Film

Was tut der Schwanz?

Die österreichische Regisseurin Ruth Beckermann hat aus einem Casting für einen Film über einen literarischen Porno-Klassiker einen Film gemacht. In »Mutzenbacher« hält sie die Kamera drauf, wenn sich Männer von sexualisierter Gewalt inspiriert fühlen.

Ein Filmstudio irgendwo in Wien. Darin ein barockes Sofa, ein Kristallleuchter, zwei Stühle, ein Piano, ein Nachtclub-Rondell und ein Spiegel. Dies ist die Grundkonstellation, die sich den Männern zwischen 16 und 99 Jahren bietet, die dem Casting von Ruth Beckermann für einen Film über Josephine Mutzenbacher gefolgt sind.

In Österreich ist der Name ein Begriff, 1906 ist unter diesem Pseudonym der Skandalroman »Josefine Mutzenbacher oder Die Lebensgeschichte einer Wienerischen Dirne von ihr selbst erzählt« erschienen. Als pornografische Literatur war er erst lange verboten, nach 1968 bis weit in die 2000er zumindest immer noch als jugendgefährdende Schrift indiziert.

Die Erzählerin berichtet darin von den sexuellen Erlebnissen in ihrer Kindheit zwischen fünf und 14 Jahren, die sie zu der Person gemacht haben, die sie ist. Auch weil diese Beschreibungen stets positiv, männerfreundlich und lustvoll ausfallen, wurde stets angezweifelt, dass sie tatsächlich von einer Frau stammen. Felix Salten, u.a. Autor von »Bambi«, wurde oft als Urheber vermutet. Neueste Studien belegen dies aber nicht, erklärt Beckermann im Hintergrundgespräch mit dem künstlerischen Leiter der Berlinale Carlo Chatrian. Die Urheberschaft bleibt also unklar.

© Ruth Beckermann Filmproduktion

Auch Ruth Beckermann ist in Österreich bekannt, sie ist die aktuell erfolgreichste Dokumentarfilmerin des Landes. Bei der Berlinale war sie bereits mit ihrer gefeierten Bachmann-Celan-Inszenierung »Die Geträumten«, 2018 gewann sie mit ihrer Dokumentation »Waldheims Walzer« den Glashütte-Original-Dokumentarfilmpreis.

In ihrem neuen Film, einer Mixtur aus Live-Experiment und Aufführung, lässt sie bei einem Casting, das sie mit der Kamera festhält, Männer verschiedenen Alters Auszüge aus dem Roman lesen oder nachspielen und unterhält sich mit ihnen – zum großen Teil Laienschauspieler – anschließend über die Inhalte des Romans. Die wenigsten empfinden dabei so etwas wie Unrechtsbewusstsein oder Empörung, wenn eine Zwölfjährige davon spricht, wie sie die Besucher der Pension ihrer Mutter bedrängen und benutzen. Vielmehr zeigen sich die meisten vom Text doch zumindest fasziniert, einige sogar mehr als angetan.

In einer Sequenz fragt Beckermann nach der Lektüre eines Sex-Geständnisses der kindlichen Josefine mit ihrem Vater den lächelnden Vorleser, was ihm durch den Kopf gehe. Er antwortet »Geil. Schön. Inzest. Natürlich.« Mit Verlaub, aber das ist nichts anderes als die verbale Zustimmung zur Darstellung sexueller Gewalt an einer Minderjährigen.

© Ruth Beckermann Filmproduktion

Das ist natürlich ein extremes Beispiel, aber jener Mann wird das mit der eigenen Sexualisierung erklären und zum stolzen Anführer eines Männerchores, der mit fester Stimme aus dem Roman zitiert und erklärt, was der »Schwanz in der Fut« zu tun hat.

Beckermann geht es aber nicht um billige Provokation. Vielmehr kitzelt sie mit ihren Fragen Antworten heraus, die einen Einblick in die ach so gebeutelte Seele der heutigen Mannsbilder geben. Etwa wenn diese über die »männerfeindliche Welt« klagen, in der »toxische Weiblichkeit« dazu führe, dass alles »belastet« sei und die sexuelle Freiheit eingeschränkt werde. Die Dirne Mutzenbacher wird da zur »Kämpferin und Genießerin« stilisiert, die an Männern und Männlichkeit »noch ihren Spaß haben« konnte.

