Film

Erhebender Rückwärtsgang

Huang Yao und Nan Ji in »Bai Ta Zhi Guang« von Zhang Lu | © Lu Films

Der chinesische Film »Bai Ta Zhi Guang« des Regisseurs Zhang Lu ist eine Meditation über die Wunden der Vergangenheit und wie wir Heilung finden können.

Gu Wentong verdient mit Schreiben sein Geld. Früher waren es mal Gedichte, inzwischen hat er sich auf Restaurantkritiken spezialisiert. Die interessieren mehr Leute. Richtig viel Geld verdient er damit nicht. Er lebt in der alten Wohnung seiner Mutter, ein Zimmer darin hat er vermietet.

Gu (Xin Baiqing) ist ein von allen geschätzter Typ, wenn man ihm etwas vorwerfen kann, dann dass er mit den Jahren der Einsamkeit ein wenig kauzig geworden. Was nicht heißt, dass er unhöflich ist, ganz im Gegenteil. Seine Wohnung hat er sich »so steril wie ein Krankenhaus« eingerichtet, sagt er selbst. Sie repräsentiert sein Leben, in dem es kaum Platz für Gefühle gibt. Zu viele Verletzungen schleppt er mit sich herum. Sein Vater verschwand aus seinem Leben, als er fünf Jahre alt war – der Alte soll damals eine Frau belästigt haben, was die Ehe von Gus Eltern nicht ausgehalten hat. Auch seine eigene Ehe hat nicht gehalten, woran sie gescheitert ist, erfährt man nicht. Im Gegensatz dazu aber, dass seine aufgeweckte Tochter Xiao Xiao bei seiner Schwester und seinem Schwager lebt, weil er ihr keine Familie bieten kann.

Xin Baiqing, Huang Yao, Nan Ji in »Bai Ta Zhi Guang« von Zhang Lu | © Lu Films

Während seiner Arbeiten trifft Gu die 15 Jahre jüngere Fotografin Ouyang Wenhui (Huang Yao). Beide kommen sich näher und erfahren voneinander, dass sie beide ein ambivalentes Verhältnis zu dem beliebten Ferienort Beidahe verbindet. Gus Vater lebt seit dem Ende seiner Ehe in der Stadt, zweimal im Jahr kommt er mit dem Fahrrad die 300 Kilometer nach Peking gefahren, um heimlich nach seinen Kindern zu sehen, wie Gu von seinem Schwager erfährt. Ouyang ist in einem Waisenhaus in der Stadt groß geworden und meidet die Stadt, soweit es geht.

Wenngleich beide ihre eigene Geschichte mit sich herumtragen, hat Gu doch mehr an seiner Geschichte zu knabbern. Als er an einem grauen Morgen müde durch das traditionelle Viertel an der weißen Pagode läuft, begegnet er einem Mann, der ihm empfiehlt, rückwärts zu gehen, da das den Geist hebe. Dieses Bild gibt dem Film seine Richtung vor. In behutsamen Schritten bewegen sich Gu und Ouyang rückwärts ihre Geschichte entlang, und lernen sich dabei gegenseitig kennen.

Xin Baiqing in »Bai Ta Zhi Guang« von Zhang Lu | © Lu Films

Das Viertel rund um die weiße Pagode, die hier als »schattenloser Turm« beschrieben wird, bildet die ideale Kulisse für diese Geschichte, die zugleich auch eine Liebeserklärung an das alte Peking ist, dessen Geist in Liedern, Geschichten und Gedichten beschworen wird. Zhang Lus Film fängt dieses traditionelle Viertel in unspektakulären Bildern ein. Der chinesische Regisseur, der zuletzt 2019 mit seinem Drama »Fukuoka« in Berlin zu Gast war, erzählt hier eine kleine Geschichte der Menschlichkeit in leisen und poetischen Bildern.

Gu Wentong wird nach jahrzehntelanger Stille seinen Vater aufsuchen und die Geschichte, die er die ganze Zeit geglaubt hat, hinterfragen. Auch wenn unklar bleibt, ob der Vater damals übergriffig wurde, stellt sich die Frage, ob ein Mensch, der einmal einen Fehler gemacht hat, ein Leben lang daran gemessen werden sollte. Seine Geschichte wird niemand los, aber sie rückwärts noch einmal entlangzulaufen und zu verstehen, kann den Geist heben.

2 Kommentare

  1. […] »She Came To Me« zwei Künstler ihre Schaffenskrise überwinden. Der Restaurantkritiker in Zhang Lus Drama »Der schattenlose Turm« und der weiße Ermittler in Ivan Sens (bildlich spektakulärem) Aborigines-Krimi »Limbo« machen […]

Kommentare sind geschlossen.