Film

Glitzernde Wände

Der chinesische Regisseur Li Ruijun zeigt in seinem meisterhaften Epos »Return to Dusk«, dass Glück auch auf karger Erde wachsen kann, wenn man es nur geduldig genug pflegt. Fragil bleibt es dennoch.

Nail Houses nennt man in den chinesischen Großstädten die Häuser, die durch konsequentes Bewohnen vor dem Abriss bewahrt bleiben. Auf dem Land gibt es das nicht, da die Landflucht derart viel Leerstand verursacht, dass mehr Häuser verlassen als neu bewohnt werden. Für mittellose Paare wie Ma und Guiying sind diese zurückgelassenen Häuserruinen aber die einzige Hoffnung, um den traditionellen Familienstrukturen zu entkommen und sich eine eigene Existenz aufzubauen.

Aber für gerade einmal 15.000 Yuan, umgerechnet etwas mehr als 2.000 Euro, kann das Glück schnell vorbei sein. Denn exakt diesen Betrag bekommen die Besitzer der auf dem Land leerstehenden Häuser, wenn sie dem Abriss ihrer verfallenden Immobilien zustimmen. Für das schweigsame Paar bedeutet diese Politik, dass sie weiterziehen müssen, sobald der Vorbesitzer ihrer Behausungen auftaucht.

© Hucheng No.7 Films Ltd.

Wohnen ist ein Menschenrecht, in der Volksrepublik ist es nur eines von vielen, das unter die Räder des chinesischen Staatskapitalismus gerät. Sowohl in den Millionenstädten als auch in den Provinzen wird ein Immobilienprojekt nach dem nächsten aus dem Boden gestampft und die traditionellen Gebäude werden abgerissen. Korruption, Ausbeutung und Erpressung gehören da zur Tagesordnung.

Während in Peking die Winterolympiade stattfindet, für deren Sportstätten viele Dörfer und Siedlungen weichen mussten, kann man auf dem politischsten aller Filmfestivals kaum einen passenderen Film zeigen als einen, der von dieser Verdrängungspolitik handelt. Genau das tut das 130-minütige Epos »Return to Dusk« des jungen chinesischen Regisseurs Li Ruijun, der 2015 auf der Berlinale im Forum sein Debüt feierte. In meditativen Bildern erzählt er die Geschichte von Ma und Guiying, die von ihren Familien in eine arrangierte Ehe gezwungen werden, weil sie aufgrund ihrer Eigenheiten als »schwer vermittelbar« gelten. Um nicht ewig auf den Taschen ihrer Familien zu liegen, sollen sie sich zusammentun.

© Hucheng No.7 Films Ltd.

Ma und Guiying sind einfache Menschen, introvertiert und anderen gegenüber verschlossen. Guiying hat zudem Probleme mit der Blase und ein hinkendes Bein. Auf den ersten Blick sind sie ein Paar, bei dem man meinen würde, dass das nicht gut gehen kann. Aber das Gegenteil ist der Fall. Denn allen Berührungsängsten zum Trotz – Berührung beginnt hier schon bei der Begegnung der Blicke – entwickeln beide ein leises, fürsorgliches und warmes Miteinander, eine gemeinsame Form der Würde in unwürdigen Verhältnissen. Denn alles an ihrer Behausung ist ein Provisorium, ein Luftschloss im wahrsten Sinne des Wortes.

Aber Ma und Guiying fordern nicht viel. Was sie zum Leben brauchen, das erarbeiten sie sich in der Natur. Sie bestellen ein Feld, säen Mais und Getreide, lockern den Boden, jäten Unkraut, bewässern die jungen Pflanzen. Kurzum: Sie tun alles, um das Beste aus der Ernte herauszuholen. Denn der gewissenhafte Ma will nicht nur seine Schulden beim örtlichen Händler begleichen, sondern auch sich und seiner Frau eine sicherere Existenz schaffen. Er beschließt, ein Haus zu bauen.

© Hucheng No.7 Films Ltd.

Geduldig hält der Film diesen Prozess fest, vom Mischen des Lehms für die Steinmauern bis hin zum Flechten des Bastdaches aus dem eigenen Stroh. Mit unbändiger Energie und bewundernswerter Ausdauer bauen sich hier zwei Menschen eine Existenz auf, denen das niemand zugetraut hat. Am Ende lebt dieses arglose Paar auf einer kleinen Farm mit Hühnern, Schweinen und Glasflaschen im Giebel, die sanft tönen, wenn der Wind durch sie hindurchpfeift.

Ma und Guiying könnten ein glückliches Leben führen, würden sie nicht in der turbokapitalistischen Moderne Chinas leben. Immer wenn die in ihr Leben tritt oder sie sich ihr nähern müssen, wird es für sie bedrohlich. Ob durch die Bulldozer, die die letzten Häuser in dieser Ruinenlandschaft plattmachen, oder die Blutspende, die Ma für den Großgrundbesitzer des Dorfes abgeben soll. In der Transfusion fasst Li Ruijun die Logik zusammen, auf der die chinesische Aufstiegsgeschichte beruht. Die Reichen leben auf Kosten der Ärmsten, ihr Besitz basiert auf der Ausbeutung der Körper der Habenichtse. Dass vor diesem Hintergrund die Geschichte dieses verletzlichen Paares nicht gut ausgehen wird, kann man sich schon denken.

© Hucheng No.7 Films Ltd.

Was aber bleibt ist das zärtliche Miteinander dieser zwei Menschen, die im China der Gegenwart abseits der Megacities ein karges und arbeitsames Leben führen und darin Erfüllung, Nähe und Glück finden. Wu Renlin und Hai Qing verschmelzen dabei mit ihren Rollen. Ihr Spiel ist so authentisch, dass man sich mehrmals vergewissern muss, dass es sich bei diesem Meisterwerk nicht um einen Dokumentarfilm handelt.

Wang Weihua hält mit seiner Kamera ihr Miteinander in langen Einstellungen und poetischen Bildern fest. Eines davon brennt sich förmlich in den Kopf. Es zeigt, wie Ma und Guiying auf dem Bett sitzen, zwischen sich einen durchlöcherten Karton, in dem eine Glühbirne hin- und herwackelt. In winzigen Punkten wird das Licht durch die Löcher an die Wand geworfen, wo sie tanzen wie Leuchtwürmer in einer warmen Sommernacht. Ein magischer Moment, den die beiden staunend beobachten. Und wir, wir staunen mit ihnen.