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Der Traum von ewiger »Pralinen-Prosa«

Ulrich Blumenbach ist einer der renommiertesten deutschen Literaturübersetzer. Seine Übersetzungen der Arbeiten von David Foster Wallace sind mit Lobeshymnen bedacht worden, gerade sitzt er an »Witz«, dem Großwerk des amerikanischen Hyper-Intellektuellen Joshua Cohen. Ein Gespräch über das Übersetzen von Hochliteratur, Versäumnisse der Literaturkritik und die notwendige Unterscheidung von dicken und gewichtigen Büchern bei Preisvergaben.

Du hast gerade das Zuger Übersetzer-Stipendium erhalten, um Joshua Cohens Roman »Witz« zu übersetzen. Hast du schon damit angefangen?

Ich habe erst vor wenigen Wochen mit »Witz« angefangen, weil ich noch mit mehreren Projekten jongliere. Kiepenheuer & Witsch hat sich noch nicht entschieden, ob ich in diesem Jahr noch den zweiten Essayband von David Foster Wallace übersetzen soll – was ich ganz gern machen würde –, und Anthony Marra, dessen ersten Roman ich gemeinsam mit Stefanie Jacobs für Suhrkamp übersetzt habe, hat gerade einen Erzählungsband fertiggestellt, den wir wieder zusammen übersetzen. Beide Projekte sind also in der Pipeline, aber zwischendurch habe ich schon mal mit Cohens »Witz« angefangen. Das müsste ich zwar noch nicht, denn die Abgabe der Übersetzung ist erst auf Ende 2018 datiert, aber ich werde sicherlich wieder zwei bis drei Jahre brauchen, denn der Roman ist wieder so ein schweres Ding.

Der Roman ist 2010 in den USA erschienen, gilt als Meisterwerk der Postmoderne und wird immer wieder mit David Foster Wallace »Unendlicher Spaß« verglichen, für dessen experimentier- und sprachspielfreudige Übersetzung du 2010 den Preis der Leipziger Buchmesse in der Kategorie Übersetzung erhalten hast.

Solche Vergleiche ziehen die Verlage natürlich immer wieder gerne, denn Wallace ist ein zu kräftiger Name, um nicht herangezogen zu werden, wenn man Interesse wecken möchte. Und obwohl ich schon übersetze, habe noch nicht einmal ich den ganzen Roman gelesen. »Witz« ist dermaßen schwer, ich schaffe es mit viel Kaffee und höchster Konzentration vielleicht, an einem Abend 25 Seiten zu lesen. Für die Verleihung des Zuger Übersetzerstipendiums habe ich eine der eingängigsten Passagen übersetzt. Die liest sich etwas schneller und ist nahezu verständlich, fast normale Prosa.

Joshua Cohen: Witz. Dalkey Archive Press. Paper. 817 Seiten. 18.95 $

Im Zusammenhang mit dem Roman wird immer wieder von Prosa-Poesie gesprochen. Ist der Roman in Reimen geschrieben?

Nicht in Reimen, aber es ist eine unheimlich musikalische und assonanzenreiche Prosa. Cohen macht das, was angelsächsische Autoren in ihrer Sprache so gut können. Wir Übersetzer sprechen hier vom punning, gemeint ist die Verwendung von Wortspielen, die, wenn man sie wörtlich übersetzt, schnell in Kalauernähe geraten. Das zu übersetzen ist schwierig, muss aber natürlich nachgeahmt werden, denn es gehört zu den Hauptcharakteristika dieser Prosa.

Kennst du dieses Nachahmen nicht schon aus deiner Übersetzung von David Foster Wallace?

Naja, das Nachahmen bei Wallace beschränkte sich auf die bewussten Fehler in den Sätzen, aber das war nicht durchgehend romanprägend, sondern charakterisierte nur eine Figur. Aber du hast Recht, das kam dort in Ansätzen schon vor und hat einen Riesenspaß gemacht.

Was ist Joshua Cohens »Witz« für ein Roman, und inwiefern siehst auch du Parallelen zu »Unendlicher Spaß«?

Es ist ein Post-Post-Holocaust-Roman oder ein Vierte-Generation-Holocaust-Überlebenden-Roman. Cohens Familie mütterlicherseits ist größtenteils in den Lagern umgekommen, und er hat, werkbiografisch gesehen, zwei große Romane gebraucht, um sich von diesem Familientrauma freizuschreiben. Sein erster Roman »Cadenza for the Schneidermann Violin Concerto«, den ich jetzt fertig habe und der auf Deutsch »Solo für Schneidermann« heißen wird, ist der Roman eines ungarischen Geigenvirtuosen, der vor den Nazis in die USA emigriert ist.

Joshua Cohen: Cadenza for the Schneidermann: Violin Concerto. Fugue State Press. 380 Seiten. 18.95 $

Der Roman erzählt die Biografie dieses Geigers sowie die des Komponisten Schneidermann, der ebenfalls ein Exilungar ist. »Witz« knüpft daran an und reißt sich zugleich davon los. Der Autor treibt mit Entsetzen Scherz: Am Neujahrstag des Jahres 2000 sterben weltweit alle Juden, und zwar in Etappen. Als letztes sterben die erstgeborenen Söhne. Was da genau passiert, wird nicht erklärt. Wir erfahren nur, dass ein einziger Jude übrig bleibt, ein Agnostiker, der nun, da es keine anderen Juden mehr gibt, zu einer Art Messias eines neuen Judentums ausgerufen wird. Dieser Jude ist fortan ständig auf der Flucht, und zwar vor jenen, die ihn zum Heiland machen wollen.