Dabei zeigt der Film auch, wie gesellschaftliche Erwartungen auf die Befragten wirken. Je konkreter sie nachfragt, desto mehr wird den Männern ihre exponierte Situation bewusst. In ihren Aussagen werden dann tatsächliche und unterstellte Annahmen berücksichtigt, es wird abgewogen und relativiert. Je allgemeiner die Regisseurin aber fragt, desto eher reagieren die Männer intuitiv und ungebremst, nah an den eigenen Wünschen und Fantasien. Da kann es schon mal sein, dass ein rüstiger Rentner ernsthaft erklärt, dass die Josefine in einer Verfilmung schon 16 Jahre alt sein müsste, damit er als männlicher Besucher mitwirken würde.

© Ruth Beckermann Filmproduktion

Beckermanns Landsmann Ulrich Seidl, der auch schon mehrmals das Genre des Dokumentarfilms bespielt hat, hat mit Bezug auf das eigene Schaffen betont, dass durch die Auswahl der Motive, Szenen und Aufnahmen auch die Dokumentation inszeniert ist. Das gilt auch für diesen Film. Die Chorus-Aufnahmen zeigen, dass es nicht alle Männer, die beim Casting im April 2021 erschienen sind, in den Film geschafft haben. Wie in jedem Film hat also auch hier eine Auswahl stattgefunden. Ob das Ergebnis manipulativ ist, muss jede:r Zuschauer:in selbst bewerten.

Dennoch entlarvt »Mutzenbacher« auf erschütternde Weise, was bei diesen Männern der Schwanz tut. Er verschiebt die Koordinaten von offensichtlichem Missbrauch zu männlichem Vergnügen – zumindest in ihrer Fantasie. Irritierend finden sie bei ihren Lesungen meist nicht die pornografischen Details, sondern das Schnarchen der kindlichen Erzählerin nach dem erfolgten Akt. Dann hebt sich kurz ihr Blick, als wäre ihre eigene sexuelle Fantasie für einen Moment gestört.

4 Kommentare

  1. […] An den ersten Tagen der 72. Berlinale konnte einen das Gefühl beschleichen, der künstlerische Leiter des Festivals, der Italiener Carlo Chatrian, wollte mit seiner Zusammenstellung noch einmal den alten weißen Mann ins Schaufenster stellen, bevor er endgültig in die Mottenkiste kommt. Da konnte man diese ausgediente Figur als larmoyante Diva, abgehalfterten Frauenheld und gefährlichen Incel bei seinem (v)erbitterten Kampf um seine Jagdgründe beobachten und lernen, was der Schwanz mit so manchem seiner Besitzer macht. […]

  2. […] Ein Casting für einen Film über Josephine Mutzenbacher und ihren pornografischen Roman, der Jahrzehnte verboten und indiziert war. Männer allen Alters und sozialer Herkunft setzen sich vor Ruth Beckermanns Kamera auf eine Couch, lesen verschmitzt Auszüge aus dem Buch und sprechen darüber, was nach diesen Texten in ihnen vorgeht. Der Filmemacherin aus Österreich gelingt in der schlichten Anordnung etwas Außergewöhnliches: Sie blickt in die Köpfe dieser Männer, legt ihre Fantasien und Beklemmungen frei. Dass die Beklemmungen eher der gesellschaftlichen Kontrollinstanz, dem Über-Ich, und kaum der eigenen Haltung angesichts der geschilderten sexuellen Handlungen mit einer Minderjährigen hervorgerufen werden, lässt tief blicken. […]

  3. […] von Trottas Film ist nicht der erste, der sich Ingeborg Bachmann nähert. 2016 war die österreichische Filmemacherin Ruth Beckermann mit dem ebenso berückenden und beglückenden Film »Die Geträumten« über die Korrespondenz von […]

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