene Zeit« (erstmals auf Deutsch) angeschrieben. »Gehe zurück. Erinnere dich exzessiv. Alles ist nur eine Frage der Chronologie«, heißt es am Ende ihrer magisch-realistischen Tour de Mémoire, in deren Mittelpunkt drei Jugendliche stehen, die in einem (tatsächlich spielbaren) Rollenspiel – eine Art Auskopplung davon befindet sich auch um Bonusmaterial von »Minihorror« – das Belgrad der Neunziger Jahre vor der verheerenden Dynamik aus Armut, Gewalt und Korruption retten müssen. Dabei ist die unterhaltsame Geschichte derart voll mit Zeitkolorit, dass man geneigt ist, diesen großartigen Roman – dessen ausgebliebene Berücksichtigung beim Deutschen und Österreichischen Buchpreis Clemens Setz als »reichlich albern« beschrieb – dem Steampunk zuzurechnen.
Dem großen Horror des Krieges folgt nun also der »Minihorror« des Alltags, in dem auch Mini und Miki nicht von der Katastrophe verschont bleiben. Irgendwann geht alles den Bach runter, sie trennen sich, ja wir tragen sie lesend sogar zu Grabe. Aber da haben sie längst eine Wirklichkeit in einer anderen Dimension angenommen. Als hätte Markovic die Unsterblichkeit von Walt Disneys berühmtesten Figuren einfach mal für sich vereinnahmt.
Wer das voreilig als l’Art pour l’Art missversteht, irrt sich gewaltig, denn die Ironie ist gepaart mit einem genauen Blick für die Dinge und einer Sprache, die diese Dinge auf den Punkt bringt. Dem Leid der Welt sagt beispielsweise das Kitzelmonster den Kampf an, weil es die Tränen der Trauer nicht ertragen kann. Also stürzt es sich auf jene, denen nicht geholfen wird. »Das Kitzelmonster attackiert die Beraubten und und Verprügelten, das Kitzelmonster kitzelt die Ertrinkenden im Mittelmeer.«
Das literarische Werk von Barbi Markovic
Das Politische und Gesellschaftliche ist in Markovics Geschichten immer anwesend, auch deshalb erhält Markovic in der kommenden Woche den Carl-Amery-Literaturpreis 2024. Der Verband deutscher Schriftstellerinnen und Schriftsteller und der Luchterhand Literaturverlag verleihen den Literaturpreis an zeitkritische, deutschsprachige Autorinnen und Autoren, die neue ästhetische Wege gehen und damit das Spektrum literarischer Möglichkeiten erweitern.
Als Mini ins Krankenhaus muss, taucht dort auch das Kitzelmonster auf. Nicht, weil es schlecht um Mini steht, sondern weil es in Krankenhäusern nie gut um irgendwen steht. Vor allem nachts nicht. »In einer Krankenhausnacht ist es manchmal schwieriger zu überleben, als zu sterben, weil niemand zuschaut. Die Schmerzen und Ängste aller daliegenden Personen ufern komplett aus und vermischen sich. Wirklich, in der Nacht im Krankenhaus herrscht eine sehr ungute Atmosphäre, das kann Mini bestätigen.«
Immer wieder leben Mini und Miki die Idotien vor, die wir alle kennen, die von wissender Selbstausbeutung erzählende Episode »Selbstständig« ist ein grandioses Beispiel dafür. Da weint Mini im Shared-Office-Space, »weil sie unmöglich alles schaffen kann«, was sie schaffen soll, und doch nicht aussteigen kann aus diesem Hamsterrad. Wie Markovic die Hölle des liberalen Kapitalismus hier auf zwei Seiten auf den Punkt bringt, ist einfach nur grandios.
In ihrem fünften Buch, das in seinem Bonusteil nicht nur 105 zusätzliche Miniaturen des Horrors mit Mini und Miki enthält, sondern auch eine Gastgeschichte von Mercedes Kornberger und ein Mini-Rollenspiel von Thomas Brandstetter, schöpft Barbi Markovic alle Mittel aus, um zu zeigen, wer in diesem Irrsinn namens Leben wem am Ende das Rückgrat bricht. Das zu wissen ist hilfreich, um die kleinen und großen Tragödien des Alltags möglichst unbeschadet zu überstehen.