Jaime Hernandez legt mit »The Love Bunglers« eine tiefenpsychologische Studie seiner Lieblingsfigur Margarita Chascarillo vor. Dieses zeitlose Meisterwerk in Schwarz-Weiß lässt den Leser noch einmal tief in das verwinkelte »Love and Rockets«-Universum eintauchen.
Los Bros Hernandez haben mit ihrer Latino-Kalifornien-Saga Love and Rockets die Neunte Kunst neu erfunden. Wenn es eine Geburtsstunde der Alternativcomics gab, dann kann man sie von dieser Echtzeit-Serie nicht lösen. Die ersten Hefte der drei Brüder Gilbert, Jaime und Mario Hernandez erschienen Anfang der 1980er im Selbstverlag, es sollte aber nicht lange dauern, bis die Hernandez-Brüder beim US-Verlag Fantagraphics Books eine verlegerische Heimat für ihr Großprojekt finden sollten (in Deutschland gründete Dirk Rehm 1991 seinen Verlag Reprodukt sogar vor allem deshalb, um Love and Rockets in Deutschland herauszubringen). Ebenso schnell wie sich ein Verlag fand, stieg Mario Hernandez aus der Geschichte aus. Jaime und Gilbert Hernandez sollten das Universum dieser Erzählung allein erschließen.
Während sich Gilbert dabei auf die Ereignisse in dem fiktiven lateinamerikanischen Nest namens Palomar konzentrierte, verfolgte Jaime die Geschehnisse in der kalifornischen Kleinstadt Hoppers (von den lateinamerikanischen Bewohnern meist Huerta genannt). Unter diesen beiden Städtenamen veröffentlichten die beiden Brüder zwischen 1982 und 1996 fünfzig Alben. 2001 nahmen sie noch einmal die Spur ihrer beiden weiblichen Hauptheldinnen Luba (in Palomar), Maggie und Hopey (in Hoppers beziehungsweise Locas) auf. Bis 2007 erschienen 20 Alben, bevor seit 2008 mit Love and Rockets: New Stories die Erzählung mit bislang sieben Jahrestiteln fortgesetzt wird. Die Faszination dieses Epos besteht nicht nur aus der magischen Anziehung, die die Hauptcharaktere ausstrahlen, sondern in der den Daily Soaps entnommenen Erzählweise in Echtzeit, die dazu führt, dass Leser und Figuren gemeinsam heranwachsen, Erfahrungen machen und altern.
Vor allem die Love and Rockets-Hauptcharaktere haben es Lesern und Autoren gleichermaßen angetan. Bei Gilbert Hernandez ist das in erster Linie die selbstbewusste und (vor allem mit jüngeren Männern) überaus promiskuitive Luba, deren Schicksal er seit nunmehr über drei Jahrzehnten zeichnerisch begleitet. Ihre Jahre in Palomar sowie die anschließende Flucht in die USA hat er in zahlreichen Alben begleitet. Die Luba-Trilogie bestehend aus Luba in America, The Book of Ophelia und The Three Daughters sowie das Sequel Luba versammeln die erotisch-dramatische Geschichte dieser Frau, die zu den einhundert sexiest female comic characters gezählt wird.
Jaime Hernandez’ Favoritinnen sind die beiden Freundinnen Margarita Luisa Chascarillo alias Maggie und Esperanza Leticia Glass alias Hopey, die in Hoppers/Huerta – einer fiktionalen Variante der Hernandez-Base Oxnard – im Mittelpunkt der lateinamerikanischen Community stehen. Einmal mehr hat Hernandez Maggie nun einen Einzelcomic gewidmet, mit dem er eine Klammer um Kindheit und Alter seiner wichtigsten Heldin setzt. Erstmals taucht sie in der Serie Music for Mechanics in den beiden Alben Mecanicos auf, die davon handeln, wie sie mit einer Gruppe Solaringenieure nach Afrika reist und in den Strudel eines politischen Aufstands gerät. Es ist der Auftakt einer jahrzehntelangen Verbindung, in der Jaime seine Hauptfigur durch Freundschaften und Affären sowie über zahlreiche Schicksalsschläge hinweg begleitet. Maggies erste große Liebe Eulalio Ortiz alias Speedy wird sich umbringen, anschließend wird Maggie auf den Maler und Langzeitgeliebten Ray Dominguez treffen. Sie wird ihrer Freundin Isabel Reubens alias Izzy beistehen, als diese eine Abtreibung vornehmen lässt, und muss hilflos mit ansehen, wie Isabel zu einem nervösen Wrack wird. Und immer wieder steht ihre Freundschaft mit der lesbischen Hopey im Mittelpunkt, die sie aus der Punkrock-Szene kennt und an diese zwischenzeitlich auch verlieren wird.