Er ist quasi ein Brian im Sinne Monthy Pythons.

Jedenfalls gibt es da Ähnlichkeiten. Der Teil, den ich für Zug übersetzt habe, scheint mir zum Teil von »Das Leben des Brian« abgekupfert zu sein. Im Film wird Brian von Außerirdischen ins All entführt und direkt über Palästina wieder abgeworfen. In »Witz« gibt es eine zehn Seiten lange Passage, in denen der Protagonist Benjamin von Außerirdischen – hier sind es Cephalopoden, also Tintenfische mit acht Tentakeln – abgeholt wird. Der Anführer der Außerirdischen, mit dem sich der Erzähler unterhält, heißt Professor Doktor Froid und… ach, was erzähl ich das eigentlich alles jetzt schon? Der Kern ist: es bleibt dieser eine Jude übrig. Daraufhin wird weltweit eine Art Neo-Judentum gegründet, das wahnsinnigen Zulauf erhält. Das eigentlich Perfide der Romankonstruktion ist, dass irgendwann in Polen Lager eingerichtet werden, in denen alle Nicht-Juden interniert werden. Cohen stellt die Geschichte also auf den Kopf beziehungsweise dreht sie um. Das Finale wird aus der Sicht des letzten Auschwitz-Überlebenden erzählt, der über 800 jüdische Witze beziehungsweise nur deren Pointen am Leser vorbeirauschen lässt und die barbarische Wirklichkeit in einer bitter-ironischen Fiktion freilegt.

Joshua Cohen | © Marion Ettlinger
Schriftsteller Joshua Cohen | © Marion Ettlinger

Wie erzählt Cohen diesen historisch-ahistorischen Irrwitz?

Die Erzählweise ist diffus und mäandernd. Manchmal gibt es auf zehn Seiten nur zwei, drei Sätze, die die eigentliche Handlung voranbringen. Der Rest besteht aus dem rhetorischen Auspolstern der Szenerie und des Materials. Da tauchen Nebenfiktionen wie eben dieser Ausflug ins All auf, der die Erzählung nicht weiter-, sondern eher von ihr wegtreibt, um dann wieder an historische Begebenheiten, Kulturgüter oder Mythen anzuknüpfen.

Bei der posthumen Übersetzung von David Foster Wallace’ »Infinite Jest« konntest du nur auf deine Recherchen und vorhandenes Wissen zurückgreifen. Nun hast du mit Joshua Cohen einen recht jungen Autor an seiner Seite. Seid ihr im Kontakt und tauscht ihr euch zur Übersetzung aus?

Ich habe bislang von ihm »Vier neue Nachrichten« und die »Cadenza« übersetzt. Ich stehe mit ihm in stetigem Kontakt. Er ist ein erstklassiger Autor und auf der handwerklichen Ebene überaus hilfsbereit. So schickt er schon mal Links zu Listen, wo ich die bei ihm verklausulierten oder kryptischen Anspielungen aufgeschlüsselt finde. Oder er erklärt mir, worauf sich ein Bild oder eine Metapher bezieht. Als er Fellow an der American Academy war, haben wir uns nebenan im Literarischen Colloquium Berlin getroffen und sind anschließend um die Häuser gezogen. Dabei hat er mich überaus beeindruckt, denn er kann seinen großen Roman »Witz«, der 2010 erschienen ist, passagenweise auswendig. Dabei darf man nicht vergesse, dass er seit dessen Publikation drei weitere Bücher geschrieben hat!

Die Ästhetik von Wallace galt als eine der größten Herausforderungen bei der Übersetzung von »Unendlicher Spaß«, dieses Oszillieren zwischen Sachlichkeit und Intimsprache. Worin liegt die Herausforderung an Cohens »Witz«?

Auch hier geht es um Ästhetik, aber auch um den verschwenderischen Einsatz von Ironie als sprachlichem Mittel. Um nur ein Beispiel zu nennen: es gibt eine Passage, die die alttestamentarischen Geschlechterkataloge aufgreift, also »Methusalem zeugte Lamech und Lamech zeugte Noach« und so weiter und so fort. Cohen nimmt in der Passage das Wort zeugen und permutiert es in mehreren Zeilen, wie in einem Rap. Im Biergarten am Wannsee hat er mir diese Passage vorgerappt – also auch hier die musikalische Prosa. Es sind sechs bis acht Zeilen, die etymologisch nur auf ein einziges Wort, nämlich beget, zurückgehen und auf Benjamin enden. beget und Benjamin, beide Wörter beginnen mit be-, aber was mache ich damit? Luther schreibt für beget »zeugen«, zeugen bekomme ich aber mit keiner Permutation zu Benjamin gewandelt. Das sind so Probleme, vor die mich der Roman ästhetisch stellt; und bei denen mir der Autor nicht helfen kann, es sei denn, er hätte es anders geschrieben. In »Witz« zeigt Cohen, wie sehr er mit allen Wassern der Ironie gewaschen ist und sich über das für ihn Entsetzlichste, Desaströseste und Zerstörerischste immer noch komisch auslassen kann.

