Nie war die postkoloniale Literatur so präsent wie in diesen Tagen. Ein Comic aus Frankreich erinnert an den Vordenker des Antikolonialismus Frantz Fanon und zeichnet die Denkbewegungen des Psychiaters, Politikers und Schriftstellers anhand seiner Biografie nach.
Sachcomics gewinnen seit Jahren bei den Verlagen an Bedeutung, so manchem eröffnen sie sogar erst den Schritt in die Neunte Kunst. Wie in jedem anderen Genre ist das allein aber keine Qualitätsgarantie. Aber es gibt inzwischen hervorragende Arbeiten, etwa die des Comicreporters Joe Sacco, der nicht zufällig als erster Comiczeichner überhaupt mit dem Geschwister-Scholl-Preis der Stadt München ausgezeichnet wurde.
Mit Sacco kann der biografische Comic »Frantz Fanon« von Frédéric Ciriez und Romain Lamy nicht mithalten, aber es ist keine Schande, es nicht gleich ins oberste Regal zu schaffen. Die beiden Franzosen verfolgen mit ihrem Werk den Anspruch, die Lebensgeschichte Frantz Fanons nachzuerzählen. Der auf Martinique geborene Fanon war ein französischer Psychiater und Vordenker des globalen Antikolonialismus. Sein Buch »Die Verdammten dieser Erde« gilt bis heute als Manifest der panafrikanischen Befreiungsbewegungen. Niemand geringerer als Jean-Paul Sartre hat das Vorwort dazu verfasst, auf das sich übrigens auch Tsitsi Dangarembga in »Überleben«, dem Abschlussroman ihrer Trilogie um Tambudzai Sigauke, bezieht.
Fanon und Sartre haben sich im August 1961 in Rom getroffen, mit dabei waren der Filmemacher und Autor Claude Lanzmann sowie Simone de Beauvoir. Dieses Treffen ist Ausgangspunkt des Comics. Fanon hat zum Zeitpunktdes Treffens gerade die letzten Zeilen seines Manifests geschrieben, mit Sartre will er nun über dessen Positionen sprechen und ihn für ein Vorwort gewinnen. »Der Schwarze braucht den Weißen, wenn er Sartre heißt.«
Nun waren Sartre, de Beauvoir und Lanzmann zwar Teil der französischen Linken, die war aber selbst vollkommen gespalten, wenn die Sprache auf die Zukunft des französischen Kolonialsystems kam, das in den afrikanischen und Überseestaaten seit dem Ende des Weltkriegs bröckelte. Ghana, Algerien, Tunesien, Marokko, Kongo – überall bildeten sich nationale Befreiungsbewegungen. In Frankreich wollte ein Teil der Linken weitgreifende Reformen, für andere war Auflösung des Kolonialsystems alternativlos.
Sartre gehört zum Zeitpunkt des Treffens zur zweiten Gruppe. Er habe in den USA beobachten können, wohin der institutionalisierte Rassismus führe. »Ich habe die Segregation gesehen, den zur Norm erhobenen weißen Rassismus, den Polizeiterror… Ihr Kampf in Afrika ist zwingend notwendig. Man muss handeln, und sei es mit Waffengewalt«, erklärt Sartre im Comic.
Die Gewalt der Unterdrückten ist für Sartre eine legitime Gegengewalt. Die Kolonialisten haben »die Bedingungen ihrer eigenen Vernichtung geschaffen«, so Sartre weiter. Während Sartre aber theoretisiert, will Fanon, dass er handelt und sich dem bewaffneten Widerstand gegen Frankreich anschließt – ein Wunsch, dem Sartre als Franzose unmöglich nachkommen kann. Zumal sich seine Positionen, wie sich zeigen wird, von denen Fanons zum Teil doch deutlich unterscheiden. Zwischen Sartres linker Kritik am Kolonialismus und Fanons antikolonialistischem Widerstand lagen mitunter Welten, der Comic legt dem die biografischen Erfahrungen des Schwarzen Franzosen zugrunde.
Den geht die Erzählung dann auch nach; der Landung des Vichy-Regimes auf der Karibikinsel, den rassistischen Erfahrungen im französischen Militär während des Zweiten Weltkriegs und im befreiten Nachkriegseuropa sowie die Gewalt gegenüber den kommunistischen Aktivisten in Frankreich und Übersee. Aber auch das Studium in Lyon, die Lektüre der Schriften von Aimé Césaire, Léopold Sédar Senghor, James Baldwin oder Chester Himes sowie seine Ausbildung als Psychiater, bei der er sich mit den seelischen Auswirkungen der Immigration auseinandersetzte.
»Nachdem ich in Lyons Elendsquartieren die somatischen Beschwerden von Maghrebinern kennengelernt hatte, die aus ihrer Kultur herausgerissen waren, schien es mir offensichtlich, dass mir streng medizinisches Fachwissen nicht zum Verständnis meiner Patienten verhelfen würde. Ihr Problem lag nicht am Gehirn, sondern an den politischen Auswirkungen des Kolonialismus.« Ein Ansatz, den er in seinem Buch »Schwarze Haut, weiße Masken« beschrieben hat. Die Berücksichtigung der sozialen, kulturellen und politischen Faktoren in die Analyse des Individuums wird für Fanon zum zentralen Ansatz.
