Film

Unbeugsamer Widerstand

Reyhaneh Jabbari: Sieben Winter in Teheran von Steffi Niederzoll | © Made in Germany

Steffi Niederzolls bedrückender Dokumentarfilm »Sieben Winter in Teheran« eröffnet die Perspektive Deutsches Kino auf der 73. Berlinale. Er ist ein erster Höhepunkt auf einem Festival, das sich besonders der Situation in der Ukraine und im Iran widmen will.

Steffi Niederzolls Dokumentarfilm »Sieben Winter in Teheran« geht dem Schicksal der iranischen Studentin Reyhaneh Jabbari auf den Grund, die 2014 trotz internationaler Proteste nach sieben Jahren Haft hingerichtet wurde. Im Sommer 2007 wird die Innenarchitektin, nachdem sie in einem Café mit einem Kunden telefoniert und sich mit ihm über den von ihr geplanten Messestand ausgetauscht hat, von zwei Männern angesprochen. Einer gab sich als Arzt aus und bat sie, seine Praxis neu einzurichten. Bei der Besichtigung der Räume stellt sie schnell fest, dass sie getäuscht wurde, doch da ist es schon zu spät. Der Mann, ein hochrangiger Geheimdienstmitarbeiter, wie sich herausstellt, beginnt sie zu bedrängen. In Notwehr sticht sie ihn mit einem Messer nieder und flieht.

Tage später wurde sie festgenommen. In aus dem Gefängnis geschmuggelten Briefen und Tonaufnahmen, die Niederzoll in ihrem bedrückenden Film verarbeitet, berichtet sie von den unmenschlichen Zuständen und von wiederholter Folter durch die Wärter. Der Film zeichnet die siebenjährige Haft und die Tage vor Gericht aus verschiedenen Perspektiven nach. In Interviews blicken ihre Eltern und Geschwister sowie Frauen, die mit ihr im Gefängnis saßen, auf die Zeit zurück. Sie schildern ihre Bemühungen, die Tochter und Schwester nach Hause zu holen, und den politischen Kampf gegen die männergemachten Gesetze im Iran.

Steffi Niederzoll: Sieben Winter in Teheran. 97 Minuten. Made in Germany Filmproduktion.

Eine wichtige Rolle spielt dabei der Prozess gegen die junge Frau, die wegen Mordes angeklagt wurde. Anfangs sieht es noch so aus, als könnte Reyhanehs Argumentation, sie sei vergewaltigt worden und habe in Notwehr gehandelt, den Richter überzeugen, der vor allem Mängel in der Ermittlungsarbeit beklagt. Doch dann wird er plötzlich gegen einen Richter ausgetauscht, der wie der übergriffige Geheimdienstler zu den Revolutionsgarden gehört. Spätestens hier wird deutlich, dass dieser Fall zu einem politischen Prozess zweckentfremdet wird. Ermittlungsergebnisse, die Reyhanehs Aussagen unterstützten, wurden vernichtet, der Geheimdienst veränderte ihre Aussagen, berichtet ihr damaliger Anwalt.

Die Grundlage des Films Tagebuchaufzeichnungen sowie 14 Briefe, die Reyhaneh ihrer Mutter zum Teil am Telefon vorgelesen hat. Die Aufnahmen dieser Gespräche werden immer wieder in den Film geschnitten, so dass die Stimme der jungen Frau zu hören und sie selbst nicht (wie vom Regime beabsichtigt) zum Objekt der Betrachtung, sondern posthum zum Subjekt des Geschehens wird.

Dazu kommen rund 60 Stunden Videomaterial, teils von der Familie selbst mit dem Handy gefilmt, teils spielten Menschen, die sich mit der Familie und dem Projekt solidarisierten, Material zu. Auf geheimen Wegen sind die Aufnahmen außer Landes gelangt. Dem Magazin von »Film und Medien NRW« sagte Produzentin Melanie Andernach: »Die Aufnahmen sind unter strengster Geheimhaltung und mit ganz anderer Intention entstanden, als Filmemacher:innen an den Stoff herangehen würden. Der Familie ging es um akribische Beweissicherung. Da sind Treppenstufen, Deckenlampen, Menschen im Anschnitt zu sehen.Die Aufnahmen sind ziemlich roh und dadurch beeindruckend.«

