Film

Das ist Versailles

Der strittige Eröffnungsfilm der diesjährigen Filmfestspiele in Cannes erzählt von Moral und Befindlichkeiten am französischen Hof. Als Kostümfilm kann Maïwenns »Jeanne du Barry« überzeugen, als Kommentar zur Zeit bleibt er blass.

Der Aufschrei war groß, als die französische Regisseurin Maïwenn Le Besco (»Mein ein, mein alles«) und Johnny Depp mit ihrem Kostümfilm »Jeanne du Barry. Die Favoritin des Königs« das Filmfestival in Cannes eröffneten. Depp spielt darin seine erste Rolle nach dem Prozess gegen seine Ex-Frau Amber Heard. Dass man ihm eine Bühne bot, brachte vor allem #MeToo-Aktivist:innen auf die Palme. Dabei ging fast unter, dass die Hauptdarstellerin und Regisseurin des Films noch nie viel von der Bewegung hielt. Das wäre nebensächlich, würde nicht ihre achte Regiearbeit von der titelgebenden Kurtisane handeln, die der französische König zu seiner Favoritin wählt.

Maïwenn © Stéphanie Branchu – Why Not Productions

Der Weg dahin hat einen hohen Preis. Als uneheliches Kind einer Küchenmagd und eines Geistlichen zahlt ihn Jeanne wortwörtlich mit Hingabe. Man sieht sie als Kind brav auf dem Schoß des adeligen Hausherrn ihrer Mutter sitzen, als junge Frau dient sie dem freizügigen Grafen du Barry (Melvil Poupaud) und seinem lüsternen Umfeld als Gelegenheitsdame. Als sie dem alternden Ludwig XV. vorgestellt wird, bestellt er sie zum Beischlaf ein. Kurz nach dem Tod seiner Frau holt er Jeanne nach Versailles und provoziert einen öffentlichen Skandal, der nicht nur seine Töchter, sondern den gesamten Hof gegen die junge Frau aufbringt.

»Jeanne du Barry« fürs Heimkino

Maïwenn: Jeanne du Barry. Mit Maïwenn, Johnny Depp, Benjamin Lavernhe, Pierre Richard, Melvil Poupaud, Pascal Greggory, u.a. Alamode 2023. 116 Minuten. Hier bestellen.

Die kämpft mehr mit den seltsamen Ritualen, als mit ihren Widersacher:innen. Der Kammerdiener des Königs La Borde erklärt ihr am ersten Abend, dass es respektlos sei, wenn sie dem Monarchen den Rücken zuwende. Um sich von ihm zu entfernen, solle sie stattdessen in Trippelschritten rückwärts gehen. Dieser lächerliche Habitus veranschaulicht das absurde Miteinander am Hof, dem auch der König unterworfen ist. Dies wird an der mehr oder weniger öffentlichen Morgentoilette anschaulich, die Jeanne, hinter einem Spiegel versteckt, nach der ersten gemeinsamen Nacht amüsiert beobachtet.

Johnny Depp, Maïwenn © Stéphanie Branchu – Why Not Productions

Die kecke Favoritin des Königs bricht im Laufe des Films so manches Tabu und weckt damit Ludwigs Lebensgeister. Sie kleidet sich wie ein Mann, versteckt ihre Haare nicht unter Perücken, tanzt ausgelassen durch den Spiegelsaal, küsst den König bei öffentlichen Auftritten oder lässt ihn samt Gästen warten. Bald zerreißt man sich am Hof über »diese schändliche Kreatur« das Maul. Bedrohlich wird es aber erst, als die österreichische Thronfolgerin Marie-Antoinette als neue Lichtgestalt nach Versailles kommt.

Was auf der Handlungsebene unterhaltsam wirkt, ist auf der psychologischen Ebene problematisch. Die Figuren bleiben seltsam eindimensional, man sucht vergeblich nach Zweifel und Ambivalenz. Die selbstverliebte Kurtisane unterläuft zwar instinktiv das Spiel am Hof, für die Mechanismen der Macht – in eindrucksvollen Bildern von Laurent Daillard eingefangen – scheint sie sich im Gegensatz zu ihrer Vorgängerin Madame de Pompadour aber nicht zu interessieren.

Suzanne de Beacque, India Hair, Capucine Valmary © Stéphanie Branchu – Why Not Productions

Stattdessen wird hier die Selbstbehauptungsgeschichte einer jungen Frau an der Seite eines mächtigen Mannes erzählt, wie sie das 16-jährige Ich der Regisseurin mit dem französischen Starregisseur Luc Besson (»Léon – Der Profi«, »Das fünfte Element«) wohl selbst erlebt hat. Johnny Depp bleibt als teigiger König ein blasser Sklave des Systems, die meiste Zeit des Films hat er auch nichts zu sagen. Zudem ermüdet die plakative Zeichnung des Hofstaats als aufgesetzter Zoo der Eitelkeiten, von den neidischen Königstöchtern über den royalen Beraterstab bis hin zum selbstherrlichen Klerus.

Spannend sind drei Nebenfiguren, allen voran Benjamin Lavernhe in der Rolle des treuen Kammerdieners La Borde. Bis zum Schluss lässt der Film offen, ob die eigentliche Liebesgeschichte nicht zwischen ihm und Jeanne stattfindet. In ihrem Ziehsohn Adolphe (Thibaut Bonenfant) leuchtet eine aufgeklärtere Zeit auf, mit dem Schwarzen Pagen Zamor (Djibril Djmo) ließe sich trefflich über den Rassismus der Epoche nachdenken.

Benjaminn Lavernhe, Maïwenn © Stéphanie Branchu – Why Not Productions

Doch statt machtpolitische Fragen zu reflektieren, wie es etwa Marie Kreutzer in ihrem Sissi-Porträt »Corsage« oder Pablo Larraín in seinem Lady Di gewidmeten Film »Spencer« gelingt, verharrt Maïwenns »Jeanne du Barry« bei höfischer Moral und persönlichen Befindlichkeiten. Das ist in diesen Zeiten nahezu grotesk, uninspiriert und altbacken. Aber vielleicht ist genau das Versailles.

Der Text ist zum Kinostart im Rolling Stone 9/2023 erschienen.