Film

Berlinale 2023: Avantgarde statt Blockbuster

Insgesamt 18 Filme werden bei der 73. Berlinale im Wettbewerb um den Goldenen und die Silbernen Bären konkurrieren, allein fünf Filme kommen von deutschen Filmemacher:innen. Margarethe von Trotta kehrt nach Jahrzehnten zum Festival zurück. Der amerikanische Regisseur Steven Spielberg wird den diesjährigen Ehrenbären erhalten.

Mit Spannung erwartet die internationale Filmkritik jedes Jahr das Line-Up der anstehenden Berlinale. Die Geschäftsführerin der Berlinale Mariette Rissenbeck und der künstlerische Direktor Carlo Chatrian präsentierten am Vormittag das Programm der beiden großen Reihen Wettbewerb und Encounters. Die ganz großen Namen vermisst man einmal mehr, die werden nun endgültig in die Gala-Reihe der Berlinale abgeschoben. Chatrian geht hingegen weiter seinen konsequenten Weg, die Berlinale mit künstlerischen Beiträgen im Sinne von Pasolinis Cinema of Poetry im internationalen Raum etablieren zu wollen.

»Wir begreifen Kino als Katalysator, als etwas Revolutionäres, das verbindet, gerade da, wo Meinungen auseinandergehen. Daran haben wir uns bei der Zusammenstellung des Programms orientiert«, erklärt Chatrian im Pressedossier. Nachdem die letzten Ausgaben an der Corona-Pandemie ziemlich Schaden genommen haben, ein durchaus riskanter Weg, der dazu führen könnte, dass die Berlinale ihre Bedeutung als eines der drei großen Festivals endgültig einbüßt. Dazu trägt auch bei, dass im Wettbewerb Filme gezeigt werden, die andernorts bereits zu sehen sind. Etwa Makoto Chinkais Animationsfilm »Suzume«, der bereits in Japan angelaufen ist, oder Celine Songs Melodram »Past Lives«, das gerade in Sundance Premiere feierte.

Cleia Almeida in »Mal Viver« von João Canijo | © Midas Filmes

Ansonsten entwickelt sich die Berlinale zu einem Liebhaber-Festival, bei dem Filmemacher:innen eine große Bühne bekommen, die unter Cineast:innen einen Ruf genießen, aber nicht zur ersten Garde gehören. Matt Johnson, Giacomo Abbruzzeze, Ivan Sen, John Trengove und Philippe Garrel gehören schon zu den großen internationalen Namen im 18 Filme umfassenden Line-Up. Mit »20.000 Species of Bees« von Estibaliz Urresola Solaguren, »Disco Boy« von Giacomo Abbruzzese und »Past Lives« von Celine Song ziehen gleich drei Filmdebüts in den Wettbewerb ein. Mit den beiden spanischsprachigen Filmen »20.000 Species of Bees« und »Tótem« von Lila Avilés will Chatrian an die Filmsprache des letztjährigen Gewinnerfilms »Alcarràs« von Carla Simón anknüpfen.

Auffällig am diesjährigen Wettbewerb ist die starke deutsche Präsenz. Gleich fünf deutsche Beiträge konkurrieren um die Bären. Am meisten erwartet ist Margarethe von Trottas Film »Ingeborg Bachmann – Reise in die Wüste«, der sich mit der österreichischen Schriftstellerin, gespielt von Vicky Krieps (die zuletzt als Kaiserin Sissy brillierte), und ihrer Beziehung zu Max Frisch (Ronald Zehrfeld) auseinandersetzt. Spannend daran wird sein, wie sie diese Beziehung filmisch einfängt. Den Briefwechsel zwischen Bachmann und Frisch, der gerade erschienen ist, konnten die Filmemacherin und ihr Team dafür nicht einsehen.

