Rebecca Miller eröffnet mit einer klugen Komödie die 73. Berliner Filmfestspiele. »She Came To Me« ist eine amüsante Reise durch die Neurosen der Boomer hin zur gelassenen Klugheit der Gen Z.
Die Liebe macht manchmal seltsame Dinge. Katrina etwa wird jedesmal von ihr völlig überwältigt. Das mag daran liegen, dass sie als Kind auf dem Schlepper ihres Vaters nicht viel mehr gemacht hat als Romanzen zu schauen und sich in die Rollen der Figuren geträumt hat. Gelernt hat sie dabei, dass man nur hartnäckig sein muss, dann wird das schon mit der Liebe, denn irgendwie müssen sich die zwei Herzen ja finden. Zuletzt hat der Schlepperkapitänin (Oscarpreisträgerin Marisa Tomei) ihre Hartnäckigkeit aber wenig geholfen. Ganz im Gegenteil, musste sie sich in einer Klinik wegen Liebessucht behandeln lassen.
Da ist die Beziehung von Steven (»Game of Thrones«-Star Peter Dinklage) und Patricia (Oscarpreisträgerin Anna Hathaway) deutlich aufgeräumter. Steven ist ein erfolgreicher Komponist, dem sein Ruhm auf die Füße gefallen ist und der eine veritable Depression entwickelt hat. Zur Behandlung hat er sich in die Hände der attraktiven Psychologin Patricia begeben. Die findet offensichtlich Gefallen daran, das Leben ihres Mannes mit Pillen und klaren Ansagen in geordnete Bahnen zu lenken. Ohnehin sind Ordnung und Sauberkeit ihr – großzügig gesprochen – Steckenpferd. Man könnte auch von einer Zwangsneurose sprechen, wenn eine erfolgreiche Therapeutin freudig erregt zum Putzlappen greift, um gemeinsam mit ihrer Putzfrau die Wohnung auf Hochglanz zu bringen.
Fünf Jahre hat Steven keine Oper mehr geschrieben, nun soll er bald ein neues Werk präsentieren. Doch der Erwartungsdruck lähmt ihn, nichts bekommt er mit seinem Assistenten Anton (Aalok Mehta) zu Papier gebracht. Als er mal wieder im Dunkel seiner Depression zu versinken droht, drückt ihm Patricia den gemeinsamen Hund in die Hand und verordnet ihm einen langen Spaziergang. Auf dem legt er einen Zwischenstop in einer Bar ein, wo er Katrina begegnet (was dem Film seinen Titel gibt), die ihm vorschlägt, ihren Schlepper zu zeigen. Über den Verlauf dieser Besichtigung soll hier kein Wort verloren werden, im Ergebnis aber wird Steven diese schicksalhafte Begegnung zu einer Oper umschreiben, mit der er erneut alle Erwartungen übertrifft. Das Problem ist nur, dass Katrina sich plötzlich als seine Muse versteht und ihr Leben an seiner Seite verbringen will.
Hier wird es Zeit, zu einigen anderen Figuren in diesem Film zu kommen. Putzfrau Magdalena (Joanna Kulig) ist vor Jahren in die USA gekommen, allerdings hat sie immer noch keinen Aufenthaltstitel. Gemeinsam mit ihrer Tochter Tereza lebt sie bei Trey (Brian d’Arcy James), einem akribischen Gerichtsreporter, der in seiner Freizeit die historischen Schlachten des Bürgerkriegs nachstellt und auch sonst recht konservative Ansichten pflegt. Das Gesetz ist das Gesetz, lautet seine Devise, entsprechend hat auch in diesem Haushalt alles seine Ordnung.
Tereza (Harlow Jane) ist zarte 16 Jahre und genießt die erste große Liebe mit Julian (Evan Ellison), dem Sohn aus Patricias erster Ehe. Vor ihren Eltern hält sie das geheim, sie fürchtet deren Reaktion. Das Ganze fliegt auf, als Magdalena bei Patricia und Steven als Putzfrau anfängt und das junge Paar ahnungslos das Haus betritt. Als Magdalena einige Tage später in Julians Zimmer Fotos von ihrer Tochter entdeckt, ergreift sie die Wut und Traurigkeit. In ihrer Verzweiflung nimmt sie einige mit nach Hause und zeigt sie Trey, in der Hoffnung, er würde emotional Beistand leisten. Doch der sieht in den Bildern nur einen Beweis für den Missbrauch einer Minderjährigen. Als er Tereza damit konfrontiert und diese aufgewühlt einräumt, dass sie mit Julian schlafe, reicht Trey eine Anzeige ein.
