Film

Den Tod im Nacken

Der australische Filmemacher Rolf de Heer geht mit einem gleichermaßen avantgardistischen wie radikalen Film in den Wettbewerb. »The Survival of Kindness« ist eine nachdenkliche Allegorie auf die rassistischen Verhältnisse der Welt.

Menschen, die Gasmasken tragen, lassen sich auf einer Party Kuchen in Form einer Baumwollfarm inklusive Sklaventreibern und getöteten Schwarzen schmecken. Mit diesem verstörenden wie radikalen Bild beginnt der Film »The Survival of Kindness« des australischen Filmemachers Rolf de Heer. Vier Männer werden die Feier verlassen, um einen Anhänger in die Wüste zu fahren, auf dem sich ein Stahlkäfig befindet. Darin eine Schwarze Frau in einem schmutzigen Kleid. Die Frau im Käfig gibt einen Rahmen vor, den man nicht ignorieren kann. Zu stark ist das Bild in rollenden Zellen eingesperrter Schwarzer mit der Sklaverei in Amerika verbunden.

In der Wüste angekommen koppeln die Männer den Wagen ab und lassen ihn dort mitsamt seiner Fracht zurück. Von allen Seiten fängt die Kamera die Frau ein, die darin eingesperrt wie ein Tier, der erbarmungslosen Kraft der Sonne ausgesetzt sitzt und tagelang vergeblich versucht, den Käfig zu öffnen. Diese Bilder setzen die Isolation und das Ausgeliefertsein dieser Frau frappierend ins Bild.

Mwajemi Hussein in »The Survival of Kindness« von Rolf de Heer | © Triptych Pictures

Irgendwann gelingt es der zurückgelassenen Gefangenen doch, sich mit geduldiger Mühe aus dem Käfig befreien kann. Von diesem Moment an begibt sich BlackWoman (Mwajemi Hussein), wie sie im Pressetext nüchtern genannt wird, auf die Suche nach Freundlichkeit in einer Welt, die von Gewalt und Tod geprägt ist. Wann und wo diese Welt ist, ob in der Vergangenheit, Gegenart oder Zukunft, lässt der Film offen. Rassismus kennt weder Ort noch Zeit, sondern nur den Hass. Und den Willen, zu vernichten.

BlackWoman durchquert die Wüste und gelangt zu einer verlassenen Stadt, passiert auf ihrer Reise Wälder und Gebirge. Dabei irrt sie durch dystopische Landschaften, in denen überall der Tod lauert. Wir sehen einen Mann, der ein Skelett auf einem Schlitten hinter sich herzieht, verwehte Leichen mit einem Lächeln im Gesicht und Blutspuckende Todgeweihte. In einer Siedlung stößt sie auf ein von den Ausschlägen einer unbekannten Krankheit gezeichnetes Paar, das im Sterben liegt, später zahlreiche Schwarze Menschen, die an Bäumen, Kirchen oder Pipelines aufgehängt wurden. Und immer wieder tauchen die Gasmasken-Männer auf, die mit Gewehren bewaffnet Schwarze jagen – ein Element, dass Assoziationen zu Jordan Peeles Thriller »Wir« weckt. Die Gefahr, soviel wird deutlich, liegt hier nicht nur im metaphorischen Sinne in der Luft liegt.

Es ist ein Schreckensszenario, durch das wir mit BlackWoman gehen, ein Horror, aus dem man aufwachen will. De Heers Figur aber erträgt das stoisch mit einem Lächeln im Gesicht. Ähnlich wie der australische Ureinwohner Charlie in de Heers Drama »Charlie’s Country« wirkt diese Frau aus der Zeit gefallen. Mwajemi Hussein spielt das mit einer beeindruckenden Energie, zieht alle Aufmerksamkeit auf ihre geheimnisvolle Figur. Dabei geht eine gespenstische Ruhe von ihr aus – erst am Ende des Films löst sich auf, wie dieser Eindruck entsteht.

Gruselig ist Rolf de Heers »The Survival of Kindness« aber auch aus einem anderen Grund. Das Geschehen wird von einer ohrenbetäubenden Stille begleitet. Das Klimpern von Windspielen, das Kratzen von über Blech krabbelnden Ameisen und das Knirschen des Gerölls unter Füßen machen deutlich, wie verlassen die Protagonistin in dieser Welt ist. So wird die Tonspur zum raumgreifenden Akteur, der von Einsamkeit und Gewalt erzählt.

Deepthi Sharma und Mwajemi Hussein in »The Survival of Kindness« von Rolf de Heer | © Triptych Pictures

Auf der Ebene der Sprache setzt sich diese Einsamkeit und das fehlen von Empathie fort. Die wenigen Dialoge finden in Fantasiesprachen statt, so dass die Verständigung der Figuren und das Verständnis für die Kinobesucher:innen nicht möglich ist. Unmissverständlich sind hier nur die Gesten und Taten. Mit Ausnahme des wichtigsten Dialogs des Films, den BlackWoman mit einer jungen Inderin (Deepthi Sharma) an einem See führt. Beide sprechen in ihren jeweiligen Fantasiesprachen und dennoch verstehen sie sich in der Erfahrung, die sie in dieser Welt machen.

Dem Mädchen und seinem Bruder (Darsan Sharma) begegnet die Protagonistin im verlassenen Bahnhof einer Industriestadt. Sie alle müssen sich dort mit Schminke und Gasmaske tarnen, um nicht von den skrupellosen Gasmaskenmännern entdeckt und liquidiert zu werden. Kurze Zeit bilden sie eine zugewandte Schicksalsgemeinschaft, aber diese albtraumhafte Welt sieht keine Rettung für sie vor.

Rolf de Heer: The Survival of Kindness. Mit Mwajemi Hussein, Deepthi Sharma, Darsan Sharma. 96 Minuten. Triptych Pictures.

Rolf de Heers »The Survival of Kindness« ist eine leise, aber grimmige Anklage rassistischer Gewalt. Zugleich maßt sich in seinem Film nicht an, moralische Urteile zu fällen oder zu erklären, wie und wo in einer Welt voller Hass und Brutalität eine so zarte Pflanze wie die Freundlichkeit existieren kann. Er gibt keine Antworten, sondern lässt die Zuschauer mit seiner Metapher auf die Gegenwart über ebendiese nachdenken. »Es gibt viel Freundlichkeit auf der Welt, aber wir laufen Gefahr, sie zu verlieren«, warnte er auf der Pressekonferenz. Wie eine solche Welt aussehen kann, davon erzählt sein überwältigender Film.

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