Die sino-amerikanische Fantasy-Autorin Rebecca F. Kuang legt mit ihrem voluminösen Roman »Babel« eine packende Erzählung über rebellische Übersetzer:innen und die Notwendigkeit des Widerstands vor.
Worte spiele eine zentrale Rolle in unserer Kultur. So wurde Maria durch in das Ohr gesprochene Wort des Engels schwanger, wie es die Kulturwissenschaftlerin Christina von Braun beschrieb, und was für den weiteren Verlauf des Christentums ja nicht ganz folgenlos blieb.
Folgenlos bleibt auch nicht der aktuelle Kulturkampf um Worte – ob nun gegendert oder nicht. Und nichts ist wahrscheinlich machtvoller in dem Leben eines Menschen als die einfachen Worte »Ich liebe Dich.« Worte können Welten und Menschen bewegen, sie können magisch werden – und auch zerstörerisch.
In diesem Spannungsfeld der Magie und der Zerstörungskraft von bewegt sich gekonnt der ebenso mitreißende wie phantastische Roman »Babel« der chinesisch-amerikanischen Autorin Rebecca F. Kuang. Die 1996 in Guangzhou geborene Autorin, die bislang vor allem durch ihre auf TikTok erfolgreiche Fantasy-Trilogie »Im Zeichen der Mohnblume« in Erscheinung trat, legt mit diesem Pageturner ein Crossover aus magischem Realismus und historischem Roman vor – oder kurz: Magic meets Science in Victorian Oxford.
Grob skizziert handelt »Babel« von dem gleichnamigen königlichen Institut für Übersetzung, das in Oxford das Herzstück des britischen Kolonialismus des 19. Jahrhunderts darstellt. Babel ist, neben Schiffen und britischer Militärgewalt, eine wesentliche Ressource im Streben Großbritanniens nach Weltherrschaft und Reichtum. Die in diesem Ort produzierten Silberbarren, denen die Kraft des Zusammenspiels verschiedener Begriffe aus verschiedenen Sprachen eingraviert wird, sorgen für den entscheidenden Vorteil der britischen Kolonialmacht unter Königin Victoria.
Die Mohnblumen-Trilogie
Das mag zuerst etwas konstruiert anmuten und ist es ja – wie jedes fiktive Werk – auch. Aber dieser Roman ist nicht überkonstruiert, sondern detailreich und überaus gelehrt , dabei packend und unterhaltsam, klug und absolut modern – und funktioniert bei all diesen herausstechenden Merkmalen auch noch erstaunlich gut. Denn die im Titel beschriebene Kurzformel umfasst nur die eine Seite der Geschichte.
Die andere Seite des Romans handelt vom Aufstand junger Übersetzer:innen und dem Geheimbund Hermes gegen Babel, gegen die Kolonialmacht Großbritanniens, gegen Rassismus und Klassismus. Hier wird von der Notwendigkeit des wissenschaftlichen und zivilen Ungehorsams und von (militanter) Gewalt erzählt. Das, was der englische Originaltitel des Romans »Babel. Or the Necessity of Violence. An Arcane History of the Oxford’s Translators’ Revolution« so präzise fasst (und beim verkürzten deutschen Titel komplett wegfällt) ist das Herz der Geschichte um dieses fantastische (und in Zügen immer wieder auch allzu realistische) Reich.
Das Spiel mit der Sprache, der Literatur und dem ganzen Zirkus darum, dem man in »Babel« mit der Rebellion der Übersetzenden neugierig folgt, ist keineswegs Zufall. Schon im Februar erscheint Kuangs neuer Roman »Yellowface« in der Übersetzung von Jasmin Humburg. Darin geht es um Lügen und Selbstinszenierung in der Literaturszene, ein Sujet voll und ganz abseits der Fantasy. Während die chinesisch-amerikanische Athena Liu für ihre Romane gefeiert wird, steht June Hayward mit ihren Geschichten weißer Vorstadt-Mädchen im Schatten der Konkurrentin. Doch dann kommt Athena ums Leben und June gelangt in den Besitz ihres letzten Manuskripts, dass sie unter einem Pseudonym herausbringt.
Allein in der Ankündigung des Verlags wird schon das Themenspektrum sichtbar, das Kuang in ihrem neuen, in der englischen Presse nicht weniger besprochenen Roman verhandelt. Kulturelle Aneignung, Identitätsdiebstahl, Diskriminierung und Othering sind nur einige der Schlagworte, die einem auf Anhieb einfallen. Alles auch Fragen, die mit dem Kolonialismus, Rassismus und Klassismus, die mit dem aktuellen Roman verbunden sind. Ob »Yellowface« das halten kann, wird sich zeigen.
Und damit zurück zu »Babel«. Was in in diesem höchst elaborierten Text teils detailverliebt (man denke an zahlreiche, wenn auch sehr kluge Fußnoten), teils eklektisch (Referenzen zum biblischen Turmbau von Babel und die Entstehung der Vielsprachigkeit in Kombination mit Hermes) daherkommt, ist vor allem eine Erzählung die Notwendigkeit des Widerstands der Wissenschaft gegen Ungleichheit und Unrecht – damals wie heute.