Film

Dianas Befreiung

Kristen Stewart in »Spencer« von Pablo Larraín | © Pablo Larraín, DCM

Pablo Larraín hat mit »Spencer« einen Film über Lady Di gedreht, der den Royals nicht gefallen wird. Kristen Stewart brilliert in ihrer Rolle als ebenso unbändige wie warmherzige britische Prinzessin.

Wunderschön gelegen ist der Landsitz Sandringham in Norfolk, auf den sich die Queen alljährlich mit ihrer Familie zurückzieht. Zwischen weiten Feldern und tiefen Wäldern eingebettet liegt das Schloss, die britische Küste nur ein paar Fahrminuten entfernt. Allerdings ist es nicht einfach zu finden, wie Prinzessin Diana feststellen muss, als sie – im Gegensatz zur restlichen Familie – nicht mit Fahrdienst, sondern selbst im Porsche Coupé anreist. In einem Diner neben einer Tankstelle fragt sie nach dem Weg, ein erstes Signal für ihre Verbundenheit zu den einfachen Leuten.

Diana galt als volksnah und wenig abgehoben | © Claire Mathon, DCM

Zum Dinner am Vorweihnachtsabend wird sie zu spät kommen und die Queen nebst familiärem Gefolge auf sich warten lassen. Ein Affront in royalen Kreisen, in denen die Etikette alles und Empathie nichts ist. Denn dieses Weihnachten 1991 findet unter den Vorzeichen der Ehekrise zwischen Charles und Diana statt. Die britische Yellow-Press berichtet seit Wochen von einer außerehelichen Affäre, die Queen aber fordert Stiff Upper Lip. Diana aber will sich nicht zusammenreißen, zumindest nicht hinter verschlossenen Türen. Sie hat die Nase voll von den verlogenen Aufführungen der Royals. Wo auch immer sie bei diesem Weihnachtsfest auf die Barrikaden gehen kann, sie wird es tun.

Das alles wird aber nur angedeutet, wie Pablo Larraíns »Spencer« überhaupt viel mit Symbolen und Bildern arbeitet. Denn auch wenn draußen die Sonne scheint, ist es in dem im Stil der britischen Neorenaissance errichteten Landhaus eiskalt. Das stellt auch Diana fest, kaum dass sie die Eingangshalle betritt. Über die Kälte beklagt sie sich seit Jahren, aber auf menschliche Empfindungen nimmt hier niemand Rücksicht.

Das königliche Protokoll lässt keine Freiheiten | © Pablo Larraín, DCM

Die Tradition steht über allem. Ihr zu folgen ist oberste Regel. Deshalb müssen sich auch alle Anwesenden vor und nach den Feiertagen wiegen lassen, damit belegt werden kann, dass das Fest in allen Zügen genossen wurde. In Regeln erstarrt ist dieses Haus, echte zwischenmenschliche Begegnungen hat Diana nur mit ihren Söhnen oder dem Hauspersonal. Da ist der zugängliche Küchenchef Darren, den Sean Harris ebenso bestimmt wie empfindsam spielt, und ihrer Zimmerdame Maggie, die Sally Hawkins als ebenso ergebene wie Halt gebende Vertraute gibt. Timothy Spall bietet in der Rolle des Major Alistar Gregory den Gegenpol – eine unnachgiebige Quasimodo-Figur, der für die ordnungsgemäße Durchführung der Feiertage zuständig ist. Damit nichts und niemand das königliche Protokoll stört, führt er die Hausangestellten mit harter Hand.

Diana will aus diesem Haus eigentlich nur weg, doch sie darf nicht. Der Film gestattet ihr zumindest gedankliche Ausflüge. Nicht alle sind angenehm, manche gehen auch in die Abgründe, die sie in sich trägt. Dabei spielt auch Anne Boylen, eine der Ehefrauen von Heinrich VIII. eine Rolle. Während ihres Aufenthalts liest Diana in ihren Erinnerungen, in denen sie davon berichtet, wie ihr Mann sie immer wieder betrogen hat. Um dessen Seitensprünge zu decken, wurde sie wegen angeblichen Ehebruchs verurteilt und hingerichtet. Diana findet nicht nur in der Erfahrung, betrogen zu werden, eine Parallele, sondern auch in dem Gefühl, verstoßen zu werden. Denn die Frau, die sich immer wieder über die Regeln am Hof hinweggesetzt hat, ist in der Familie ihres Mannes in Ungnade gefallen. Anne erscheint ihr mehrmals im Film, ihr Zorn auf die Umstände hat auch wahnhafte Züge.

Der Film bietet großartige, nahezu klassiche Tableaus | © Pablo Larraín, DCM

Larraíns Kamerafrau Claire Mathon (»Mein Ein, mein Alles«, »Porträt einer jungen Frau in Flammen«) hat ein grandioses Auge für den Raum und seine Wirkung. Ob in den royalen Räumen, den Außenanlagen oder auf den Feldern, immer wieder gelingt es ihr mit ihrer Kamera, die Einsamkeit in und Ohnmacht gegenüber der königlichen Zwangsordnung einzufangen. Manche Einstellungen wirken wie klassische Gemälde, andere wie eine therapeutische Anordnung. Und dann wieder folgt ihre Kamera der Prinzessin durch die endlosen Flure des Schlosses, als würde sie sie jagen. Hier wird das Objektiv zum verlängerten Arm des königlichen Regimes, das Lady Di über die Hausangestellten bis in ihre privaten Zimmer verfolgt.

