Als der deutsche Fotograf Thomas Hoepker erfährt, dass er an Alzheimer erkrankt ist, beschließt er, noch einmal durch die USA zu fahren. Ein Dokumentarfilm und ein Bildband erzählen von dieser Reise und halten die Erinnerungen fest, die Hoepker zunehmend verloren gehen.
Das Wichtigste beim Fotografien ist, dass man Augen hat, kommentiert Thomas Hoepker schelmisch in die Kamera, als ihn sein Dokumentarist Nahuel Lopez danach fragt, was das Geheimnis seiner Fotografie sei. Was die knapp zweistündige Dokumentation »Dear Memories« dann auch eindrucksvoll zeigt.
Hoepker ist einer der erfolgreichsten deutschen Fotografen, seit 1976 lebt er in den USA, New York City. 1989 wurde er als erster deutscher Fotograf Mitglied der weltweit bekanntesten Fotoagentur Magnum, der er von 2003 bis 2007 sogar als Präsident vorstand. Dass er sich auch schon vorher für die grenzüberschreitende Unterstützung von Fotograf:innen eingesetzt hat, kann man aktuell auch in der Berlinischen Galerie sehen, wo eine Sammlung mit Fotografien von Sibylle Bergemann zu sehen ist. Noch zu DDR-Zeiten durfte die mit ihrem Mann Arno Schmidt einige Wochen in die USA reisen, Hoepker war damals ihr Gastgeber.
Der 1936 in München geborene Fotograf hat unzählige ikonische Bilder gemacht, er ist einer der besten seiner Generation. Gemeinsam mit Robert Lebeck und Stefan Moses hat er den deutschen Blick auf die USA geprägt. Legendär wurde seine Fotografie einer Gruppe junger Menschen, die am 11. September 2001 am östlichen Ufer des East-River vermeintlich teilnahmslos in ein Gespräch vertieft sind, während auf der gegenüberliegenden Seite die Rauchsäulen vom Ground Zero in den Himmel steigen.
Der deutsch-chilenische Regisseur und Filmemacher Nahuel Lopez (»Daniel Hope – The Sound of Life«) hat den deutschen Fotografen auf einem Road-Trip durch die USA mit der Kamera begleitet. Im Herbst 2020 ist der damals 84-jährige Fotograf noch einmal mit seiner Partnerin, der Filmemacherin Christine Kruchen, noch einmal im Wohnmobil mit Fotoausrüstung an Board von New York nach San Francisco gereist. Sie halten in Orten, die vom Aussterben bedroht sind, besuchen unterwegs Freunde und werden Zeugen des damaligen Präsidentschaftswahlkampfs. Es wird wohl die letzte von vielen Rundreisen Hoepkers durch seine geliebten Staaten gewesen sein, denn der Fotograf leidet an Alzheimer.
Damit beginnt auch der Film, denn Hoepker muss sich aufgrund der Erkrankung regelmäßigen Untersuchungen unterziehen, bei denen seine kognitiven Fähigkeiten und sein Erinnerungsvermögen getestet werden. Im Herbst 2020 herrscht weltweit Corona, hinter der Maske erkennt man den Fotografen in der Klinik zunächst nicht. Als die Tests nicht so verlaufen, wie er sich das erhofft, hebt er kurz die Maske und streckt der untersuchenden Ärztin verschmitzt die Zunge raus.
Hier blitzt er auf, der Witz und Humor, der Hoepker seit jeher den Zugang zu den Menschen ermöglicht hat. Dass man in den zwei Stunden vielmehr dem Menschen hinter dem Fotografen nahekommt, gehört zu den herausragenden Leistungen dieser Dokumentation. Sicher lohnt sich das Blättern in seinem Werk und das Theoretisieren über die Arbeit mit Fotografie nicht nur für Fans der Fotokunst, aber man wird hier Zeuge von einem der letzten lebenden Fotografen einer Generation, die noch unbekannte Ecken in der Welt entdecken und Fremde erfahren konnte. Die aus Interesse an den Menschen und nicht aus Sensationslust mit der Kamera unter dem Arm losgezogen ist, um die Welt einzufangen.
Liebhaber seiner Fotografie finden in dem Bildband »Thomas Hoepker. The Way it was. Road Trips USA« Aufnahmen von der Reise durch die USA, die Grundlage von Nahuel Lopez Doku ist. Die Aufnahmen werden verschränkt mit ikonischen Aufnahmen, die der Deutsche 1963 auf seiner ersten USA-Reise gemacht hat. Damals war er im Auftrag der Illustrierten Kristall drei Monate in den USA unterwegs und machte tausende Bilder, von denen Dutzende in einer vierteiligen Reportage gezeigt wurden.
Dass er seine Gabe nicht verloren hat, macht eine Szene im Film deutlich. Da halten Hoepker und seine Lebensgefährtin an einer alten Bahnstrecke. Eigentlich gibt es da nichts zu sehen. »Andere sehen da nichts, du siehst was«, klopft ihm da Christine Kruchen ermunternd auf die Schulter. Nach Stunden kommt Hoepker zurück, die Kamera voller Eindrücke. Als sie die später gemeinsam durchgehen, wird deutlich, wie sehr den Fotografen solche Auswahlprozesse belastet haben müssen. Die eigenen Arbeiten zu editieren sei kein angenehmer Prozess, sagt er da, weil sie einem ständig das eigene Unvermögen vor Augen führen.
Legt man den gerade erschienenen Bildband neben den Film, dann erlebt man eine doppelte Zeitreise – einmal in den Aufnahmen des Bildbands und dann wiederum durch Hoepker selbst, der 2020 zwar schon merklich an seiner Krankheit litt, sich aber noch an einige Momente seiner Karriere recht genau erinnern konnte. Etwa daran, wie er in Südostasien begriff, dass er als Fotograf lange Zeit nur nach den Bruchstellen einer Gesellschaft gesucht habe, statt sich auf die Schönheit und Magie des Daseins einzulassen.
Zugleich stellt der Film grundsätzliche Fragen. Gehört die Reportagefotografie der Kunst oder dem Journalismus? Gehört sie an Museumswände oder zwischen Buchdeckel? Ist es bedeutsam, Fotos wiederzubeleben, die in Archiven ruhen? Und ist es nützlich, sich überhaupt zu erinnern? Interessanterweise spielte das Erinnern beziehungsweise die ausbleibende Erinnerung bei der Zusammenstellung der Bilder für den neuen Bildband eine wichtige Rolle. Der Prozess scheint für Hoepker nun nicht mehr ganz so schmerzhaft zu sein, weil er die Bilder betrachte wie Aufnahmen eines Fremden, wie Herausgeber Freddy Langer in einem Video zur Entstehung des Albums berichtet.
Ein gutes Foto, sagt Hoepker in Lopez‘ berührender Dokumentation, könne einem vielleicht einmal im Jahr gelingen, der Rest sei Routine auf hohem Niveau. Dass man seinen Bildern die Routine nie, das hohe Niveau aber immer ansieht, gehört zu den Qualitätsmerkmalen von Hoepkers fotografischer Kunst.