Akribisch zeichnet der Comic die Ausbildungs- und Denkwege Fanons nach, indem er Fanon seinen drei Begleiter:innen einen von nur wenigen Nach- und Zwischenfragen unterbrochenen Monolog halten lässt. Das ist von Szenario nicht sonderlich einfallsreich, zumal dabei Dialogtexte entstehen, die nicht wirklich mündlich klingen – sofern man die Mündlichkeit eines Gesprächs von der Mündlichkeit eines universitären Vortrags unterscheidet. Ein Phänomen, auf das man in Sachcomics leider immer wieder trifft. Nur selten entwickelt dieses Genre Humor und Leichtigkeit, bei einem Thema wie der Dekolonialisierungstheorie eines Frantz Fanon vielleicht auch etwas viel verlangt.
Dennoch liegt in der Monotonie des Szenarios und der enormen Textlastigkeit, unter der die Bildgeschichte ächzt, eine Schwäche dieses Comics. Es ist ein typisches Phänomen von Sachcomics, dass sie zuweilen eher Texte illustrieren, als selbst zu erzählen. Das ist immer wieder bedauerlich, zumal die Neunte Kunst – vielleicht sogar mehr als die Literatur – die Freiheit besitzt, aus dem erzählten Realismus auszubrechen, um fantastische Motive über die Bilder oder ihren Rhythmus einzubringen. Romain Lamy bleibt aber ganz bei seiner geradlinigen Erzählung. Seine Stilistik erinnert an die naive sozialistische Kunst, wie man sie aus Mosambik oder Angola kennt. Während die stilistischen Mittel passen, hätte man sich ingesamt mehr Mut von den beiden Machern gewünscht, mit den erzählerischen Elementen des Mediums zu spielen.
Denn zu erzählen hat dieser Comic wirklich eine Menge. Er enthält mal eben eine Abhandlung des algerischen Unabhängigkeitskampfes und fasst die gesellschaftspolitischen Theorien und intellektuellen Debatten dieser Zeit pointiert zusammen. Den Algerienkrieg erlebt Fanon aus nächster Nähe, er ist dort als Arzt im Einsatz, als sich die Befreiungsbewegung bildet. Erst beeindruckt er mit revolutionären psychiatrischen Ansätzen, dann mit politischem Engagement.
Dies vermischt sich mit seiner Tätigkeit. Algerische Nationalisten und Kolonialisten sitzen plötzlich ebenso in seinem Wartezimmer wie psychisch erkrankte Soldaten, einfache Bauern und missbrauchte Frauen. So wird er Zeuge, wie sich die permanente Gegenwart von Angst und Gewalt – das Verfolgen und Verfolgt werden, das Foltern und Gefoltert werden, das Töten und Getötet werden – in die Seelen der Opfer und Täter schreibt und diese wiederum zu Tätern und Opfern macht. Da wollen Überlebende eines Massakers plötzlich selbst Massaker verüben, bringen Kinder ihren besten Freund um, weil er zu den Feinden gehört und Folterer bringen ihren Horror mit nach Hause und misshandeln ihre Familie.
Diese und andere Erfahrungen werden ihn radikalisieren und zum Teil des bewaffneten algerischen Widerstands werden lassen. Als einer der bedeutendsten Propagandisten hat er sich dabei nicht nur die Finger schmutzig gemacht, sondern auch die Erfahrung von Verrat und Desillusionierung gemacht.
Die große Frage zwischen Fanon und Sartre aber bleibt, ob es eine Annäherung von Weißen und Schwarzen geben, ob es einen versöhnlichen Weg geben kann. Für Fanon, der die brutale Gewalt der Kolonialmächte aus nächster Nähe an verschiedenen Orten Afrikas nicht nur beobachtet, sondern auch ihre Folgen psychiatrisch untersucht hat, war klar, dass der Weg aus dem Kolonialismus nur gewaltsam erfolgen könne. Sein Gedankengang hört dort aber nicht auf. Vielmehr hat er geahnt, dass das postkoloniale Afrika ein Ort des Terrors sein würde. »Die letzte Schlacht des Kolonisierten gegen die Kolonisten wird oft die der Kolonisierten untereinander sein«, zitiert ihn der Comic.
Als in den Sechzigern ein Staat nach dem nächsten in einen Bürgerkrieg kippt, tobt in Fanon ein ganz anderer Krieg. Bei ihm wird Leukämie attestiert. Angesichts des nahenden Endes beginnt er, »Die Verdammten dieser Erde« zu schreiben. Es wird sein Vermächtnis, in der er auf der Basis seiner Erfahrungen erklärt, dass die dekoloniale Bewegung eine humanistische Bewegung ist.
Sartre wird das in seinem Vorwort aufgreifen und schreiben, dass durch die Befreiung der kolonialisierten Völker auch die Europäer dekolonisiert würden. »Das heißt, durch eine blutige Operation wird der Kolonialherr ausgerottet, der auch in jedem von uns steckt. Schauen wir uns selbst an, wenn wir den Mut dazu haben, und sehen wir, was mit uns geschieht.« Dieser Prozess scheint bis heute nicht abgeschlossen.
Von Fanon bleibt am Ende dieses Comics das Bild eines radikalen Denkers und Freiheitskämpfers, der sich und sein Leben jenen gewidmet hat, die vom System des Kolonialismus, ausgeraubt und zerstört wurden. Fanon war tief in seinem Herzen ein Humanist, der genauso an den Menschen glaubte, wie er an ihm verzweifelte. »Der Mensch ist krank. Man muss ihn heilen. Und das sagt ihnen ein Schwarzer, der den angeborenen Hass der Weißen im Nacken hat.«
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