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David Foster Wallace: Unendlicher Spaß. Kiepenheuer & Witsch. 1.552 Seiten. 39,95 Euro.

Noch einmal kurz zu Wallace. Du hast bereits vor seinem Selbstmord mit der Übersetzung von »Infinite Jest« angefangen. Standst du mit ihm damals in Kontakt?

Nein, leider nicht. Wir nehmen an, dass er seinem Agenten signalisiert hat, Kontaktanfragen abzulehnen. KiWi-Verleger Helge Malchow versuchte damals erfolglos, seinen Kontakt zu Wallace auf mich auszuweiten. In einem Interview hat Wallace einmal gesagt, dass er ziemlich schlechte Erfahrungen mit einem Übersetzer gemacht hat. Marcus Ingendaay, der vor und neben mir Wallace übersetzt hat, wird es sicher nicht gewesen sein. Aber es wird an diesen schlechten Erfahrungen gelegen haben, dass Wallace danach grundsätzlich keinen Kontakt zu seinen Übersetzern wollte. Ich fand das damals sehr schade, nicht nur, weil ich verschiedene Fragen zum Text mit ihm hätte besprechen wollen, sondern vor allem, um mit ihm mal ein Bier zu trinken und über was auch immer zu reden. Ich hätte diesen Hyperintellektuellen einfach gern in einer Alltagssituation erlebt. In diesem Wunsch steckt natürlich eine Menge Neugier à la »Wie ist der Typ, wenn er nicht schreibt?«.

Helfen dir persönliche Eindrücke der Autoren beim Übersetzen ihrer Werke?

Mitunter hilft das schon, denn mein Text entsteht in dem Fall anders. Zum Beispiel höre ich aktuell »In His Own Words«, die bei Hachette erschienenen Lesungen von Wallace als Hörbuch. Das sind teilweise Mitschnitte von Livelesungen seiner späten Erzählungen, bei denen die Leute vor Lachen am Boden liegen. Ich hatte diese Geschichten gar nicht als so komisch in Erinnerung. Wallace setzt hier seine typischen Übersteigerungen ein, setzt immer noch eins drauf, und die Leute können nicht genug davon bekommen. Erst da habe ich gemerkt, dass das wenn nicht seine Intention, dann doch zumindest die Rezeption seiner Werke in den USA ist. Das war für mich ein ganz wichtiges Feedback, nicht zum Übersetzen – die Erzählungen sind ja längst erschienen –, aber für die Frage, wie verschieden man Texte auch fassen kann. Und natürlich hätte ich deshalb auch gern erlebt, wie er seine Texte lebt und liest, und wie er über sie spricht.

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Joshua Cohen: Vier neue Nachrichten. Schöffling Verlag. 272. Seiten 19,95 Euro.

Im vergangen Sommer sind Joshua Cohens Erzählungen »Vier neue Nachrichten« in deiner Übersetzung erschienen. Während die Stories in den USA von der New York Times auf die Liste der besten Bücher 2012 gesetzt wurden, war die Kritik in Deutschland verhalten. Worauf führst du das zurück? Liest man hierzulande anders?

Grundsätzlich ja, wenngleich es etwas differenzierter ist. Wenn etwas in den USA rezensiert wird, dann wird das auf einem sehr hohen Niveau gemacht. In den USA gibt es hervorragende Literaturkritiker, allerdings nur sehr wenige. Hochliteratur hat in den USA einen schwierigeren Stand als in Deutschland, weil deutsche Kritiker die sogenannte anspruchsvolle Literatur anders pushen. Hochliteratur ist im deutschen Feuilleton quantitativ ganz anders präsent als in den amerikanischen Zeitungen, qualitativ aber nicht unbedingt. Die deutschsprachigen Kritiker waren mit den Erzählungen zum Teil überfordert. Sie hatten Probleme mit Cohens Ironie. Das habe ich schon einmal bei dem schwarzamerikanischen Autor Paul Beatty erlebt, der in seinem Roman »The White Boy Shuffle« [die deutsche Übersetzung von Ulrich Blumenbach ist 1999 unter dem Titel »Der Sklavenmessias« bei Rowohlt erschienen] höchst absurd und ironisch über die Konflikte der schwarzen Community mit dem weißen Rassismus schrieb. Deutsche Leser fanden hier nur schwer einen Zugang, weil die Stoßrichtung der Ironie, also gegen wen und von welcher Warte aus sie vorgetragen wurde, nicht ausreichend deutlich wurde. Das Buch war dann ein ziemlicher Flopp. Bei Cohens Erzählungen habe ich ein ähnliches Gefühl, seine Ironie ist einfach zu abgefahren. Manche Gesprächspartner sind ihm sogar im Interview auf den Leim gegangen. So stand in der Literarischen Welt, er würde ein Filmdrehbuch für Musils »Der Mann ohne Eigenschaften« für HBO schreiben. Das hat er sich einfach spontan ausgedacht, sein Gegenüber hat es aber nicht gemerkt. Cohen ist ein Typ, der dir so etwas mit einem todernsten Blick erklärt. Das ist bezeichnend, denn er schreibt manchmal auch so, weshalb man nicht immer merkt, um wie viele Ecken herum er seinen Stoff ins Ironische verschiebt.

