Film

Innerer Widerstand

Das iranische Kino hinterlässt erneut einen starken Eindruck bei der diesjährigen Berlinale. Sowohl in dem packenden Drama »A Ballad Of A White Cow« als auch in der surrealen Dystopie »Terminal District« standen die Filmemacher nicht nur hinter der Kamera, sondern haben tragende Rollen übernommen.

Eine weiße Kuh steht in einem leeren Gefängnishof, ganz am Rand, auf beiden Seiten, stehen sich aufgereiht Männer und Frauen gegenüber. Die Szene, die auch aus einem Roman von Kafka stammen könnte, eröffnet und schließt den Wettbewerbsbeitrag des iranischen Duos Behtash Sanaeeha und Maryam Moghdaddam und gibt ihm seinen Namen.

»The Ballad Of A White Cow« erzählt die Geschichte von Mina, einer Frau, deren mann Babak zu Unrecht wegen Mordes zum Tode verurteilt wurde. Knapp ein Jahr nach seiner Hinrichtung wird sie von den Behörden eingeladen, die einräumen, dass sie sich getäuscht und inzwischen den echten Mörder gefunden haben. Um ihren Verlust auszugleichen, soll sie und die Familie ihres Mannes eine beträchtliche Summe als Blutgeld erhalten. Es wäre ein leichtes, es dabei sein zu lassen, zumal die Fabrikarbeiterin dringend Geld bräuchte, aber Mina will sich nicht kaufen lassen. Sie will, dass sich die Richter, die ihren Mann verurteilt haben, persönlich bei ihr entschuldigen und reicht ein entsprechendes Gesuch ein.

Die Nachricht, dass ihr Mann unschuldig von der iranischen Justiz hingerichtet wurde, wirft Mina aus der Bahn. Zugleich macht Babaks Familie Druck, weil Mina mit ihrer Tochter allein in Teheran und nicht bei ihnen lebt. Eines Abends klingelt Reza an ihrer Tür, der sich als Freund ihres Mannes vorstellt und erklärt, dass Babak ihm Geld geliehen habe. Nun wolle er seine Schuld begleichen. Mina lehnt ab, Reza aber beharrt darauf, ihr den Schuldbetrag zukommen zu lassen.

»Ballad of a White Cow« von Behtash Sanaeeha, Maryam Moghaddam | © Amin Jafari

Während sich Mina mit dem zynischen Justizsystem anlegt – ein Beamter erklärt ihr, dass der Tod ihres Mannes trotz allem »Gottes Wille« gewesen sei, ein anderer faselt, dass die Todesstrafe »ein Menschenrecht« sei – und sich gegen den Druck ihres Schwiegervaters wehrt, wird der sanfte Reza zum Fels in der Brandung. Ein Glücksfall in einer Gesellschaft, in der Frauen und vor allem alleinlebende Frauen wie Mina von allen Seiten Verachtung und Missgunst begegnet.

Wo auch immer Mina nun Schwierigkeiten hat, hilft Reza aus. Als sie aus ihrer Wohnung fliegt, stellt er ihr eine neue zur Verfügung. Spätestens hier fragt man sich, wer dieser Mann ist. Und wer den Siegerfilm der vergangenen Berlinale gesehen hat, dem schwant Böses. Denn Mohammad Rasoulofs kafkaeskes Puzzle »There Is No Evil« beginnt mit dem Porträt eines Mannes, der sich liebevoll um seine Familie kümmert, beruflich aber in einem der iranischen Gefängnisse als Henker tätig ist.

Der Film macht aus dieser Frage kein langes Geheimnis. Reza ist einer der Richter, die Babak zum Tode verurteilt haben. Jetzt quält ihn ein schlechtes Gewissen, weshalb er nicht nur seinen Rücktritt eingereicht hat, sondern auch Verantwortung für Babaks hinterbliebene Familie übernehmen will. Zwei Fragen bewegen nun den Film: Kann man die Schuld am Tod eines Menschen und damit auch den Tod selbst ausgleichen? Und was passiert, wenn Mina Rezas wahre Identität entdeckt?

Als eine Anhörung zu Minas Klage in Anwesenheit der verantwortlichen Richter stattfindet, entzieht sich Reza der Befragung, um seine Identität geheimzuhalten. Als Minas Schwiegervater das Sorgerecht für ihre Tochter beantragt, könnte er ihr helfen, muss dabei aber aufpassen, dass Mina nicht mehr über seine Verbindungen zum Gericht herausfindet.

»Ballad of a White Cow« von Behtash Sanaeeha, Maryam Moghaddam | © Amin Jafari

Doch dann ereilt ihn ein Schicksalsschlag. Kurz nachdem sein Sohn zum Militärdienst eingezogen wird, stirbt er an einer Überdosis. Reza bricht zusammen. Im Krankenhaus entlässt man ihn nur, wenn sich Mina um den von Schuld, Scham und Trauer zu Boden gedrückten Mann kümmert. Ihre Chance, sich für seine Unterstützung zu revanchieren. Doch je enger das Verhältnis des Scharfrichters und der Witwe wird, desto näher rückt die Enthüllung des dunklen Geheimnisses.