2005 griff Jaime Hernandez die Storyline von Maggie noch einmal auf, um in Ghost of Hoppers die Geschichte der inzwischen erwachsenen und in San Fernando als Immobilienmanagerin arbeitenden Maggie zu erzählen. Eines Tages taucht dort Izzy mit einer Menge schlechtem Karma auf und sorgt dafür, dass Maggie von den Geistern ihrer Kindheit heimgesucht wird.
Mit »The Love Bunglers« legt Jaime Hernandez nun ein grandioses Album vor, in dem er die Lebenslinien seiner Hauptfigur Maggie erneut aufgreift. Wie in einem Kaleidoskop montiert er darin die Schicksalsschläge und Lebenswendungen, die Maggie seit ihrer Kindheit ereilt haben, zu einer Art tiefenpsychologischer Biografie, um Motive und Verhaltensweisen von Maggies Dasein zu erschließen. Da ist das Schicksal der großen Schwester, die immer hinter den Bedürfnissen ihrer Geschwister Esther und Calvin hat zurückstecken müssen. Da ist der frühe Verlust des Bruders Calvin, für den die kurze familiäre Episode in »Browntown« Cadezza – wo es zur Trennung der Eltern kommt – fatale Folgen haben wird. Später wird Calvin wie ein Geist aus alten Zeiten wieder in Maggies Leben treten. Auch das plötzliche Auf-sich-allein-gestellt-sein nach Hopeys Auszug stellt sie vor einige Herausforderungen, ebenso wie der Verlust ihres Jobs und das Katz-und-Maus-Spiel mit ihrem Langzeitschwarm Ray Dominguez. Jaime Hernandez zeichnet diese übervolle Lebensgeschichte nicht nur in Schlaglichtern nach, sondern stilisiert sie in einer klugen Montage der verschiedenen Perspektiven und Zeiten zu einem Kampf um Bedeutung und Würde im Leben.
»The Love Bunglers« – frei übersetzt handelt diese Geschichte also von Liebesdilettanten – ist die ergreifende Erzählung von Maggies unablässigem Ringen um Aufmerksamkeit, Geborgenheit und Zuneigung. Es ist die unter die Haut gehende Geschichte der ständigen Suche nach dem, was ihr in frühester Kindheit abhanden gekommen ist. Jaime Hernandez lässt uns der tief in Maggies Augen ruhenden Melancholie der Jahre nachspüren und verstehen, was diese verlorene Seele im tiefsten Inneren erschüttert hat. Erinnerung und Gegenwart, Hoffnung und Resignation vereinen sich in diesem mit dem LA Times Book Prize ausgezeichneten Comic zu einem zeitlosen Meisterwerk in Schwarz-Weiß.
Nachtrag: Immer wieder hört man von dem Vorhaben, Reprodukt würde die Love and Rockets-Reihe noch einmal neu auflegen und komplett herausgeben. »The Love Bunglers« – ein weiterer Band dieses grandiosen Echtzeit-Epos, der auch als eigenständiger Comic funktioniert – beweist einmal mehr, dass die Lücke einer deutschen Gesamtausgabe dieser Erzählung gigantisch ist. Die Zeit, diese Lücke zu schließen, scheint niemals besser gewesen zu sein, denn zu keinem Zeitpunkt war die Anerkennung der Neunten Kunst hierzulande größer.
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