Siebzig Jahre posiert Twinka Thiebaud schon vor den Kameras zahlreicher Fotograf:innen. Eine Ausstellung in den USA und der begleitende Bildband lassen nicht nur eine aufregende Künstlerin entdecken, sondern zeigen, wie Thiebaud Körper und Blick je nach der Umgebung und Vision der Künstler:innen zu verändern wusste.
Wann beginnt eigentlich eine Karriere, sei es als Schauspieler:in, Künstler:in oder Model? Diese Frage wirft eine Ausstellung im Crocker Art Museum im kalifornischen Sacramento auf, die dem Model Twinka Thiebaud gewidmet ist. Die 1945 in Los Angeles geborene Thiebaud ist unter Fotograf:innen eine Ikone, die Aufnahme »Imogen and Twinka at Josemite« von Judy Dater aus dem Jahr 1974 gilt als eine der wichtigsten Fotografien einer amerikanischen Fotografin in der Kunstgeschichte. Es zeigt die amerikanische Fotografin Imogen Cunningham, die mit einer Kamera um den Hals die nackte Twinka Thibaud beobachtet. Pate für dieses Aufnahme steht Thomas Hart Benton’s Gemälde »Persephone«, auf dem die griechische Göttin nackt an einem Baum gelehnt abgebildet ist und von einem Bauern beobachtet wird.
»Twinka Thiebaud And The Art Of The Pose« versammelt rund einhundert Gemälde, Zeichnungen und Fotografien mit Bezug zu dem amerikanische Model. Die ersten Arbeiten umfassen Zeichnungen und Skizzen von ihrem Vater Wayne Thiebaud, der mit Vergnügen seine Tochter zeichnete, seit sie drei Jahre alt war. Später saß sie ihm Model für seine ersten Pop-Art-Arbeiten, mit denen ihm der Durchbruch als Künstler gelangen sollte. In den Kinderschuhen startete sie also in ein Leben als Muse und Model, das auch die 77-jährige noch ausfüllt.
In den Siebzigern startete sie ihre Karriere als Fotomodel für zahlreiche Künstler, die erste Fotografie in der Ausstellung ist ein frontales Porträt von Jack Welpott aus dem Jahr 1970. Recht schnell entdeckten auch andere Fotografen die besondere Ausstrahlung von Twinka Thibaud, für Judy Dater, Jack Welpott, Eikoh Hosoe, Arnold Newman, Mary Ellen Mark, Robert Heinecken, Kim Campbell und John Reiff Williams wurde sie zu einem der Lieblingsmodelle.
Schriftsteller Henry Miller, mit dem Thibaud einige Jahre zusammenlebte, schrieb, dass es für ihn vor allem ihre Augen sind, die seine Blicke fesseln. »Sie sind die Augen eines inneren Wesens, das seine Freiheit behauptet. Sie können mit der glühenden Hitze des Zorns brennen oder einfach nur mit ihren ruhigen Strahlen der zärtlichen Leidenschaft schmelzen. Wäre sie aus einer anderen Epoche, einem anderen Land, könnte man sie an der Fassade eines Hindutempels finden, als eine weitere Schülerin der Göttin Kali.«
Vor allem aber sei sie »so etwas wie eine Kreuzung zwischen einem Akrobaten und einem Equilibristen«, könne die schwierigsten Pose einnehmen und unbegrenzt beibehalten, schreibt Miller weiter. Im Grunde sei sie für die Kamera geschaffen, schreibt Miller weiter., sei das Nonplusultra der Kultiviertheit und der unbeugsamen Frau. »Auf der Natur – Wüste, Felsen, Klippen, etc. lässt sie dem Tier in ihr freien Lauf. Sie kann ihre Farben ändern, um sich den unzähligen Mustern der Natur anzupassen, so schnell wie ein Chamäleon seine Farben ändert, um sein Leben zu schützen. Das Beste in ihr schreit nach dem hungrigen, fordernden Auge der Kamera.«
Der Ausstellungskatalog, der neben Texten über die Bedeutung der Natur in den Inszenierungen mit Twinka Thiebaud auch ein sehr aufschlussreiches Interview mit dem Model enthält, versammelt zahlreiche Fotografien, auf denen Twinka Thiebauds fokussierter Blick auf das Auge der Kamera trifft. So wird der Blick des Betrachters auch bei den Aktaufnahmen von den dunklen Augen angezogen, bevor er überhaupt zur Pose und zum Körper wandert. Vor allem aber zeigt der Band Thiebauds Anpassungs- und Wandlungsfähigkeit an die jeweilige Szenerie und künstlerische Vision, die ihrer Bedeutung für zahlreiche Fotograf:innen der Westcoast bis heute zugrunde liegt.
Ob als sinnliche Nymphe oder Femme Fatale, als Mädchen von Nebenan oder entfernter Traumfrau – Twinka Thiebaud hat mit ihrem Schaffen der amerikanische Aktfotografie in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts Menschlichkeit eingehaucht. In einer Zeit, in der der nackte Körper mehr und mehr als Lustobjekt ausgestellt wurde, hat sie den Körper in all seiner Verletzlichkeit und Anmut selbst sprechen lassen.