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David Foster Wallace: Der Bleiche König. Kiepenheuer & Witsch. 640 Seiten. 29,99 Euro.

Kritiker in Deutschland haben es in einem stärkeren Verhältnis mit Übersetzungen zu tun als die in den USA. Werden deutsche Literaturkritiker hier ihrer Verantwortung, die Übersetzungsleistung ausreichend zu würdigen oder zu kritisieren, gerecht? Können sie dieser Verantwortung überhaupt gerecht werden? Mitglieder der Jury zum Leipziger Buchpreis haben mir gegenüber ganz unumwunden zugegeben, dass niemand aus der Jury die Ausgangssprache des ausgezeichneten Romans »Judas« von Amos Oz spricht.

Rezensenten und Lektoren in den Verlagen sollten meines Erachtens die Originalsprache der zugrundeliegenden Bücher kennen, denn erst dann können sie kompetent beurteilen, was ein Übersetzer aus der Vorlage gemacht hat. Trifft die Dauerfloskel »kongenial« zu in dem Sinne, dass alle Techniken, Strategien und Anspielungen des Originals auf gleicher Ebene reproduziert worden sind? Oder ist möglicherweise an der Intention des Textes vorbeiübersetzt worden? Beim Deutschen Übersetzerfonds e.V. versuchen wir grundsätzlicher das Verständnis für die Qualität einer Übersetzung zu fördern, so dass Lesende allein durch die Lektüre ein Gespür dafür bekommen, ob sie es mit einer guten oder schlechten Übersetzung zu tun haben. Die Tolstoi-Übersetzerin Rosemarie Tietze spricht hier von der »Bringschuld« eines Textes, die die Übersetzenden plausibel in ihrer Übertragung rekonstruieren müssen, so dass der Text den Lesern selbst sagen kann, wo er hin will. Das grundlegende Problem, das Kritiker nicht alle Sprachen sprechen oder verstehen können, bleibt dennoch bestehen. Aber Rezensenten müssen in der Lage sein, immanente Kriterien der Übersetzung zu entwickeln, um zu begründen, warum eine Übertragung ihrer Ansicht nach gelungen oder nicht gelungen ist.

Es bleiben dennoch einige Dilemmata bestehen. Zum einen ist es der von dir benannte Vergleich mit dem Original, der oftmals schon an den begrenzten Sprachkenntnissen eines jeden Kritikers scheitert. Zum anderen ist es der Aspekt der »professionellen Pragmatik«, will man nicht bei einer Kurzkritik des wunderbaren Romans »Horcynus Orca« von Stefano d’Arrigo in ein völlig abwegiges Aufwand-Nutzen-Verhältnis rutschen. Wie geht man mit solchen Missverhältnissen im Alltag bestenfalls um?

Ein Kritiker sollte die rhetorisch auffälligen Merkmale eines Textes – Erzählstil, Erzählstimme, Techniken und so weiter – benennen können, unabhängig davon, ob er den gesamten Roman oder nur einen Teil gelesen hat. Diese sind in der Übertragung aber auf Techniken zurückzuführen, die der Übersetzer angewandt hat. Statt vom Autor sollten Kritiker daher besser vom Übersetzer sprechen, wenn sie einen Text auf der stilistischen Ebene bewerten. So würden sie auch transparent machen, dass es noch eine vermittelnde Stimme zwischen Autor und Leser gibt und das erforderliche Moment an Skepsis gegenüber der Übertragung berücksichtigen. Nur im Wissen um diese Vermittlungsinstanz kann sich jeder Leser selbst ein Bild machen, ob er die Stimme des Autors wiedererkennt oder eine neue – adäquate oder inadäquate – Stimme des Übersetzers wahrnimmt. Journalisten könnten aber auch ruhig mal an uns Übersetzer herantreten und uns zur Übersetzung befragen. Wieland Freund von der Literarischen Welt hat sich mit mir wiederholt über Wallace und die Herausforderungen der Übersetzung unterhalten. Das ist meiner Meinung nach absolut legitim und beweist nur journalistische Sorgfaltspflicht. Uns Übersetzenden bleibt zuletzt das Mittel, Nachworte zu unserer Arbeit zu schreiben, in denen wir uns selbst ins Rampenlicht stellen und über die Herausforderungen der konkreten Übertragung sprechen können.

Jack Kerouac. On The Road. Urfassung. Rowohlt Verlag. 576 Seiten. 10,00 Euro.

Was du zuerst gefordert hast, dass man nicht mehr vom Autor, sondern vom Übersetzer sprichst, würde die Literaturkritik ein Stück weit revolutionieren.

Ja, aber warum nicht. Ich glaube auch nicht, dass wir Übersetzenden damit eine Position für uns usurpieren, die uns nicht zusteht. Ich würde ja niemals behaupten, dass mir eine Erzählung, ein Sujet oder die Plot-Entwicklung zu verdanken ist. Aber das, was wir daraus bei der Rekonstruktion machen, das könnte in den Kritiken auf den tatsächlichen Urheber zurückgeführt werden.

Beeinflussen dich Kritiken gleich welcher Art in deiner Arbeit?

