Artbooks, Fotografie

Weiblicher Blick

Noch bis Anfang Juli ist in Lübeck die Ausstellung »Female View – Modefotografinnen von der Moderne bis zum Digitalen Zeitalter« zu sehen. Dieses Who is Who der internationalen Fotokunst öffnet die Augen für Perspektiven, die die Wirklichkeit nicht ausblenden. 

Lee Miller ist die erste Fotografin, die in den Kopf kommt, wenn man an Modefotografie denkt. Als Assistentin von Man Ray in Paris lernte sie früh, Menschen und Objekte ins rechte Licht zu rücken. Googelt man nach ihren Bildern, stößt man auf ein Potpourri aus Nachkriegs- und Modefotografie, eine der bekanntesten zeigt sie selbst in der Badewanne in Hitlers Wohnung in München-Dachau. Die Wunden ihrer Zeit hat Miller oft auf ihren Fotos abgebildet, wie auf dem Abzug von 1941, auf dem ein Model in einem Digby-Morton-Kostüm vor einer zerbombten Stadtlandschaft zu sehen ist. Die Wirklichkeit einer Frau, so hallt es von dieser Fotografie, ist zwangsläufig auch mit der Wirklichkeit der Welt und den Verhältnissen, in denen Frauen leben, verbunden.

Schon hier wird deutlich, worauf die Ausstellung zielt. Es geht den Macher:innen der Schau darum, dezidiert weibliche Perspektiven zu versammeln, die in einem Modell mehr sehen als eine hübsche Kleiderstange. Die in der Schau versammelten Bilder sind auch Ausdruck einer Art empathischen Zuwendung der Fotografierenden zu den Fotografierten. Die Modefotografie von Frauen ist oft auch ein gesellschaftspolitisches Abbild der Zeit.

Lee Miller, Model (Elizabeth Cowell) wearing Digby Morton Suit, 1941 © Lee Miller Archives

Geschichte spielt immer wieder eine große Rolle, sei es in den besonderen Biografien der Fotografinnen oder in der aufgenommenen Zeitgeschichte. Die Verfolgung jüdischer Fotografinnen taucht immer wieder auf, etwa in der Berücksichtigung der Arbeiten der in einem KZ ermordeten jüdischen Berliner Fotografin Else Ernestine Neuländer, der Fotografien von der halbjüdischen Fotografien Ingeborg Hoppe oder der Malerin und Fotografin Lillian Bassman.

Das Werk von Bassman, das vor mehr als zehn Jahren in einer Retrospektive mit dem ihres Mannes Paul Himmel in Hamburg gezeigt wurde, hat seine Wurzeln in der Modefotografie der vierziger und fünfziger Jahre, nachdem sie zunächst die Kriegsfolgen mit der Kamera festhielt. Als Assistentin bei Harpers Bazaar arbeitete sie mit Fotografen wie Richard Avedon oder Martin Munkácsi zusammen. Als sie zur kreativen Leiterin des renommierten Magazins aufstieg, konfrontierte sie die Modefotografie mit sozialen und gesellschaftlichen Fragen. Unter ihrer Führung als künstlerische Leiterin hatte sich in dem Magazin eine dynamische, lebensnahe und innovative Modefotografie entwickeln können. Hier nahmen ihre eigenen Fotoarbeiten ihren Ausgang, im Experiment mit Farben und Formen, im Überschreiten der bislang bekannten Grenzen und im Brechen von Gewohntem. Sie nahm ungewöhnliche Perspektiven ein, inszenierte Kleidung auf neue Art und Weise und ermöglichte so einen frischen Zugang zur Mode.

Mit den Fotografien von Madame D’Ora, Lillian Bassman und Louise Dahl-Wolfe geht die Modefotografie auf die Straße. Ob königliche Gärten oder städtische Panoramen – die Modefotografie sucht die Wirklichkeit und lässt die artifizielle Umgebung der Studios hinter sich. Das wird auf den Bildern von Charlotte March und Alice Springs, aber auch im fotografischen Werk von OSTKREUZ-Pionierin Ute Mahler deutlich. Sie holen in den Siebzigern die Frau raus aus der Enge von Haushalt und Fürsorge und geben der selbstbewussten Frau die Bühne.

Alice Springs alias June Newton arbeitete oft mit ihrem Mann Helmut Newton zusammen, stand für ihn oft selbst vor der Kamera. Sie ließ den Frauen auf ihren Bildern mehr Freiheiten als ihr Mann. Sie erhob sie nicht zu anbetungswürdigen Gottheiten, sondern suchte eher einen spielerischen Zugang zur Ausstrahlung einer Frau. Dass dieser Ansatz nicht auf Frauen beschränkt ist, kann man ihrer Aufnahme von Helmut Newton im Kimono entnehmen.

