Film

Niemand liebt niemanden

Die österreichische Regisseurin Marie Kreutzer zeichnet in »Corsage« ein zeitgemäßes Porträt von Kaiserin Sissi und strickt weiter am Mythos um die Wittelsbacher Monarchin.

40 Jahre – so alt wurden im Schnitt Frauen im 19. Jahrhundert. Kaiserin Sissi von Österreich-Ungarn feiert ihren 40. Geburtstag in Marie Kreutzers feministischem Historiendrama mit verkniffener Miene. Zwar singen ihre Gäste, dass sie hochleben und schön bleiben solle, für Sissi ist das aber nichts anderes als ein vergiftetes Kompliment. Denn in ihrer Zeit ist sie einfach nur eine alte Frau. Und die Monarchin, die als eine der schönsten Frauen ihrer Zeit galt, hadert mit ihrer sagenumwobenen Schönheit.

Der Zweifel Sissis an der eigenen Schönheit ist legendär, Liv Strömquist hat die österreichische Monarchin in ihrem Comic »Im Spiegelsaal« als hungernde und mit sich hadernde Vogelscheuche dargestellt, die – mutmaßlich aufgrund ihrer virulenten Essstörung – mit schlechten Zähnen und Haarausfall zu kämpfen hatte. Ob all das so stimmt, darüber streiten die Expert:innen.

Vicky Krieps, Jeanne Werner | © Robert Brandstätter / Alamode Film

In Marie Kreutzers Film »Corsage« wird das Rätsel elegant aufgelöst. Schönheit ist flüchtig und der Mensch hat nun mal Angst vor Flüchtigkeit, heißt es in dem Film der österreichischen Regisseurin (»Der Boden unter den Füßen«, »Was hat uns bloß so ruiniert«, »Gruber geht«), der im Mai bei den Filmfestspielen in Cannes im Wettbewerb »Un Certain Regard« Premiere feierte. »Ich kann nichts festhalten, außer mich selbst, und selbst das scheint mir eine ungeheure Anstrengung zu sein«, sagt die von Vicky Krieps gespielte Prinzessin da.

Der Film porträtiert die Wittelsbach-Prinzessin als Frau, von deren jugendlicher Schönheit nur eine Ahnung geblieben ist, die aber mit strengen Diäten und die Organe einschnürenden Korsagen versucht, das Älterwerden zu unterbinden. Ständig braucht sie die Vergewisserung, immer noch schön zu sein. Alle sollen sie anschauen. Sie liebt es, zu sehen, wie die Menschen sie ansehen. In einer Szene fleht sie Kaiser Franz Josef an, sie anzusehen, während sie masturbiert. Das Verhältnis zu ihrem Mann ist kompliziert. Wie auch sonst, wenn man als Frau dem eigenen Gatten überlegen ist, die einzige Aufgabe aber darin besteht, »dir deine Haare flechten zu lassen«. Dass er weitere Kinder will, sie sich aber nach vier Schwangerschaften und einem Kindstod nicht in der Lage sieht, ihm diesen Wunsch zu erfüllen, macht die Dinge nicht einfacher. Als Kaiser Franz Joseph dann mit einer jungen Dame durch die Wiener Gärten spaziert und sich Gerüchte einer heimlichen Liaison halten, ergreift sie die Flucht nach Cottesbrooke Hall, auf das Gut des Earl of Spencer in England.

Vicky Krieps | © Ricardo Vaz Palma / Alamode Film

Im Mittelpunkt dieses aufrüttelnden Dramas stehen die inneren Konflikte einer Frau, die gegen die höfischen Regeln und gegen den eigenen Körper rebelliert. Die sagenumwobene Kaiserin Sissi kämpfte mit den gleichen Problemen wie Frauen heutzutage, mit Sinnkrisen und Depressionen, Essstörungen und Körperkult, Affären und den Anforderungen an die perfekte Mutter. „Corsage“ zeigt die österreichische Monarchin aus einer dezidiert weiblichen Perspektive. An Stelle der weichgepuderten Romy Schneider tritt hier eine ebenso umwerfende wie kantige Vicky Krieps, die ihre zwischen den Sprachen und Welten wandelnde Figur als gleichermaßen verletzte wie entschlossene Kämpferin spielt. Die Luxemburgerin, die hier nicht das erste Mal mit Kreutzer zusammenarbeitet, gibt Sissi als wilde Tigerin, die sich gegen die Ketten wirft, die ihr angelegt worden sind. Im lesenswerten Zeit-Porträt sagt sie zu ihrer Rolle: »Was ich mit Sisi teile, ist vielleicht eine erhöhte Sensibilität. Wenn man eine Träumerin ist, ein bisschen sensibel ist und sich alles zu Herzen nimmt – wie geht man damit in die Welt? Etwa, indem man Künstlerin wird. Aber das durfte Sisi nicht. Sie war jung, wollte alles richtig machen, wollte geliebt werden. Und dann gerät sie in diese royale Maschinerie hinein.«

Der Film spielt von Anfang an mit Fluchtimpulsen. Schon den ersten Zusammenbruch der Kaiserin könnte man als Flucht vor der Realität deuten, kurz darauf eilt sie mit ihren Dienerinnen ins Schloss, während die französische Sängerin Camille im Hintergrund »Go Away« singt. Dieses musikalische Motiv taucht immer wieder auf. Es klingt wie eine Ermutigung, eine Aufforderung, wie ein Kontrapunkt zur Enge der titelgebenden »Corsage« der Verhältnisse, in denen sie eingesperrt ist. Und zugleich schwingt darin mit, dass sie weder etwas halten, noch zusammenhalten kann – nicht einmal ihre Fragilität und Zerbrechlichkeit. Tatsächlich verschwand die historische Kaiserin vor aller Augen, als sie anfing, ihr Gesicht nicht mehr in der Öffentlichkeit zu zeigen.

Vicky Krieps | © Robert Brandstätter / Alamode Film

»Niemand liebt niemanden. Jeder liebt, was er sich vom anderen wünscht. Und wir lieben, wer uns als das liebt, was wir selbst gerne wären.« Nur was, wenn wir selbst nicht sein können, wer wir selbst gerne wären? Und es auch niemanden gibt, der uns wenigstens als das liebt, was wir gern wären, aber nicht sein können? Das waren Fragen, die die österreichische Regisseurin in ihrer freien Erzählung interessiert und angetrieben haben. »Es ist doch wahnsinnig spannend, dass diese Frau quasi vor aller Augen verschwunden ist«, kommentiert sie ihre eigenen Motive.

Marie Kreutzer lässt sich – wie schon Pablo Larraín in seinem Diana-Porträt »Spencer« oder Céline Sciamma in ihrem barocken Film »Porträt einer jungen Frau in Flammen« – nicht vom historisch überlieferten Stoff an die Kette nehmen. Sie erzählt diese Geschichte frei und ganz bewusst aus der Gegenwart heraus, mit Musik von den Rolling Stones und dem wütenden Stinkefinger der selbstbewussten Frau, mit feministischen Kommentaren und skurrilen Brüchen. Werden Sissi zu Beginn die Gemächer im Wortsinn immer kleiner und enger, sieht man die Kaiserin am Ende tanzen, über ihren schmalen Lippen ein angeklebter Bart. Es ist ein besonderer Befreiungsschlag, den Kreutzer ihrer Heldin in diesem sehr gelungenen Porträt gönnt.

Marie Kreutzer: Corsage. Mit Vicky Krieps, Florian Teichtmeister, Katharina Lorenz. Grandfilm 2022. 112 Minuten.

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