Ich kann mich davon nicht völlig frei machen. Ich bin ein- oder zweimal richtig verrissen worden, das ist zum Glück viele Jahre her. Das ging mir damals richtig nah, weil ich das Gefühl hatte, vor tausenden Menschen demontiert worden zu sein. Inzwischen lese ich Kritiken sehr selektiv beziehungsweise diagonal. Ich freue mich bei wirklich komplexen Kritiken. Als »The Pale King« von Wallace noch gar nicht übersetzt war, hat Clemens Setz in der FAZ einen wahnsinnig guten Rezensionsessay geschrieben, der mich sehr begeistert hat. Ich stand kürzlich mit ihm in Kontakt, und natürlich kennt er auch Cohens Werk. Er habe sogar versucht, »Witz« zu lesen, erzählte er, sei daran dann aber gescheitert. Er scheint mir ein wahnsinnig belesener Autor zu sein, der sich in der angelsächsischen Literatur bestens auskennt und dann auch noch ansteckend darüber zu schreiben versteht. Rezensionen wie die von Setz, die eher essayistischen Charakter haben, die lese ich wahnsinnig gern, weil sogar ich dann immer noch etwas über die Bücher erfahre, die ich selbst gelesen und übersetzt habe. Die eher abstrakten Rezensionen lese ich kursorisch natürlich auch, um die Rezeption meiner Übersetzung zu erfassen und mir Einzelbeispiele der Übersetzungskritik noch einmal anschauen zu können.

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Jonathan Lethem: Der Garten der Dissidenten. Tropen Verlag. 476 Seiten. 25,00 Euro

Wobei die bewusste Übersetzungskritik zuweilen in eine Art Egotrip der Autoren oder in Buchfledderei ausarten kann, bei der Kritiker anhand von zwei willkürlich bewerteten Einzelsätzen eine Übersetzungsleistung bemessen.

Das kann ich für mich nicht bestätigen, aber ich kenne Kollegen, die das beklagen. Bei der Übersetzungskritik scheint mir oftmals aus dem Auge zu geraten, dass man sich als Übersetzer seine Gedanken macht, warum man Passagen so und nicht anders übersetzt. Natürlich wird auch abweichend vom Original übersetzt, meist gibt es dafür aber auch werkberechtigte Gründe. Ein typisches Beispiel ist der Umgang mit Wortspielen, die man nicht in jedem Fall erhalten kann. Wenn man an einer Stelle ein Wortspiel verliert, weil es in der Übersetzung einfach nicht umsetzbar ist, neigen Übersetzer dazu, an anderer passender Stelle ein ausgleichendes Wortspiel einbauen. Dann sagt der Kritiker, der das natürlich nicht in Relation setzt und setzen kann, dass sich die oder der Übersetzende eine Eigenmächtigkeit herausgenommen hat. So ein schnell gesprochenes Urteil lastet dann auf dem ganzen Text.

Der renommierte Shakespeare-Übersetzer Frank Günther berichtet in einem Essay über Amazon-Rezensionen, wie er mit viel Aufwand den von Shakespeare intendierten falschen Sprachgebrauch rekonstruiert hat. Und was sagen die Amazon-Leser? »Der Übersetzer kann kein Deutsch!« So etwas nervt natürlich, vor allem, wenn derartig pauschale Vorurteile bei Profikritikern vorkommen und diese nicht merken, dass sich der Übersetzer etwas dabei gedacht hat. Ich selbst habe mal davon gesprochen, dass es darum geht, das Falsche richtig zu übersetzen. Diese Intention müssen Kritiker zu erkennen fähig und willens sein.

Anthony Marrah: Die Niedrigen Himmel. Suhrkamp Verlag. 487 Seiten. 11,- Euro

Neben hochliterarischen Werken wie Wallace’ »Unendlicher Spaß«, Cohens »Witz« oder »Der Garten der Dissidenten« von Jonathan Lethem übersetzt du auch gern im Team, zuletzt etwa die »Signifying Rappers« von David Foster Wallace und Mark Costello oder den bereits angesprochenen Tschetschenien-Roman »Die niedrigen Himmel« von Anthony Marra. In beiden Fällen hast Du mit jungen Kolleginnen zusammengearbeitet. Was reizt dich an solchen Kooperationen?

Mit Maria Hummitzsch und Stefanie Jacobs wollte ich einfach diese Bücher machen, und andere Projekte mit ihnen kommen noch. Bei der Übersetzung von Marra kam es übrigens zu einem Paradebeispiel der konstruktiven Kritik, weil ein Rezensent in einem Brief an den Verlag seinen Unmut über einige Übersetzungsentscheidungen begründete; und er hatte mit fast allem Recht. Aber zurück zur Frage: mir geht es grundsätzlich darum, junge und talentierte Übersetzende, die mir auf verschiedenen Wegen begegnen, in Jobs zu bringen. Hannes Meyer gehört zu diesen wunderbaren Nachwuchsübersetzern; er hat im letzten Herbst Phil Klays Erzählungen »Wir erschossen auch Hunde« für Suhrkamp übersetzt. So etwas freut mich, weil er mit seinen Übersetzungen zuvor nicht so glänzen konnte, da es ihm an einem Autor dieses Formats gefehlt hat. Ich hoffe, dass das auch der Verlag zur Kenntnis genommen hat und er weitere solcher Aufträge bekommt. Was die Förderung und Unterstützung von Nachwuchsübersetzerinnen und -übersetzern betrifft, bin ich ein großer Idealist. In einer Kolumne zur Nachwuchsförderung habe ich beschrieben, dass mir immer wieder das Argument begegnet ist, dass dem von mir empfohlenen Nachwuchs die Erfahrung der Übersetzung anspruchsvoller Werke fehle. Da kann ich nur sagen: wenn sie nie die Chance bekommen, ein anständiges Werk zu übersetzen, dann können sie auch nicht besser werden. Lektoren und erfahrene Übersetzer müssen meines Erachtens gemeinsam Entwicklungschancen für die nächste Generation der Übersetzenden entwickeln und ihnen das Handwerkszeug beibringen.