Die Menschenverachtung des iranischen Regimes wird in diesem Film an unzähligen Beispielen deutlich. Sie gipfelt aber in der Aussage des neu eingesetzten Richters, Reyhaneh hätte sich vergewaltigen lassen und hinterher Klage einreichen sollen. Eine entscheidende Rolle hat auch religiöse Familie des Opfers gespielt. Im Dezember 2009 wurde Reyhaneh zum Tod durch den Strang im Rahmen verurteilt. Da das Urteil sich auf das Prinzip der Blutrache bezieht, lag es in der Hand der Familie des getöteten Geheimdienstlers, auf den Vollzug zu beharren oder zu verzichten. Eine Begnadigung machte die Familie des Täters, der vom Regime als Opfer inszeniert wurde, aber von der Rücknahme der Vergewaltigungsvorwürfe abhängig. Auf diesen düsteren Deal hat sich Reyhaneh Jabbari selbst im Angesicht des Todes nicht eingelassen.

Reyhaneh Jabbari in »Sieben Winter in Teheran« von Steffi Niederzoll | © Julia Daschner/Made in Germany
Reyhaneh Jabbari in »Sieben Winter in Teheran« von Steffi Niederzoll | © Julia Daschner/Made in Germany

Und dennoch verklärt sie dieser Film nicht als selbstlose Heldin, sondern zeigt sie als Menschen mit all ihrem Schmerz. Nach dem Urteil schrieb Reyhaneh in einem Brief: »Liebe Mutter, ich würde lügen, wenn ich behaupten würde, voller Hoffnung gewesen zu sein, das hier überleben zu können. Aber ich werde sterben. Im schriftlichen Urteil steht, dass ich zum Tod durch den Strang verurteilt bin. Mein ganzes Leben liegt in Trümmern. Es ist alles nur Schein: mein Lachen und Weinen, Fröhlichkeit und Traurigkeit. Jetzt lüge ich auch. Ich möchte meine Angst hinausschreien. Ich fürchte mich vor den Handschellen und Augenbinden. Ich fürchte mich vor dem Strick um meinen Hals. Mein Herz tut weh, wenn ich Deine Hoffnung sehe. Du tust mir so leid. Warum liebst Du mich. Ich wünschte, Du würdest mich hassen! Ich wünschte, Du hättest mich gar nicht erst geboren!«

Als sie aus dem Evin-Gefängnis in ein anderes verlegt wird, beschreibt sie einen Tag wie folgt: »Ein weiterer Tag im Massengrab namens Shahr-e Rey. Hier sind 2.000 Frauen wegen geringer und schwerer Verbrechen eingesperrt. Jeden Tag kommen ein paar frei und andere werden eingeliefert. Gestern wurden elf Gefangene zur Exekution abgeholt. Neun wurden gehangen, zwei wurden verschont. Das normale Leben im Gefängnis geht weiter.«

Reyhaneh Jabbari in »Sieben Winter in Teheran« von Steffi Niederzoll | © Julia Daschner/Made in Germany
Reyhaneh Jabbari in »Sieben Winter in Teheran« von Steffi Niederzoll | © Julia Daschner/Made in Germany

In ihren Briefen spricht die junge Frau aber auch über die Solidarität unter den Gefangenen und gesteht, dass sie den »Boden der Gesellschaft« jahrelang mit falschen Augen betrachtet hat. Im Gefängnis feiert sie ihre Geburtstage ausgelassen »unter den am meisten Unterdrückten«, schließt Freundschaften und hört die Geschichten anderer Frauen. In ihren herausgeschmuggelten Briefen erzählt sie von Mina, die von ihrer Mutter prostituiert wurde, damit ihre Brüder weiter in Saus und Braus leben konnten. Oder von Mahsa, die von ihrem Bruder seit dem 11. Lebensjahr vergewaltigt wurde. Niusha hieß eine Frau, die nach ihrer Scheidung von ihren Eltern verstoßen wurde und auf der Straße leben musste. Geschichten wie diese zeigen, wie hellsichtig Reyhaneh Jabbari die iranische Gesellschaft verstand, obwohl sie von ihr ausgeschlossen war. So zeigt dieser Film, dass man das Leben in diesem Land wohl am besten versteht, wenn man auf jene hört, die hinter Gitter sitzen.

Das erklärt vielleicht auch, warum ausgezeichnete Filmemacher wie Jafar Panahi und Mohammed Rasoulof diese Gesellschaft so rasiermesserscharf in ihren Filmen abbilden. Beide sind erst seit kurzem wieder auf freiem Fuß. Rasoulouf droht bereits neues Ungemach. Nach Aussagen des Journalisten Mansour Jahani befindet er sich immer noch in den Händen des Revolutionsgerichts, das neue Anklagen wegen Beleidigung des Regime und Verbreitung staatsfeindlicher Propaganda vorbereitet.

