Film, Literatur

Rom antwortet nicht

Übermorgen wird die große deutsche Regisseurin Margarethe von Trotta 81 Jahre alt. Im Wettbewerb der 73. Berlinale ist vorher ihr Spielfilm »Ingeborg Bachmann – Reise in die Wüste« zu sehen, der die Beziehung von Max Frisch und Ingeborg Bachmann in den Blick nimmt.

Es gibt vermutlich keine Beziehung, die bis heute so sehr fasziniert wie die von Ingeborg Bachmann und Max Frisch. Unzählige Artikel, einige Bücher und zuletzt der Briefwechsel zwischen der österreichischen Schriftstellerin und dem Schweizer Autor sind ihr gewidmet. Nun kommt Margarethe von Trotta nach fast vierzig Jahren mit ihrem Film »Ingeborg Bachmann – Reise in die Wüste« zur Berlinale zurück, der sich mit den Jahren dieser komplizierten Beziehung auseinandersetzt.

»La joie venait toujours après la peine«, nach dem Kummer kommt die Freude, erfahren wir da zu Beginn, als Bachmann in Paris bei der ersten Begegnung mit Frisch aus »Le Pont Mirabeau« den französischen Dichter Apollinaire zitiert. So weiß man schon früh, dass es der Schmerz ist, der hier den Ton angibt und aus dem heraus es sich zu bewegen gilt. Dafür reiste Bachmann mit ihrem Landsmann Adolf Opel (Tobias Resch) Mitte der 60er Jahre in die Wüste, wo sich die völlig erschöpfte Dichterin vom Kummer der Beziehung mit Max Frisch erholte. Wo sie in der Stille noch einmal zu sich finden konnte, die »natürlichen Klammern« löste, um sich und ihr Leid in der Welt zu verlieren.

Vicky Krieps und Ronald Zehrfeld in Ingeborg Bachmann – Reise in die Wüste von Margarethe von Trotta | © Wolfgang Ennenbach

Die Beziehung Bachmann-Frisch und die Erholung von ihr in der Wüste bilden die zwei Pole, zwischen denen der pendelt, um sie miteinander ins Verhältnis zu setzen. Dabei bleibt er eng bei der Perspektive der Bachmann oder zumindest ihrer Wahrnehmung der Dinge. Die anfängliche Leidenschaft füreinander und das Interesse am Werk des anderen kippen schon bald in Eifersucht und Kontrollwahn. Die gemeinsame Zeit in Zürich wird für beide zu einer Herausforderung. Ingeborg Bachmann (Vicky Krieps) leidet am Geschrei der Tasten von Frischs Schreibmaschine und der Verschlossenheit der Schweizer, Max Frisch (Ronald Zehrfeld) bald an der Bewunderung, die andere »seinem Mädchen« entgegenbringen.

Der Beziehung zwischen der deutlich jüngeren Dichterin und dem gesetzten Dramatiker schreibt das Drehbuch von Beginn an etwas Toxisches ein. Schon am ersten Abend ermahnt Frisch die erfolgreiche Lyrikerin, dass sie zu viel rauche. Als Bachmann befremdet reagiert, versucht er sich zu rechtfertigen. Die Männer würden Frauen doch immer nur beschützen wollen. Eigentlich verwunderlich, dass es trotz der grundverschiedenen Vorstellungen des Verhältnisses von Mann und Frau dennoch zwischen den beiden Schriftsteller:innen funkte. Vielleicht liegt aber auch gerade darin die Reibung, die immer zwischen ihnen bestand. Denn während Frisch mehrmals vergeblich um Bachmanns Hand anhielt, war die Österreicherin der Ansicht, dass die Ehe für eine Frau, die arbeitet, denkt und sich verwirklichen will, »eine ganz unmögliche Institution« sei. Während ihrer Beziehung zu Frisch sucht sie immer wieder Rat, Erholung und Zuwendung bei Hans Werner Henze (Basil Eidenbenz).

Vicky Krieps und Ronald Zehrfeld in Ingeborg Bachmann – Reise in die Wüste von Margarethe von Trotta | © Wolfgang Ennenbach

Der Film ist vor dem gerade erschienen (und den selben Zeitraum abdeckenden) Briefwechsel entstanden und ein wenig fällt ihm das jetzt auch auf die Füße. Er macht es sich insgesamt zu einfach, wenn er Frisch als den physisch und psychisch übergriffigen Riesen hinstellt, der die junge Bachmann mit allen Mitteln in seine Gewalt bekommen will. Wenn er wortwörtlich einen »Mörder« und eine »Ermordete« miteinander ringen lässt, wenngleich er offen lässt, ob nicht auch die Ermordeten schuldig sein könnten.

Margarethe von Trotta, die sich in ihrem Werk bereits Ikonen wie Rosa Luxemburg, Hannah Arendt oder Ingmar Bergmann von der allzumenschlichen Seite angenähert hat, beschreibt die Beziehung in ihrem Film als toxisch, als Irrtum zweier Menschen, die einander zugeneigt aneinander zugrunde gehen.