David Foster Wallace & Mark Costello. Signifying Rappers. Kiepenheuer & Witsch. 240 Seiten. 12,99 Euro

Gibt es unter Übersetzerinnen und Übersetzern viele Ressentiments oder herrscht da eher eine solidarische, schicksalhafte Verbundenheit?

Das ist komischerweise sprachabhängig. Die Englischübersetzer sind verhältnismäßig kollegial, hilfsbereit und loyal, weil der Markt so groß ist. Je kleiner die Marktpräsenz einer Sprachgruppe aber wird, desto umkämpfter ist das Feld. Hinsichtlich der Nachwuchsförderung habe ich mich in der Vergangenheit auch mit dem ehrenamtlichen Vorstandsvorsitzenden des Deutschen Übersetzerfonds e.V. (DÜF) Thomas Brovot und mit dem 1. Vorsitzenden des Verbands deutschsprachiger Übersetzer literarischer und wissenschaftlicher Werke e.V. (VdÜ) Hinrich Schmidt-Henkel unterhalten. Beide übersetzen aus im Vergleich zum Englischen kleinen Sprachen und waren tendenziell zurückhaltend, als es darum ging, das eigene Replacement durch den Nachwuchs vorzubereiten. Ich als Übersetzer aus dem Englischen muss da keine Angst vor Konkurrenz haben, da der Markt groß genug ist. Übersetzende aus den kleineren Sprachen finden sich aber in einer anderen Situation.

Wie würdest Du die Situation auf dem Markt im Moment bezeichnen, was das Verhältnis von erfahrenen und Nachwuchsübersetzern betrifft?

Lektoren gehen eher auf Nummer Sicher und wählen die 50-jährigen, erfahrenen Übersetzer, statt ihrerseits konsequent eine Nachwuchsförderung zu betreiben. Nach uns, den aktuellen Fünfzigern, klafft aber eine riesige Lücke, und absehbar laufen wir einer Katastrophe entgegen, denn mit siebzig Jahren werden auch wir den Staffelstab weitergeben wollen. Und wenn dann kein Nachwuchs da ist, dann stehen die deutsche Literaturszene und die deutschsprachigen Verlage dumm da. Das zu verhindern, ist Aufgabe von Übersetzern und Verlagen, auch wenn Übersetzer dabei in die schizophrene Lage geraten, möglicherweise an ihren eigenen Stühlen zu sägen.

Kommen wir zurück zu deinen Übersetzungen. Offenbar tun es dir auch Klassiker an, ob Agatha Christies »16 Uhr 50 ab Paddington«, Anthony Burgess »Clockwork Orange« oder Jack Kerouacs Hipsterbibel »On the Road«. Was reizt dich an einer Neuübersetzung?

Ganz ehrlich? Nichts. Ich möchte es nicht mehr machen. Es gibt so viele gute Bücher, die noch nicht übersetzt sind, denen möchte ich meine Zeit widmen. Bislang habe ich auch erst drei- oder viermal einen Roman neu übersetzt. Bei Agatha Christies »4.50 from Paddington« war eine Neuübertragung dringend nötig, weil die alte Übersetzung aus den fünfziger Jahren einfach nur schlecht war, flach und völlig ohne Witz. Bei Kerouac war das etwas anders. Die zweite Übersetzung von 1998 ist tendentiell eher schlecht, aber die erste Übertragung aus den Sechzigern ist verdammt gut. Die hat natürlich historisch bedingt sprachliche Schwächen, etwa wenn eine attraktive Frau noch als »steiler Zahn« bezeichnet wird, aber ansonsten gibt es an der wenig auszusetzen. Für ihre Zeit ist das eine grandiose Übersetzung. Für »Clockwork Orange« gilt das noch mehr. Die zweite von nun insgesamt drei Übersetzungen ist klasse, das musste schlichtweg nicht neu gemacht werden. Deshalb möchte ich mich von Neuübersetzungen eher freihalten und lieber gute neue Gegenwartsliteratur übersetzen.

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Anthony Burgess: Clockwork Orange. Die Urfassung. Verlag Klett-Cotta. 346 Seiten. 20,- Euro

Das heißt, Solitäre wie James Joyce reizen dich gar nicht?

