Film

Schuld und Sühne in Teheran

In dem packenden iranischen Drama »Die Ballade von der weißen Kuh« spielt Regisseurin Maryam Moghadam auch die Hauptrolle. Sie verkörpert eine Frau, die sich in einer misogynen Gesellschaft nicht unterkriegen lässt.

Mina lebt als Alleinerziehende mit ihrer taubstummen Tochter Bita in einer kleinen Wohnung in Teheran. Tagsüber arbeitet sie in einer Milchfabrik am Stadtrand, abends schaut sie mit Bita alte Filme. Wenn das Mädchen nach seinem Vater fragt, erzählt ihr Mina, dass er sich auf einer Reise befände und sie nicht wisse, wann er wiederkomme. Sie will ihre Tochter mit der Wahrheit verschonen, denn Babak lebt nicht mehr. In der ersten Szene des Films sehen wir, wie sie ins Gefängnis fährt, um ihren Mann Babak noch einmal zu sehen, bevor das Todesurteil an ihm vollstreckt wird.

Seither drängt sie die Familie ihres Mannes, in ihr Haus zu ziehen. Babaks Bruder soll den Platz seines Bruders an ihrer Seite annehmen, aber Mina weigert sich. Lieber lebt sie in einfachen Verhältnissen, als an der Seite des übergriffigen Schwagers.

Ein Jahr nach Babaks Hinrichtung wird Mina von den Behörden eingeladen. Sie müssen einräumen, dass sie Minas Mann fälschlicherweise verurteilt und inzwischen den echten Mörder gefunden haben. Mit einer beträchtlichen Summe Blutgeld entledigt sich die Regierung ihrer Schuld. Mina aber reicht das nicht, auch wenn Sie das Geld dringend braucht. Sie will, dass sich die Richter bei ihr persönlich entschuldigen und reicht ein entsprechendes Gesuch ein.

»Ballad of a White Cow« von Behtash Sanaeeha, Maryam Moghaddam | © Amin Jafari

Regisseurin Maryam Moghdaddam hat den Film, der bei der digitalen Berlinale 2021 gezeigt wurde, ihrer Mutter gewidmet, deren Geschichte sie darin verarbeitet hat. Sie spielt eine Frau, die sich in der misogynen iranischen Gesellschaft nicht unterkriegen und schon gar nicht kaufen lässt – weder von einem System, noch von einzelnen Menschen. Moghdaddam spielt diese einsame, aber starke Frau mit überwältigender Kraft und großer Anmut.

Eines Abends klingelt ein Unbekannter an ihrer Tür, der sich als ein Freund ihres Mannes vorstellt und erklärt, dass er Babak Geld schulde. Fortan taucht der sanfte Reza immer dann auf, wenn Mina in Schwierigkeiten gerät. Er überweist ihr nicht nur das Geld, dass er Babak vorgeblich schuldet, sondern vermittelt ihr auch eine Wohnung, als sie wegen seiner Besuche ihre kleine Wohnung verliert. Er fährt sie zur Arbeit, unternimmt Ausflüge mit Mina und Bita und unterstützt sie, als Babaks Familie versucht, ihr das Sorgerecht für Bita gerichtlich zu entziehen. Da wissen wir als Zuschauer aber längst, dass Reza keineswegs so unschuldig ist, wie er scheint. Er hatte Babak zum Tode verurteilt, nun plagt ihn sein schlechtes Gewissen.

Das Drama des iranischen Duos Behtash Sanaeeha und Maryam Moghdaddam wird von einer Szene eröffnet, die auch aus einem Roman von Kafka stammen könnte. Da steht eine weiße Kuh in einem leeren Gefängnishof, am Rand stehen sich Männer und Frauen gegenüber. Diese Szene verweist auf eine Sure, in der eine Kuh geopfert wird, und schlägt so eine Brücke zwischen der modernen iranischen Gesellschaft und den anti-modernen Regeln der Scharia, die die Grundlage des iranischen Rechtssystems darstellen. Dieses zynische Regime beleuchten Moghdaddam und Sanaeeha in ihrem packenden Drama aus weiblicher Perspektive.

»Ballad of a White Cow« von Behtash Sanaeeha, Maryam Moghaddam | © Amin Jafari

Wer das iranische Kino der vergangenen Jahre verfolgt hat, wird bei »Ballade von der weißen Kuh« Bezüge zu Mohammad Rasoulofs mit dem Goldenen Bären ausgezeichneten, kafkaesken Puzzle »Doch das Böse gibt es nicht« entdecken. Das beginnt mit dem Porträt eines Mannes, der sich liebevoll um seine Familie kümmert, beruflich aber in einem iranischen Gefängnis als Henker arbeitet. Während der mit seinem Job aber kein Problem zu haben schien, wird Reza von Schuld und Scham zu Boden gedrückt. Er reicht seinen Rücktritt ein und will Mina das Leben erleichtern.

Kann man die Schuld am Tod eines Menschen ausgleichen? Oder gibt es eine universelle Gerechtigkeit? Diesen Fragen stellt sich dieser Film mit aller Entschlossenheit, als Reza ein Schicksalsschlag ereilt. Mina, die nicht ahnt, wen sie da vor sich hat, will sich nun für seine Unterstützung revanchieren und nimmt ihn bei sich auf. Doch je enger das Verhältnis des Richters und der Witwe wird, desto näher rückt die Enthüllung seines dunklen Geheimnisses.

Behtash Sanaeehas und Maryam Moghdaddams geduldig erzähltes Drama zeigt eindrucksvoll, dass das Private politisch ist. Und dass man in dieser Gesellschaft niemandem über den Weg trauen kann – weder dem Staat noch dem Individuum.

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