Der Comicmarkt in Deutschland differenziert sich zunehmend aus. Neben den Serien und Fortsetzungsgeschichten, Crime- und Horrorcomics, SciFi-Sagas und Funny-Tales, Comicreportagen und »Graphic Novels« entsteht mit dem Sachcomic ein neues Genre an den Rändern der Neunten Kunst. Es ist der leichteren Vermittlung komplexer Sachverhalte gewidmet. Das geht jedoch nicht immer gut.
Regierungschefs müssen viel reisen. Das dachten sich offenbar auch der Wirtschaftsjournalist Jan-Uwe Heuser und die beiden Illustratoren Miriam Magliazzi und Mart Klein, als sie Bundeskanzlerin Angela Merkel im Dezember 2013 auf eine besondere »Suche nach der endgültigen Weisheit« schickten. Auf elf Seiten ließen sie Merkel zu den großen Vordenkern der Ökonomie reisen, um in Erfahrung zu bringen, was die Keynes, Ehrhardts und Friedmans zur Finanzkrise, zu Staatsverschuldung und Inflation zu sagen haben. Ihr Zeitungscomic The astonashing tales of the TIME TRAVELLING WOMAN wurde vor wenigen Wochen mit einem der renommierten Lead Awards ausgezeichnet, auch weil er mehr über die Hintergründe der Finanzkrise vermittelt, als es klassischer Journalismus vermag.
Was im Zeitungscomic funktioniert, muss nicht zwangsweise auch in epischer Form gelingen. Dies belegt der von einem vielköpfigen Autoren-Zeichner-Kollektiv vorgelegte Klimawandelcomic Die große Transformation. Ob das Misslingen dieses Comics auf die Binse der vielen Köche, die den Brei verderben, zurückzuführen ist oder darauf, dass bei dem vom Bundesministerium für Bildung und Forschung geförderten Werk am Ende nur der kleinste gemeinsame (regierungsfreundliche) Nenner gefunden werden konnte, kann hier nicht abschließend geklärt werden. Fakt ist aber, dass dieser Comic kein Comic ist.
In neun Kapiteln werden darin die fachwissenschaftlichen Monologe von Sachverständigen des Wissenschaftlichen Beirats der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen in immer gleicher Weise reinszeniert. Auf dem Weg zur Arbeit oder einer Konferenz dozieren sie über die bereits sichtbaren und absehbaren ökologischen, geologischen, demografischen und sozialen Auswirkungen des menschgemachten Klimawandels, um abschließend mögliche Handlungsoptionen aufzuzeigen, mit denen der Klimawandel noch aufgehalten werden könnte. Die wichtigste Erkenntnis dabei lautet, dass es neben der technischen und institutionellen Evolution vor allem eine individuelle geben muss. Oder anders gesagt: Wenn wir unseren inneren Schweinehund nicht immer wieder überwinden, dann ist ein massiver Klimawandel nicht mehr zu verhindern. »Wir müssen unser heutiges Handeln im Futur 2 denken: Was werde ich 2013 getan haben müssen, um 2050 einen Zustand vorzufinden, den ich begrüße und der auch meinen Kindern und Enkeln oder denen anderer Leute ein gutes Leben bereitet?«
So wichtig das Thema und richtig die Argumente sind, so sperrig liest sich dieser Comic. Der Autor vermutet hinter dem Projekt das gut gemeinte Ansinnen, einer jungen Leserschaft das hochkomplexe Thema des Klimawandels in angeblich jugendaffiner Form nahebringen zu wollen (es gibt einen Blog zum Buch mit Unterrichtsmaterial). Das geht aber vollkommen schief. Ma abgesehen davon, dass bereits die Annahme, Comics wären eo ipso ein Medium für Kinder und Jugendliche eine falsche ist, ist die Umsetzung hölzern und unbeholfen. Die mit Fachvokabular vollgestopften und technisch gehaltenen Texte kann auch der zehnseitige Glossar nicht auffangen, die statischen Zeichnungen illustrieren die wissenschaftlichen Fakten und Statistiken nur dürftig.