Thomas Schubert, Paula Beer, Langston Uibel, Enno Trebs in »Roter Himmel« von Christian Petzold | © Christian Schulz / Schramm Film

Vielversprechend ist auch die Fortsetzung von Christian Petzolds Filmtrilogie, die mit »Undine« begann. In »Roter Himmel« wird erneut Paula Beer, die für ihre Rolle in »Undine« den Silbernen Bär für die beste weibliche Hauptrolle erhielt, auftauchen. Der Film stellt vier Menschen in den Mittelpunkt, die in einem Ferienhaus an der Ostsee eingeschlossen werden, nachdem Waldbrände rund um das Haus ausbrechen. Außerdem laufen im Wettbewerb der neue Film von Christoph Hochhäusler »Bis ans Ende der Nacht«, Angela Schanelecs Ödipus-Geschichte »Music« und Emily Atefs Literaturverfilmung »Irgendwann werden wir uns alles erzählen«, basierend auf dem gleichnamigen Roman von Daniela Krien.

Chatrian setzt eher auf besondere Akzente, etwa wenn der portugiesische Regisseur João Canijo, der bereits zweimal in Cannes eingeladen war, im Wettbewerb sein Melodram »Mal Viver« zeigen darf, während bei Encouters das Gegenstück »Viver Mal« läuft. Ohnehin etabliert sich Encounters als Konkurrenz zum Wettbewerb, was schon in den vergangenen Jahren auf wenig Gegenliebe unter den Kritiker:innen gestoßen ist, weil sich das Cannes-Konzept des »Certain Regard«, des besonderen Blicks, nicht durchsetzt. Um Hong Sangsoo nach zwei Auszeichnungen infolge nicht zum Dauergewinner zu machen, darf der Südkoreaner seinen neuen Film »In Water« diesmal nur bei Encounters zeigen.

Mehran Tamadon, Zar Amir Ebrahimi in »My Worst Enemy« von Mehran Tamadon | © l’Atelier Documentaire

In dieser Sektion konkurriert Hong Sangsoos Film mit 15 anderen Beiträgen, die bei der Vorstellung zum Teil mehr Eindruck hinterließen als der gesammelte Wettbewerb. Hier schärft die Berlinale vor allem ihr politisches Profil. Leandro Koch und Paloma Schachmann zeigen etwa ihren vielversprechenden Road-Movie »The Klezmer Project«, Malika Musaeva zeigt den tschetschenischen Film »The Cage is Looking for a Bird«, Vitaly Mansky und Yevhen Titarenko sind mit der Ukraine-Kriegsdoku »Eastern Front« vertreten und mit Mehran Tamadons »My worst Enemy« läuft der einzige iranische Film in beiden Wettbewerbs-Sektionen bei Encounters. Insgesamt werden auf der diesjährigen Berlinale sektionsübergreifend neun Filme mit Iran- und acht Filme mit Ukraine-Bezug gezeigt.

Die Berlinale beginnt am 16. Februar 2023 mit Rebecca Millers romantischer Komödie »She Came to Me«, die in der Reihe Berlinale Special gezeigt wird. Diese Reihe versammelt ein facettenreiches Programm, von Todd Fields Dirigentinnen-Porträt »Tár«, Sean Penns Ukraine-Kriegsdokumentation »Superpower«, Guy Nattivs Biopic »Golda« über Israels erste weibliche Ministerpräsidentin Golda Meir oder David Wnendts Literaturverfilmung »Sonne und Beton«. Auch Serien zeigt das Festival wieder. Acht Welt- und internationale Premieren werden gezeigt, darunter auch die ZDF-Verfilmung von Frank Schätzings Weltbestseller »Der Schwarm«.

Peter Dinklage in »She Came to Me« von Rebecca Miller | © Protagonist Pictures

Der Goldene Ehrenbär geht in diesem Jahr an Steven Spielberg. Neben seinen Klassikern wie »Der weiße Hai«, »E.T.« oder »Schindlers Liste« werden auch sein packendes Debüt »Duel« und sein neuer Film »Die Fablemans« gezeigt. Nach zwei Pandemie-bedingt außerordentlichen Festivaljahren geht die Berlinale in diesem Jahr wieder in den normalen Modus über und zeigt die Filme in den voll ausgelasteten Kinos in Berlin. Die Internationale Jury wird von der amerikanischen Schauspielerin Kristen Stewart geleitet.

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