Der Titel des Films verweist auf eine Sure, in der eine Kuh geopfert wird. Diese Metapher schlägt die Brücke zwischen der modernen iranischen Gesellschaft und den jahrtausendealten Regeln der Scharia, die bis heute die Grundlage des Rechtssystems darstellen. Im Film wird die Kuh-Metapher in mehrfacher Hinsicht weiter verarbeitet, etwa indem Mina in einer Milchfabrik arbeitet oder ein Glas Milch in der Traumszene am Schluss des Films eine entscheidende Rolle spielt.

Co-Regisseurin Maryam Moghdaddam ist zugleich Hauptdarstellerin. Der Film ist ihrer Mutter gewidmet, der echten Mina. Er zeigt die Perspektive der Opfer eines Rechtssystems, das auf Abschreckung und Brutalität basiert. Die Figur ist kein Abziehbild, wie Moghdaddam im Presseheft erklärt (hier zudem ein Q&A). Sie ist eine Kämpferin, die sich in der misogynen iranischen Gesellschaft nicht unterkriegen und schon gar nicht kaufen lässt – weder von einem System, noch von einem Mann, dem es am Ende nur um sein eigenes Seelenheil geht. Moghdaddam spielt eindrucksvoll diese einsame Frau, die mit Wut, Trauer und Zurückweisung zu kämpfen hat und zugleich ihrer Verantwortung für ihre Tochter nachkommen will.

Das ist bei Peymann, der Hauptfigur in dem Filmdebüt von Bardia Yadegari und Ehsan Mirhosseini, vollkommen anders. Verantwortung übernehmen scheint nicht sein Ding, weder für sich noch für andere. Der drogensüchtige Dichter lebt mit seiner Mutter im »Terminal District« am Flughafen Teherans in einem heruntergekommenen Plattenbau. Der nach diesem Viertel benannte Film, der im Encounters-Wettbewerb läuft, beschreibt ein von Umweltkatastrophen und Tyrannei gezeichnetes Land. Die diktatorische Führung unterdrückt ihre Bürger, das Militär die Straßen, die Propaganda das Denken. Ein Virus hält zudem das Land fest im Griff.


»District Terminal« von Bardia Yadegari, Ehsan Mirhosseini

Aus einem solchen Land will man nur noch weg. Peymann wartet bereits ein Jahr auf ein Visum, um in die USA auszuwandern. Dort wartet schon Pari auf ihn, die ihn kurz vor ihrer Ausreise geheiratet hat und sich in den USA um seine Einreise bemühen soll. Im Gegenzug soll er schon einmal Englisch lernen und einen Führerschein machen. Zudem will er einen Band mit Gedichten herausbringen, doch er scheitert an der Zensur.

Weder ihm noch seinen intellektuellen Freunden will etwas gelingen. Da ist etwa Ramin, der eine Stiftung gegen die grassierende Umweltverschmutzung gegründet hat, sich aber von einem der größten Umweltzerstörer finanzieren lässt. Oder Mozhgan, die Peymann die Medikamente für seine kranke Mutter besorgt, aber sonst auch nichts auf die Reihe kriegt.

Wenn Peymann nicht mit ihnen über seine Dichtung oder den maroden Zustand ihres Landes diskutiert, verbringt er seine Zeit mit Pari’s Teenager-Tochter, die aus den USA in den Iran zurückgekommen ist, oder mit Katereh, mit der er eine Affäre führt. Ein normales Leben ist da kaum möglich, zumal ihn sein Drogenkonsum immer wieder zusammenbrechen lässt. In diese Wirklichkeit schiebt sich immer wieder die Erzählung eines Jungen, der in einer postapokalyptischen Welt ums Überleben kämpft.

»District Terminal« von Bardia Yadegari, Ehsan Mirhosseini

Der Film ist von einer raumgreifenden Endzeitstimmung geprägt, Schmutz, Müll, Leere und Trostlosigkeit prägen die dystopische Landschaft, die hier in intensiven Farben eingefangen wird. Dass es sich dabei um die normale Wohnumgebung der Laiendarsteller handelt, mit denen der gesamte Film gedreht wurde, ist den Aufnahmen von Kameramann Navid Moheimanian nicht anzumerken. Zur dystopischen Inszenierung des außen passen die surrealen Bilderfluten, die Yadegari und Mirhosseini immer dann einsetzen, wenn Peymann im Rausch zusammenbricht. Yadegaris physische Inszenierung des heroinsüchtigen Poeten geht unter die Haut, aber auch die anderen Akteure beeindrucken mit ihrer Präsenz.

Tyrannen scheitern, weil es genug andere Menschen gibt, die von einer anderen Welt träumen, heißt es zu Beginn des Films. Diese Idee hat die beiden iranischen Filmemacher Bardia Yadegari und Ehsan Mirhosseini, die beide Mohammad Rasoulof bei »There Is No Evil« unterstützten, zusammengeführt.

Sie legen nun ein noch experimentelleres Puzzle vor, in dem sie vielfältige Themen, Bilderwelten und Erzählebenen miteinander in Beziehung setzen. »District Terminal« ist eine Versuchsanordnung, die den Iran in einer radikalen Bildsprache in einer von Ideologie, Umweltzerstörung und Klimawandel bedrohten Welt verortet. In einer solchen Welt bietet auch die Flucht keine Perspektive. Deshalb braucht es inneren Widerstand. Die beiden iranischen Filme, die in diesem Jahr bei der Berlinale zu Gast sind, überzeugen auf allen Ebenen und sind der beeindruckende Beweis für dessen Existenz.

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