Jeder Comiczeichner weiß, dass etwas mit seiner Zeichnung nicht stimmt, wenn noch erklärt werden muss, was darauf zu sehen ist. In dieser Publikation ist das jedoch keine Seltenheit. Nicht zuletzt erweist auch der Umstand, dass hier kein Kritiker zu Wort kommt, dem Thema einen Bärendienst, denn die unsinnigen Thesen der Klimawandelskeptiker werden allein durch Ignoranz nicht entkräftet. Die große Transformation ist als Sachcomic in erster Linie eine große Enttäuschung.
Ähnlich verhält es sich mit den »Infocomics« bei TibiaPress, wo inzwischen über 20 illustrierte Publikationen vorliegen. Zwar mögen die Abhandlungen über Logik, Ethik und Psychoanalyse, die Biografien zu William Shakespeare, Friedrich Nietzsche oder John Maynard Keynes sowie die Einführungen in die Teilchenphysik oder die kontinentale Philosophie leichter daherkommen als ein Fachbuch. Als Comics aber sind diese mit Illustrationen und Sprechblasen versehenen Bücher nicht zu gebrauchen.
Zum Glück gibt es andere, deutlich bessere Beispiele, die zeigen, dass hochkomplexe Sachzusammenhänge in Text und Bild gelingend vermittelt werden können. Die beiden US-Amerikaner Michael Goodwin und Dan E. Burr haben mit Economix. Wie unsere Wirtschaft funktioniert (oder auch nicht) einen Comic-Bestseller verfasst, der sich auch hierzulande einer großen Nachfrage erfreut. Das knapp 300 Seiten umfassende Album, in dem aus der amerikanischen Perspektive die Entstehung der Weltwirtschaft und ihren jüngsten Zusammenbruch erklärt werden, befindet sich bereits in der vierten Auflage.
In Scott McCloud’scher Manier reist Erzähler Goodwin mit seinen Lesern durch die Jahrhunderte, um nicht nur die Gedanken der großen Wirtschaftstheoretiker vor den Umständen ihrer Zeit zu erklären, sondern auch um die innen- und außenpolitischen Folgen der wirtschaftlichen Ausrichtung der US-Regierungen aufzuzeigen.
Bis zum 20. Jahrhundert ist dies ziemlich aufregend, da bis dahin die Weltwirtschaft als Netz globaler Abhängigkeiten überhaupt erst entsteht. Entsprechend setzt sich der Comic bis dahin eher grundsätzlich mit den wirtschaftspolitischen Philosophien der jeweiligen Zeit auseinander und legt deren Wirkung auf die Realpolitik offen. Mit Übergang ins 20. Jahrhundert aber entwickelt sich die Erzählung der globalen Ökonomie immer mehr zu einer Homestory der US-amerikanischen Innenpolitik, die außenpolitische Folgen hat. Ob große Depression, New Deal oder Green Revolution – all diese wirtschaftspolitischen Wegmarken des 20. Jahrhunderts werden als von Uncle Sam übergestülpte Maßnahme dargestellt. Nun ist der Einfluss der USA auf die Weltwirtschaft sicherlich kein geringer. Aber die hier eingenommene Perspektive ist in Teilen blind gegenüber der Selbstbestimmung zumindest der anderen Demokratien.
Unverkennbar ist, dass sich Den E. Burr mit dieser Arbeit vor den Granden der amerikanischen Karikatur Harvey Kurtzman und David Levine verneigt. Leider kommt man aber nicht dazu, dies zu genießen, weil der Comic unter einer immensen Textlastigkeit leidet, die auch der subtile Humor von Burrs karikierendem Stil nicht auffangen kann. Hier erinnert der Comic an Joe Saccos nicht minder textlastige Comicreportagen. Allerdings unterbricht Sacco seine journalistische Erzählung immer wieder, um seiner karikierenden Grafik Raum und Entfaltung zu geben. Das kommt hier zu kurz. Das führt dazu, dass der Comic das Potential, das in ihm steckt, nicht vollends nutzen kann.
Dem scheint aber auch ein im Ansatz falsches Verständnis der Text-Bild-Erzählung zugrunde zu liegen. Der Erzähler beschreibt den Comic eingangs als die »am leichtesten zugängliche Form«, in der man die Geschichte der Ökonomie erzählen könne. Jeder, der etwas von der Neunten Kunst versteht, weiß, dass allein die Verknüpfung von Text- und Bildinformationen im Leserkopf eine hochkomplexe Angelegenheit ist. Da die Autoren über diese Tatsache hinweggehen, schöpfen sie Möglichkeiten des Comics wie Bildmetaphern und Ikonografien nicht vollends aus.