Doch, aber das meiste ist schon in neuen Übersetzungen erschienen. »Ada oder Das Verlangen« von Nabokov hätte ich zum Beispiel gern neu übersetzt. Natürlich ist es immer noch ein Traum – und bleibt vielleicht einer –, »Finnegans Wake« von Joyce ins Deutsche zu bringen. Was mich reizt und wo ich schon einmal die bisherigen Übersetzer angefragt habe, sind Richard Powers »The Gold Bug Variations«, die ich gern übersetzen möchte. Das kann ich jetzt aber gerade nicht machen, da auch das ein Buch ist, das man nur in ganz kleinen Portionen lesen kann. Pralinen-Prosa nenne ich das, denn jeder Satz ist eine Kostbarkeit. Die Übersetzung hier würde viel Zeit in Anspruch nehmen, da braucht es erst einmal ein überbrückendes Finanzierungsmodell.

Ich kenne Dich als Vielleser und Vielarbeiter. Du sitzt aktuell sicher nicht nur an »Witz«. Woran arbeitest Du gerade noch?

Einiges erwähnte ich ja schon. Neben »Witz« sind es die Essays von David Foster Wallace und die Erzählungen von Anthony Marra.

Was liest Ulrich Blumenbach, wenn er mal nicht übersetzt?

Gar nichts. Ich komme, siehe »Witz«, kaum mit den Büchern hinterher, die ich übersetze. Ansonsten lese ich viel zu viel Feuilletons.

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Frank Witzel: Die Erfindung der Roten Armee Fraktion durch einen manisch-depressiven Teenager im Sommer 1969. Matthes & Seitz Berlin. 817 Seiten. 29,90 Euro

Liest du auch deutsche Literatur?

Wenn ich dazu komme, dann sogar recht viel, um zu sehen, wohin sich die deutsche Literatursprache entwickelt. Wegen der üppigen, neobarocken Sprache möchte ich schon seit Monaten Clemens Meyers letzten Roman »Im Stein« lesen.

Ich lege dir sehr Frank Witzels postmodernes und wie ich finde Wallace-ähnliches Meisterwerk »Die Erfindung der Roten Armee Fraktion durch einen manisch-depressiven Teenager im Sommer 1969« ans Herz, in dem der Erzähler zwischen historisierender Sachlichkeit, manischer Theorielastigkeit und der Aufhebung allen Ernstes durch kindliche Naivität changiert.

Das klingt verlockend, aber ganz ehrlich: die 800 Seiten schrecken mich ab. Ich sollte beschließen, ab sofort nur noch 200-Seiten-Krimis zu übersetzen. Nein, kleiner Scherz, aber neben »Infinite Jest«, »The Pale King« und eben jetzt »Witz« habe ich gar nicht so viele dicke Bücher übersetzt; zumal »Der Bleiche König« nur 600 Seiten hat. Aber vielleicht habe auch nur ich solch schräge Relationen.

Bruno Schulz: Die Zimtläden. Hanser Literaturverlag. 232 Seiten. 21,50 Euro.

Wenngleich es einen Unterschied zwischen dem Übersetzen dicker Bücher und gewichtiger Bücher gibt.

Ja, das wäre auch meine Kritik an so mancher Jury, die diesen Unterschied immer mal wieder zu vergessen scheint. Ein dickes Buch muss nicht auch ein gewichtiges Buch sein. Dicke, aber weniger gewichtige Bücher werden eher prämiert als schmale, aber gewichtige Werke. Aber auch letzteres passiert, wie ich selbst schon erlebt habe. Als ich mich 2007 das erste Mal mit »Infinite Jest« um das Zuger Übersetzerstipendium beworben habe, ging es an die inzwischen leider verstorbene Polnisch-Übersetzerin Doreen Daume, die sich mit Bruno Schulz’ Erzählzyklus »Die Zimtläden« beworben hatte. Das Buch selbst hat nur etwas mehr als 200 Seiten [später erschien noch Daumes Übersetzung von Schulz Roman »Das Sanatorium zur Sanduhr«; T.H.] und damals fand ich, dass 50.000 Franken dafür schon eine stolze Förderung sind. Aber klar, Bruno Schulz ist ein gewichtiger Autor und steht mit seinen beiden relativ schmalen Romanen neben Autoren wie Kafka, Proust, Mann und Joyce. Da wurde die Übersetzung eines schmalen, aber überaus gewichtigen Werkes der Übertragung eines Schwergewichts der Gegenwartsliteratur vorgezogen. Etwas Ähnliches hatte ich 2010 auch erwartet. Deswegen hatte ich in Leipzig auch keine vorbereitete Dankesrede, weil ich felsenfest davon überzeugt war, dass der Preis an Hubert Witts Übertragung von Abraham Sutzkevers »Wilner Getto 1941-1944: Gesänge vom Meer des Todes« aus dem Jiddischen gehen würde.

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Stefano D’Arrigo: Horcynus Orca. Verlag S. Fischer. 1.472 Seiten. 58,- Euro.

Beim diesjährigen Preis der Leipziger Buchmesse hat nicht Moshe Kahn mit seiner Übertragung von Stefano d’Arrigos »Horcynus Orca«, sondern Mirjam Pressler mit ihrer Übersetzung von Amos Oz’ Roman »Judas« in der Sparte Übersetzung gewonnen. Ein vergleichsweise schmales Werk, was in der Historie des Übersetzerpreises etwas aus der Reihe fällt. Wurde hier auch ein gewichtiges Buch einem dicken Buch vorgezogen?

