Hannes Binder ist einer der einflussreichsten Illustratoren der Schweiz. Seine Werke sind vielfach ausgezeichnet. Im Limmat Verlag ist jetzt eine 1997 für das Du-Magazin gezeichnete Geschichte Binders erschienen, die von den Ängsten eines Künstlers erzählt.
Diese Geschichte beginnt mit einem Auftrag. In sechs Wochen sollte Hannes Binder für das Schweizer Du-Magazin, das regelmäßig großartige Künstler- und Themenausgaben veröffentlicht, auf vierzig Seiten eine Story über das Böse in der Neunten Kunst zeichnen. Es wird der Aufmacher der Ausgabe 670, mit der sich das Magazin erstmals dem Medium Comic widmet. Binder ist selbsterklärt kein Experte der zahlreichen Antihelden, die durch den amerikanischen und europäischen Comickosmos toben. Dennoch nimmt er den Auftrag an, wenngleich der Zeitplan eine Unmöglichkeit darstellt.
Wer Binders Werke kennt, der weiß, dass er kein Freund des Digitalen ist. Schabkarton ist hier das Medium seiner Wahl, weil er in seiner Holzschnittartigkeit einen betörenden Effekt der Zeitlosigkeit mit sich bringt. Seine düsteren Zeichnungen tragen den Leser seine Geschichte weit weg in eine Gegenwart, die nicht von dieser Welt ist. In dieser Gegenwart lebt der Comiczeichner Born, der sich mit der Comicstripserie »Bibi« über Wasser hält. Sein Studio ist Teil der Fun Factory, die Born auch gern »Galeere des Guten« nennt. Aus dieser Galeere wird er entführt, anders könnte er wohl auch kaum zum »Born des Bösen« werden, der dieser abgründigen Geschichte ihren Titel gibt.
Batmans Antipode Joker entführt den Zeichner in die Verließe von Dr. Frieda Boher, Schöpferin des Muskelmonsters Necron, die in ihren Frankensteinlaboren Hand anlegt und Born einer Operation unterzieht, die ihm das Zeichnen seiner lächerlichen Bibi-Funnies verunmöglichen wird. Anschließend wird er in das Gewölbe des Bösen entführt, eine Art Kathedrale der Unterwelt, deren Wände er nun mit Personal ausstatten soll. Er soll das Böse hier an die Wand pinseln – eine nicht zu übersehende Allegorie auf den Auftrag, den Binder entgegengenommen hat.
Born des Bösen ist ein grafisch aufsehenerregende und erzählerisch gewitzter Kreislauf über die Nöte des Comiczeichners und wie sie sich in seinen Geschichten spiegeln. Born ist Binder, der hier von Marv aus Frank Millers Sin City an den Haken genommen und unter die Decke des Gewölbes gezogen wird, an die er mit literweise Blut die Helden der Unterwelt pinseln soll. Die Parallelen des Auftrags, unter Hochdruck eine Galerie des Bösen zu zeichnen, liegt auf der Hand. Das Blut, mit dem Born die Unterwelt zeichnet, ergießt sich in einen Ozean, auf dem die Galeere des Guten treibt, auf die sich Born nach einer abenteuerlichen Flucht rettet. Die letzten Bilder zeigen den Illustrator an seinem Arbeitsplatz, er blickt aus dem Fenster und sieht, wie sich eine Monsterwelle aus dem Blutmeer über der Stadt ergießt, in der er lebt.
Im Nachhinein könne man die Flutwelle, die die Stadt überrollt, als die nahende Digitalisierung deuten, schreibt Binder im Nachwort des schmalen Bandes, den die Lesenden dieser Geschichte in den Händen halten. Darin thematisiert er auch die Frage der Kolorierung – man ist froh, dass vor 19 Jahren keine Zeit dafür war, denn diese kafkaeske Reise zeiht ihre erzählerische Kraft aus der Schwärze, in die diese Geschichte getaucht ist.
Die wenigen analogen Fregatten, die noch auf dem tobenden Meer vor sich hin dümpeln, sind bei Binder schon nicht mehr zu sehen, »die Ungeheuer des Cyberspace haben definitiv das Feld übernommen«. Dass es diese Fregatten aber gibt und diese einzigartige Vorzüge haben, beweist die Existenz dieses Büchleins, das gleichermaßen ein Meisterwerk des Grafischen wie des Buchdrucks ist und sich in seiner klassischen Erscheinung im besten Sinne gegen die Moderne und die mit ihr einhergehende Digitalisierung aller Dinge sperrt.