Diese Kritik kann man an dem Comic Das Überleben der Spezies des belgischen Wirtschaftskolumnisten Paul Jorion und des französischen Zeichners Grégory Maklès nicht übern. Ihre »kritische, aber nicht ganz hoffnungslose Betrachtung des Kapitalismus« ist eine glänzende Aufarbeitung der Finanzkrise und ihrer Folgen in Comicform. Vom Text-Bild-Verhältnis über die perfekte Bildsprache bis hin zur Übertragung der hochkomplexen wirtschaftstheoretischen Fakten in allgemein verständliche Informationshäppchen passt in dieser Einführung in die kapitalistische Logik und ihre Abgründe einfach alles.
Im Zentrum steht dabei die Untersuchung der Rollen von Arbeitnehmer, Boss und Kapitalist, die – ein jeder in seiner Rolle – dazu beitragen, dass das kapitalistische System wie durch Zauberhand erhalten bleibt. Der angestellte Ottonormalverbraucher ist dabei so austauschbar, wie die Legofigur, als die er dargestellt wird. Seine Anliegen werden zwischen den Eigeninteressen seines Bosses (der einem nordafrikanischen Militär ähnelt) und der Raffgier des fröhlich-selbstzufriedenem Geldgebers in Zylinder und Dreiteiler aufgerieben.
Dem ausgebeuteten Tor zur Seite stehen ein linker Journalist, der Opfer eines tragischen Unfalls wird, sowie der Kapitalistenerbe Johann-Eduard, der seine ständige Kritik am Kapitalismus schließlich mit einer Umerziehung à la Clockwork Orange bezahlen muss. Orchestriert wird diese gezeichnete Soap-Opera von dem geheimnisvollen Fabuloux, der als magischer Soziopath bei der Bank »Gloldman Sax« mit waghalsigen Finanzprodukten spekuliert und eingangs vor Gericht sein Handeln mit dem Motto »TDS – Tod den Schwachen« rechtfertigt.
Jorion und Maklès wollen in ihrem Comic nicht einfach nur eine Geschichte des Kapitalismus erzählen, sondern sie haben eine echte Story, anhand der sie diese Geschichte ausführen. Das ist der große Unterschied zum Economix-Comic, der im Vergleich dann doch etwas zu brav die Geschichte der Weltwirtschaft erzählt.
Der Wechsel von der Faktionalität zur Fiktionalität des frankobelgischen Autorenteams verschafft ihnen die Freiheit, um das Medium Comic vollends zu nutzen. Von der ersten bis zur letzten Seite finden Sie für die Ausbeutung des Menschen durch den Menschen die richtige (Bild)Sprache. Der steinzeitliche Befehl »Ey Ranran, schieb deinen Hintern rüber« könnte direkt vor dem Satz »Wir sind Kapitalisten. Wenn es Arbeit zu tun gibt, finden wir jemanden, der sie für uns erledigt« stehen, und dieser wiederum direkt vor der Erkenntnis des Arbeiters »Wenn man sieht, was man sieht, und hört, was man hört, hat man allen Grund zu denken, was man denkt«.
Jorion und Maklès entlarven durch kongeniale Assoziationen die Rollen- und Verhaltensweisen des Menschen im Kapitalismus und zeigen, was die Finanzwelt im Innersten zusammenhält. Die kapitalistische Logik ist eine darwinistische Spielart unseres Wirtschaftssystems, bei der nur einer gewinnen kann. Denn »ein Spiel, bei dem alle gewinnen, wäre schließlich nicht sonderlich unterhaltsam, oder?»
Eine kürzere Fassung dieses Textes erschien im Berliner Stadtmagazin TIP, Ausgabe 01/2015.
[…] als Playmobil-Geisterfiguren – Menschen wie Playmobil-Figuren gezeichnet hatten schon Paul Jorion und Grégory Maklès in ihrem kapitalismuskritischen Comic Das Überleben der Spezies – laufen die Kadetten durch diese in den verkommenen Traditionen verhangene Welt, die mit […]