»Spencer« ist auch ein Kostümfilm, ohne in die Falle klassischer Kostümfilme zu tappen. Die Garderobe, die hier – insbesondere von Diana – aufgetragen wird, dient nicht voyeuristischen Zwecken, sondern als Symbol für das Korsett, in das sie immer wieder auf neue Weise gezwängt wird. Wer meint, eine Prinzessin könnte selbst wählen, was sie trägt, wird hier eines Besseren belehrt. Über ein dutzend Kostüme sind für die Feiertage für Lady Di vorgesehen, zum Kirchgang, zur Teatime, zum Diner, zur Bescherung – ständig soll sie ihr Outfit wechseln. Und immer wieder rebelliert sie gegen dieses Regime. Sie wechselt die Garderobe für die im Wald lauernden Paparazzi am offenen Fenster, zerstört symbolträchtige Schmuckstücke, fügt sich Verletzungen zu und lässt die Queen samt Gefolge mehr als einmal am gedeckten Tisch warten. Und immer wieder schließt sie sich im Bad ein, um sich im wahrsten Sinne des Wortes die seelischen Verletzungen, die ihr die Royals zufügen, aus dem Leib zu kotzen.

Die Zimmerdame Maggie (Sally Hawkins) ist eine der wenigen, denen Lady Di vertraut | © Pablo Larraín, DCM

Larraín, der bereits Natalie Portman als Kennedy-Witwe »Jackie« brillieren ließ, lässt Kristen Stewart, die zuletzt als Jean Seeberg in Benedict Andrews Biopic überzeugte, strahlen. Die Amerikanerin spielt als lebenshungrige Prinzessin von Wales ganz groß auf und Elizabeth Debicki, die in der Erfolgsserie »The Crown« die Rolle der Prinzessin spielt, locker an die Wand. Die Oscars werden 2022 an ihr nicht vorbeikommen. Mit bebender Energie macht sie Dianas Wut und Zorn selbst in den Momente spür- und sichtbar, wenn die Verzweiflung und Hilflosigkeit ihre Figur übermannt und gen Boden taumeln lässt. Ihr intensives, den Film tragendes Spiel verleiht dieser Frau Stolz, Anmut und Würde, ohne ihr etwas von der Einsamkeit zu nehmen, die sie umgab. Stewarts bis ins kleinste Detail stimmige Spiel präsentiert Diana als warmherzige, starke und melancholische Frau, die sich – insbesondere für ihre Söhne – mit aller Kraft gegen die übermächtige, eiskalte Institution des britischen Königshauses stemmt. Eine Frau, für die es dort keine Hoffnung gibt.

»Spencer« zeigt auch, welche Bedeutung Diana für ihre beiden Söhne in dieser Umgebung hatte. Sie war diejenige, die sie ganz normale Jungs sein ließ, die ihre kindlichen Bedürfnisse immer vor die royalen Pflichten gestellt hat. Auch wenn das hieß, Prinz Charles, gespielt von Jack Farthing, in aller Öffentlichkeit vorzuführen. Sie war diejenige, die sich noch in der Weihnachtsnacht in ihre Zimmer schleicht, um ihnen ein an der Tankstelle gekauftes Plüschtier zu schenken, damit sie etwas zum Auspacken haben. Und die mit ihnen Wahrheit oder Pflicht spielt, um herauszufinden, was in ihnen vorgeht. Als William sie dabei fragt, warum sie traurig ist, sagt sie, wegen der Vergangenheit. William erwidert, dass er glaubt, dass es die Gegenwart ist, die sie bedrückt, während Harry die Zukunft als Ursache vermutet. Es sind Szenen wie diese, die eine Idee davon vermitteln, was für ein unermesslicher Verlust ihr Tod für William und Harry gewesen sein muss.

Für ihre Söhne versuchte Diana, Normalität zu leben | © Pablo Larraín, DCM

In der Weihnachtsnacht will Diana ihr Elternhaus auf dem Nachbargrundstück aufsuchen, ein Stacheldraht und eine Polizeipatrouille halten sie auf. In der Folgenacht gelingt es ihr, mithilfe einer Zange in das verfallene Haus ihrer Kindheit zu gelangen. Hier wärmen sie zumindest die Erinnerungen. Von diesen davongetragen erscheint ihr plötzlich Anne Boylen und fordert sie auf, die Ketten, die man ihr umgelegt hat, zu zerreißen. Nun kommt es zu einer der stärksten Szenen des Films, in der Diana (und die Zuschauer) in eine Welt getragen werden, in der sie frei ist. Man sieht, wie Diana in all ihren Roben durch die leeren Räume tanzt, wie sie über die Ländereien rennt, wie sie strahlt und lacht und Leben in diese eiskalte, in Etiketten erstarrte Welt bringt. Eine knappe Minute nur dauert dieser Tagtraum an und wirft ein strahlendes Licht auf eine Frau, die nur eines will: ein freies Leben führen. Larraíns Film ist das grandiose Dokument einer Befreiung.

Pablo Larraín: Spencer. Mit Kristen Stewart, Timothy Spall, Jack Farthing, Sally Hawkins, Sean Harris. DCM 2021. 111 Minuten.

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