Reyhaneh Jabbari in »Sieben Winter in Teheran« von Steffi Niederzoll | © Julia Daschner/Made in Germany
Reyhaneh Jabbari in »Sieben Winter in Teheran« von Steffi Niederzoll | © Julia Daschner/Made in Germany

Steffi Niederzolls Film aber konzentriert sich auf diesen Fall, weil er prototypisch für den Umgang mit Vergewaltigung im Iran ist. „Wenn du dich zur Wehr setzt, bist du schuldig. Wenn du dich verteidigst, bist du schuldig. Wenn du es über dich ergehen lässt, bist du schuldig“, sagt Reyhaneh in einer Sprachnachricht, in der sie die Frauen Irans aufruft, sich gegen diese Verhältnisse zu wehren. »Freiheit bedeutet nicht, aus diesen Gefängnismauern auszubrechen, sondern aus den Mauern meines Geistes und meiner Seele«, sagt sie in eine ihrer Sprachnachrichten. Mit dieser unbeugsamen Energie wurde sie zu einer Ikone, deren Geist die aktuellen Proteste im Iran inspiriert.

Nachtrag: Ihre Mutter Shole Pakravan setzte ihren Kampf für die Rechte von Frauen im Iran trotz massiver Bedrohungen fort. 2017 floh sie mit ihrer jüngsten Tochter Shahrzad nach Deutschland, 2021 konnte auch ihre Zweitjüngste Sharare den Iran verlassen. Reyhanehs Vater Fereydoon Jabbari wird die Ausreise bis heute verweigert.

Nachtrag vom 25. Februar 2023

Steffi Niederzolls eindrucksvolle Dokumentation »Sieben Winter in Teheran« wurde auf der Berlinale mit dem Kompass-Perspektive-Preis und den Friedensfilmpreis des Festivals ausgezeichnet.

Jurymitglied Anne Fabini, Steffi Niederzoll (Regie »Sieben Winter in Teheran«), Jurymitglied Dela Dabulamanzi | Berlinale

Jurybegründung der Perspektive Deutsches Kino

»Wie überwindet man das Gefühl der eigenen Ohnmacht und leistet Widerstand? Gebannt verfolgen wir die Geschichte einer jungen Frau, die sich der institutionalisierten männlichen Gewalt widersetzt. Dabei entsteht das einfühlsame Porträt einer Familie, die im Kampf gegen ein Unrechtsregime zerrissen wird. Anhand einer Vielfalt von dokumentarischen Materialien spannt der Film einen stringenten Erzählbogen. Dieser Film tut weh und verstört. Gleichzeitig ist die Begegnung mit der jungen Protagonistin Reyhaneh inspirierend und lässt uns mit einem Funken Hoffnung zurück. Der Kompass-Perspektive-Preis 2023 geht an Sieben Winter in Teheran von Steffi Niederzoll.«

Jurybegründung zum Friedensfilmpreis

»Die Studentin Reyhaneh Jabbari wurde im Iran zum Tode verurteilt und hingerichtet, weil sie einen Mann bei einem Vergewaltigungsversuch in Notwehr getötet hat. Der Film zeigt ihren Mut und ihre Entschlossenheit, trotz drohender Todesstrafe ihre Aussage nicht zurück zu nehmen. Der Film kritisiert sexualisierte Gewalt gegen Frauen im Iran, das „Recht auf Blutrache“ und die juristische Willkür. Er platziert sich jenseits des Begreifbaren und setzt die Erinnerung gegen das Vergessen. Mit Reyhanehs Briefen und Tagebüchern, die durch den Film leiten, gibt „Sieben Winter in Teheran“ ihrer Stimme eine bleibende Plattform. Dem Film gelingt es, durch die geschickte Montage von authentischem Material eine Nähe zur Figur zu schaffen und den Bogen zu aktuellen Protestbewegungen zu schlagen – nicht nur im Iran.«

4 Kommentare

  1. […] wurden laut, wie der vor Jahren nach Berlin geflohene Produzent Sina Ataeian Dena, der auch an Steffi Niederzolls preisgekrönte Dokumentation »Sieben Winter in Teheran« mitwirkte, in einem Gespräch zum Film deutlich machte. Die iranischen Behörden ließen Ahmadzadeh […]

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