Ich würde das erst einmal erweitern, denn Miriam Pressler ist nicht nur für die Übertragung von »Judas«, sondern verdientermaßen für ihre Lebensleistung ausgezeichnet worden. Es gibt auch nichts dagegen einzuwenden, wenn ein schmales Werk mit einem hochdotierten Übersetzerpreis ausgezeichnet wird. Ich hätte es im Falle des diesjährigen Übersetzerpreises aber für die bessere Entscheidung gehalten, Moshe Kahn für die Übersetzung von »Horcynus Orca« auszuzeichnen, weil er deutlich mehr investiert und die deutsche Literatursprache weit mehr vorangebracht hat als Mirjam Pressler. Mit der Übersetzung dieses Jahrzehnt-Buchs, mit den Neologismen, Innovationen und Sprachspielen, die er da geschaffen hat, hat Moshe Kahn Einmaliges für die deutsche Literatur geleistet.

Amos Oz: Judas. Suhrkamp Verlag. 331 Seiten. 12,- Euro.

Moshe Kahn hat mit seiner Übertragung von Stefano d’Arrigos Lebenswerk eine ähnlich schwierige Zeit hinter sich wie du bei deiner Übersetzung von David Foster Wallace. Als Du 2010 den Übersetzerpreis gewannst, war neben Dir unter anderem Christian Hansen für seine sprachgewaltige Übersetzung von Roberto Bolaños großem Roman »2666« nominiert, dem Du den Preis sicher auch gegönnt hättest. Hast Du eine Idee, wie sehr eine solche Niederlage an einem Übersetzer nagt?

Ich weiß bei Moshe Kahn sehr konkret, was diese Entscheidung bedeutet hat. Er hat für die Übersetzung dieses Romanungetüms enorme finanzielle Belastungen in Kauf genommen, die ein hoch dotierter Preis wie der der Leipziger Buchmesse natürlich zumindest teilweise auffangen kann. Die Entscheidung wird deshalb eine sehr schwierige für Kahn gewesen sein; deutlich schwieriger als für Mirjam Pressler, wenn sie den Preis nicht bekommen hätte. Inzwischen hat er glücklicherweise den deutsch-italienischen Übersetzerpreis und den Jane-Scatcherd-Preis bekommen. Aber das kann natürlich nicht der Maßstab sein, den Eindruck will ich auch gar nicht entstehen lassen. Beim Deutschen Übersetzerfonds e.V. haben wir die Grundregel, Stipendien nicht nach der sozialen Bedürftigkeit der Übersetzer sondern nach den Anforderungen an die Übersetzung zu vergeben. Bei Kahn wird aber wohl kaum jemand daran zweifeln, dass seine »Horcynus Orca«Übersetzung ebenso preiswürdig gewesen wäre wie Mirjam Presslers »Judas«-Übertragung.

Was noch einmal zu der Frage führt, welchen Ausschlag der Fleiß einer Übersetzung bei der Prämierung haben soll.

Tatsächlich ist das schwer, hier grundsätzlich zu antworten, aber greift man diesen Aspekt heraus, ist dieser bei Kahn ungleich höher – sowohl quantitativ als auch qualitativ. In der besten aller Welten würde man bei der Verleihung von Übersetzerpreisen auch berücksichtigen, was das übersetzte Werk für die Weiterentwicklung der deutschen Literatursprache leistet. Und nur deshalb poche ich so darauf, dass in diesem Jahr »Horcynus Orca« mit dem Preis der Leipziger Buchmesse in der Kategorie Übersetzung hätte ausgezeichnet werden müssen.

Ulrich, vielen Dank für das Gespräch.

Ulrich Blumenbach ist für seine Übersetzungen des Werks von David Foster Wallace mehrfach ausgezeichnet worden. Gerade hat er die frühen Erzählungen von Truman Capote übersetzt, die im Herbst bei Kein & Aber erscheinen. Für Schöffling & Co. übersetzt er in den nächsten Jahren sukzessive das Gesamtwerk von Joshua Cohen. 

12 Kommentare

  1. […] ist kein Zufall, dass der renommierte und mit dem Leipziger Übersetzerpreis bereits ausgezeichnete Ulrich Blumenbach im Gespräch die Kenntnis der Originalsprache bei Rezensenten und Lektoren einforderte, »denn erst dann können […]

  2. […] sie, die Wirklichkeit, selten so gut eingefangen, wie in Pynchons komplexen Welten, der noch vor David Foster Wallace und Don DeLillo als die Ikone der postmodernen amerikanischen Literatur gilt. Dass er seit 1953 die […]

  3. […] man kennt Dich als Übersetzer so genannt »unübersetzbarer« Werke, Deine Übersetzung von David Foster Wallaces »Unendlicher Spaß« ist legendär. Auch Cohens Roman galt als unübersetzbar. Worin bestand die besondere Herausforderung bei […]

  4. […] auf, erkundet die Vielfalt japanischer Literatur oder lernt mit Marcel Proust, Nino Haratischwilli, David Foster Wallace und Roberto Bolaño, wie man dicke Bücher liest. Das von Ada Romanova illustrierte Buch ist wie […]

  5. […] dieser Literaturliteratur erinnert in ihrer epischen Monstranz aber auch an Zeitgenossen wie David Foster Wallace, Joshua Cohen, Roberto Bolaño oder Mark Z. Danielewski. In sechs lose verbundenen Teilen, jeweils […]

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