GABO: Eva Padberg, Fine art print/ Hahnemühle Büttenpapier © GABO

Fotografinnen in der DDR wie Ute Mahler und Sibylle Bergemann suchten im öffentlichen Raum die leise Konfrontation zwischen den Verlockungen der Mode und der realsozialistischen Wirklichkeit. Ihre Modefotografie für die offizielle Modezeitschrift der DDR Sibylle blieb immer eng mit Aufnahmen aus dem DDR-Alltag verbunden. Das hat gut funktioniert, weil die Mode ganz im Sinne der Ideologie zweckgebunden sein sollte. Statt artifizieller Modewelt brauchte es eine Inszenierung der tristen Alltagskleidung. Dazwischen finden sich aber auch immer wieder Aufnahmen aus den anarchischen Ecken der Modewelt und Inszenierungen, die im Nachhinein wie kleine Provokationen wirken – bei Bergemann noch mehr als bei Mahler.

Spielerisch provokant sind auch die Aufnahmen von Fotografinnen wie Bettina Rheims, Ellen von Unwerth und GABO alias Gabriele Oestreich-Trivellini. Sie alle spielen mit kulturellen Erzählungen. Glamourös inszenieren sie Bilder, die zwischen Mode- und Aktfotografie wandeln. Sie setzen selbstbewusste (und oft prominente) Frauen als Lolita oder Femme Fatale ins Licht, um deren Innenwelt in der Außenansicht zu finden.

Manche dieser Ende der Neunziger und Anfang der 2000er Jahre entstandenen Bilder würden heute wohl als sexistisch oder genderstereotyp gelten. Wie sich der (gender)offene Blick auf die Wirklichkeit auch in die Modefotografie geschlichen hat und diese zunehmend von Influencer:innen geprägt wird, zeigt die Ausstellung mit Bildern der niederländischen Fotografien Liv Liberg oder der Fotografinnen Amber Pinkerton und Nadine Ijewere, die Stereotype hinterfragen, die Wirklichkeit von Black Lives spiegeln und mit dem gewöhnlichen Blick brechen, um ein neues Sehen zu ermöglichen. Ijeweres großartige Fotografien konnten im vergangenen Jahr in der Berliner C/O-Galerie bewundert werden.

Amber Pinkerton: Nadia, Girls Next Door, 2020, Digital C-Type © The Artist, Courtesy Alice Black Gallery, London

Kuratorin Antje-Britt Mählmann freut sich, dass die meisten der ausgestellten Fotografinnen mit Normen weiblicher Tätigkeit und Selbstdarstellung brechen konnten. »Viele von ihnen bringen Gender-Klischees spielerisch zum Einsatz, stellen sie auf den Kopf oder finden neue überraschende Wege, sie zu hinterfragen oder zu umgehen«, sagte Sie zur Ausstellungseröffnung. »Dies ist der rote Faden, der die ausgestellten Werke von den 1930er Jahren bis hin zu den Darstellungen im heutigen, digitalen Zeitalter verbindet – so unterschiedlich die Fotografien durch den Einfluss des jeweils aktuellen politischen Geschehens und den Trends der Zeit auf den ersten Blick auch scheinen mögen.«

Natürlich ist die Schau in der Lübecker Kunsthalle St. Annen nicht abschließend und allumfassend, kann sie gar nicht sein. Bei einem solchen Projekt fehlen immer Vertreterinnen der einen oder anderen Linie. So hätten die Modeaufnahmen von Ellen Auerbach, Diane Arbus, Annie Leibovitz oder Cindy Sherman, von Hellen van Meene oder Keiko Nomura sicher auch einen Platz finden können. Insbesondere aus Asien hätte man gern Eindrücke gehabt, zumal der Kontinent im Zeitalter der digitalen Fotografie immensen Einfluss auf bildästhetische Fragen nimmt. Aber insgesamt bildet diese Schau den »Female View« und seinen Wandel in den Stürmen der Zeit ab und rückt – längst überfällig – weibliche Perspektiven ins Bewusstsein.

Antje-Britt Mählmann (Hrsg.): Female View. Modefotografinnen von der Moderne bis zum Digitalen Zeitalter. Mit Texten von Nadine Barth, Antje-Britt Mählmann, Eugenie Shinkle, Monika Frank, Diana Weis. Hatje Cantz 2022. 192 Seiten, 120 Abbildungen. 38 Euro. Hier bestellen