Die Schriftstellerin, Malerin, Schauspielerin und Regisseurin Rebecca Miller (Tochter von Arthur Miller) ist eine langjährige Bekannte der Berlinale. 2005 war sie erstmals mit dem Drama »Jack & Rose« in Berlin zu Gast, in dem auch ihr Ehemann Daniel Day-Lewis mitspielt. 2009 wurde die Adaption ihres eigenen Romans »Pippa Lee« gezeigt, 2016 gastierte sie mit dem Beziehungsdrama »Maggie’s Plan«, in dem Greta Gerwig, Julianne Moore und Ethan Hawke in den Hauptrollen glänzten.
In ihrem neuen Film zeigt sie nun eine Welt, in der die Erwachsenen auf der Suche nach der Sonnenseite des Lebens ebenso selbstgefällig wie selbstvergessen ihre Neurosen pflegen. Ganz egal, wohin man seinen Blick wendet, man sieht Menschen, die von der Komplexität der Welt überfordert sind und sich in alternative Existenzen flüchten, in denen ihre Zwangsneurosen einen zugegebenermaßen völlig verqueren Sinn geben. Aber weil sie ihnen Halt in ihrer haltlosen Existenz geben, klammern sie sich daran fest. Und ja, man kann es etwas platt finden, dass eine Schlepperkapitänin gern Männer abschleppt, ein Komponist im Umgang mit anderen nicht den richtigen Ton trifft, eine Therapeutin der Unordnung im Kopf ihrer Patienten mit der eigenen Zwangsneurose zu Leibe rückt oder sich ein Gerichtsreporter zum Richter über Gut und Böse aufschwingt. Aber eigentlich ist das alles schon wieder so überzogen, dass es komisch ist. Die skurrilen Opern-Elemente, die sie dabei einbindet, brechen die Wirklichkeit sensationell gut auf und führen die Absurdität der Verhältnisse vor Augen.
Der eigentliche Clou in diesem Film sind aber die beiden Teenager. Tereza und Julian strahlen eine Gelassenheit aus, die die Verhältnisse in diesem Film auf den Kopf stellt. »Ich habe Angst, dass wir erwachsen werden und vergessen, wer wir jetzt sind«, flüstert Tereza Julian in einer Szene ins Ohr. Aber da ist schon klar, dass sie längst die eigentlichen Erwachsenen in »She Came to Me« sind. Mit einer geradezu altersweisen Vernunft und Umsicht begegnen sie den Marotten und Krisen ihrer Eltern. Die rigiden Erziehungsmethoden der Boomer umschiffen sie mit den Mitteln ihrer Zeit und basteln zugleich an einer Zukunft, die auch für sie lebenswert ist. Denn im Gegensatz zu ihren Eltern sind sie bereit, von ihren eigenen Vorstellungen eines guten Lebens abzuweichen und unkonventionelle Wege zu gehen.
Rebecca Millers unterhaltsamer Eröffnungsfilm ist viel mehr als eine amüsante Komödie, in der einige skurrile Figuren – verkörpert von einem umwerfenden Ensemble – schräge Dinge tun. »She Came To Me« ist auch keine Seifenoper, sondern eine geistreiche Allegorie auf die Gegenwart, in der die Boomer zwangsneurotisch an ihrem verschwenderischen Dasein festhalten, während ihre Kinder längst begriffen haben, dass sie andere Wege gehen und kompromissbereiter sein müssen, um in dieser Welt eine Zukunft zu haben.
Ohne Verweise auf die aktuellen Krisen der Welt (der ukrainische Präsident war wie schon in Cannes und Venedig bei der Eröffnungsveranstaltung zugeschaltet), die in diesem Jahr einen besonderen Schwerpunkt auf der Berlinale bilden und sich durch alle Sektionen ziehen, eröffnet das politischste der großen Filmfestivals mit einem Film, der verspielt und überzeugend den Boomern den Spiegel vorhält und seine Sympathien für die Generation Greta erklärt. Alles andere als eine schlechte Wahl von Festivalmacher Carlo Chatrian, bevor sich in den kommenden zehn Tagen 19 Filme den kritischen Augen der Jury unter der Leitung von Kristen Stewart stellen.
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