Frühjahr 1958: Ingeborg Bachmann – gefeierte Lyrikerin und Preisträgerin der Gruppe 47 – bringt ihr Hörspiel »Der gute Gott von Manhattan« auf Sendung. Max Frisch – erfolgreicher Romancier und Dramatiker, der 1958 den Büchner-Preis erhält – ist in dieser Zeit mit Inszenierungen von »Biedermann und die Brandstifter« beschäftigt. Er schreibt der »jungen Dichterin«, wie begeistert er von ihrem Hörspiel ist. Mit Bachmanns Antwort beginnt ein Briefwechsel, der – vom Kennenlernen bis lange nach der Trennung – in rund 300 überlieferten Schriftstücken Zeugnis ablegt vom Leben, Lieben und Leiden eines der bekanntesten Paare der deutschsprachigen Literatur.

Herausgegeben von Hans Höller, Renate Langer, Thomas Strässle & Barbara Wiedemann. Suhrkamp Verlag 2022. 1.039 Seiten. Hier bestellen.

Versteht man eine toxische Beziehung als unbedingten Willen, einander bestmöglich misszuverstehen, dann belegt der im November vergangenen Jahres erschienene Briefwechsel genau das. Aber er zeigt eben auch, wie inspirierend und produktiv diese Beziehung zweier Schreibender auf Augenhöhe war. Dieser Aspekt kommt hier viel zu kurz. Stattdessen beschränkt er sich im Bereich des Schriftstellerischen auf die Konkurrenz, etwa wenn Bachmann Frisch attestiert, Worte nicht so wichtig zu nehmen. In welchem Ausmaß sich beide gegenseitig in ihrem Schaffen befruchteten und lähmten, ist eine Frage, die Expert:innen bis heute nicht abschließend klären konnten.

Vicky Krieps und Ronald Zehrfeld in den beiden Hauptrollen beheben diese eindimensionale Sicht auf diese Beziehung nicht. Zehrfeld nimmt man den bei seinen Auftritten eher nüchtern wirkenden Schweizer mit Lokalkolorit nicht richtig ab und auch Krieps bleibt in ihrer Rolle etwas blass. An ihre eindrucksvolle Performanz als Kaiserin Sissi in Marie Kreutzers »Corsage« kommt sie hier nicht heran. Nicht nur, dass auch hier der markante lokale Zungenschlag fehlt – Margarethe von Trotta meidet in ihren Ikonenverfilmungen äußere Ähnlichkeiten bewusst, wie sie auf Deutschlandfunk Kultur erklärte, damit die Leute nicht ständig darauf achten, wann im Film die Ähnlichkeit zur echten Person besonders hoch oder niedrig ist – , zu sehr ist die Rolle auf die Zerbrechlichkeit angelegt. Die sprachliche Kraft, die in der Bachmann steckte, tritt nie so richtig zutage. Als kurz vor der Berlinale die österreichische Wahlberlinerin Sophie Rois in der Staatsbibliothek aus Texten von Bachmann, Frisch, Henze und anderen las, klang etwa die Dankesrede zur Verleihung des Hörspielpreises der Kriegsblinden, die Bachmann 1959 hielt und im Film zitiert wird, entschlossener.

Margarethe von Trottas Film ist nicht der erste, der sich Ingeborg Bachmann nähert. 2016 war die österreichische Filmemacherin Ruth Beckermann mit dem ebenso berückenden und beglückenden Film »Die Geträumten« über die Korrespondenz von Paul Celan und Ingeborg Bachmann in Berlin zu Gast. »Ingeborg Bachmann – Reise in die Wüste« ist vollkommen anders, lässt das Werk ihre beiden Figuren nur am Rand aufschimmern und widmet sich ganz dem Allzumenschlichen in diesem Verhältnis. Doch bei allen Spannungen, die sie dabei zutage bringt, springt der Funke nicht wirklich über. Und wenn gegen Ende ins Bild gebracht wird, wie sich Ingeborg Bachmann in der (jordanischen) Wüste an allen Biedermännern rächt, »denen ich mich geopfert habe«, dann geht das zu weit. Schließlich war es Bachmann selbst, die immer streng darauf geachtet hat, dass das Private privat bleibt und sie als öffentliche Person vor allem durch die Sprache glänzt.

Vicky Krieps in »Ingeborg Bachmann – Reise in die Wüste« | © Wolfgang Ennenbach

»Ich glaube dass alle Menschen in allen Beziehungen aneinander vorbeireden. Im Grunde ist jeder mit seinen unübersetzten Gedanken und Gefühlen allein«, zitiert der Film eine Aussage, die Bachmann in einem Interview gemacht hat. Allein fühlen sich auch Bachmann und Frisch in ihrer jeweiligen Haut – Ingeborg Bachmann an der Seite von Max Frisch in Zürich, Frisch am selben Ort, als Bachmann in ihrer Lebensstadt Rom ist. Als er sie dort versucht, zu erreichen, kann sein Anruf nicht zugestellt werden. »Roma non risponde« – Rom antwortet nicht. Ein Satz, der das komplexe Verhältnis von Ingeborg Bachmann und Max Frisch vielleicht am besten auf den Punkt bringt.

2 Kommentare

  1. […] Wettbewerb wird auch dem zur Gemütlichkeit neigenden Max Frisch in Margarethe von Trottas »Ingeborg Bachmann – Reise in die Wüste« und dem mürrischen Bauern in Emily Atefs Romanverfilmung »Irgendwann werden wir uns alles […]

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