Erzählungen, Film, Klassiker, Literatur, Roman

Von Science Fiction bis zum Literaturklassiker

Max Frisch, Eugen Ruge, Michel Bergmann, Irvine Welsh, E. M. Forster, Stephen King, Stanislaw Lem oder Philip K. Dick – nur einige Literaten, deren Werke es auf die Leinwand und ins Programm der Berliner Filmfestspiele geschafft haben. Eine Übersicht der Literaturverfilmungen auf der 67. Berlinale.

T2 Trainspotting (nach den Romanen »Porno« und »Trainspotting« von Irvine Welsh)

© Sony Pictures Releasing GmbH
© Sony Pictures Releasing GmbH

Hat Renton wirklich eine Familie gegründet, ein Auto und eine Waschmaschine gekauft, wie er es am Ende von Danny Boyles erfolgreichem Kultfilm angekündigt hatte? Oder hat er die 16.000 britischen Pfund aus dem Heroin-Deal, um die er seine Freunde betrogen hat, ganz anders durchgebracht? Fragen, die sich auch 20 Jahre später noch stellen, für deren Beantwortung aber kaum Zeit ist: Renton kehrt an den Ort zurück, der einmal sein Zuhause war, und schon überschlagen sich die Ereignisse. Auf den ersten Blick mag sich vieles in Edinburgh verändert haben, doch für die Freunde von einst blieb auch einiges beim Alten. Jedenfalls scheinen sie nur auf Renton gewartet zu haben. So empfängt der Zyniker Sick Boy ihn mit einem Schlag ins Gesicht, der gerade aus dem Gefängnis entlassene und immer noch agile Begbie läuft beim Wiedersehen Amok, und den ewigen Träumer Spud muss Renton einmal mehr vor dem endgültigen Absturz retten. In derselben Besetzung – auch der Soundtrack spielt eine tragende Rolle – und mit ungebrochenem Tempo stürzt sich die Truppe in die Abgründe des Zuhälter- und Prostituiertenmilieus. Mitten im Chaos sucht Renton weiterhin nach dem Sinn des Lebens.

Regie: Danny Boyle | Mit Ewan McGregor, Ewen Bremner, Jonny Lee Miller, Robert Carlyle

In Zeiten des abnehmenden Lichts (nach dem gleichnamigen Roman von Eugen Ruge)

© Hannes Hubach
© Hannes Hubach

Ost-Berlin im Frühherbst 1989: Wilhelm Powileit wird 90 und lässt diesen Geburtstag mit stoischer Gelassenheit über sich ergehen. Was hat der alte Mann nicht alles erlebt? Seit 75 Jahren überzeugter Kommunist, ist er einst aus Nazi-Deutschland geflohen und war im Exil in Mexiko. Währenddessen wurde sein Stiefsohn Kurt als angeblicher Konterrevolutionär in Moskau verhaftet. Nach seiner Rückkehr in die DDR stand Wilhelm als ehemaligem »West-Emigranten« nur eine eher bescheidene SED-Parteikarriere offen. Heute aber bringen ihm Junge Pioniere ein Ständchen, und er wird mit Orden behängt. Während Wilhelm hartnäckig verleugnet, dass sein Ideal einer besseren Welt nur eine Chimäre war und die großen Hoffnungen von einst in Bürokratie und Angst erstickt sind, verlässt die junge Generation das Land. Auch in seinem privaten Umfeld gibt es Risse, die nicht mehr zu kitten sind … 
Drehbuchautor Wolfgang Kohlhaase, zuletzt im Berlinale Wettbewerb mit Als wir träumten, verdichtet den Erfolgsroman von Eugen Ruge zu einer Studie der verlorenen Utopien. Ein filmisches Gesellschaftsbild, in dem Wege und Irrwege des 20. Jahrhunderts am Beispiel einer auseinanderbrechenden Großfamilie aufgezeigt werden.

Regie: Matti Geschonneck | Mit Bruno Ganz, Sylvester Groth, Hildegard Schmahl, Evgenia Dodina

Maurice (nach dem Roman von »Maurice« (1971) von E. M. Forster)

Quelle: Cohen Media Group, LLC
Quelle: Cohen Media Group, LLC

Cambridge, King’s College, 1909. Die Kommilitonen Maurice Hall und Clive Durham empfinden füreinander mehr als nur Sympathie. Doch sexuelle Kontakte und gar die »unaussprechliche Sünde der Griechen«, von der sie im Platon-Seminar erfahren, bleiben ein Tabu. Aus Furcht vor gesellschaftlicher Ächtung, wie sie einem Studienkollegen widerfährt, halten sie ihre Liebe geheim. Später, nachdem Clive standesgemäß geheiratet hat, verbindet sie eine rein platonische Freundschaft. Als Maurice ein Verhältnis mit dem Wildhüter der Durhams beginnt, scheint er sein Lebensglück zu finden … Nach ihrem Oscar-gekrönten A Room with a View (1985) verfilmten James Ivory und sein Partner Ismail Merchant ein weiteres Werk von E. M. Forster, das – 1913/14 geschrieben – erst nach dessen Tod 1970 erscheinen konnte. Sensibel und in melancholischen Tönen erzählt der Film von der Trauer um eine unmögliche Liebe. In der detailgenauen Ausstattung den Edwardianischen Zeitgeist präzise erfassend, offenbaren die erlesenen Bildkompositionen zugleich die geistige Enge einer Gesellschaft, in der Prüderie und Heuchelei regieren. – Welterstaufführung der digital restaurierten Fassung im Vorführformat 4K DCP.

Regie: James Ivory | Mit James Wilby, Hugh Grant, Rupert Graves, Ben Kingsley

Call Me by Your Name (nach dem gleichnamigen Roman von André Aciman)

© Sony Pictures Classics 
© Sony Pictures Classics

Ein heißer, sonnendurchtränkter Sommer auf dem norditalienischen Landsitz von Elios Eltern im Jahr 1983. Der 17-Jährige hört Musik und liest Bücher, geht schwimmen und langweilt sich, bis eines Tages der neue Assistent seines Vaters aus Amerika in der großzügigen Villa ankommt. Der charmante Oliver, der wie Elio jüdische Wurzeln hat, ist jung, selbstbewusst und gutaussehend. Anfangs reagiert Elio eher kühl und abwehrend auf ihn, doch schon bald unternehmen die beiden öfter Ausflüge miteinander, und Elio beginnt zögerliche Annäherungsversuche, die zunehmend intimer werden – auch wenn man, wie Oliver sagt, »über solche Dinge nicht sprechen kann«. Die Anziehung zwischen den beiden wird im Laufe des kurzen Sommers immer intensiver.

Regisseur Luca Guadagnino schrieb das Drehbuch zum gleichnamigen Roman des Autors André Aciman zusammen mit dem US-amerikanischen Regisseur James Ivory und Walter Fasano. Die Erinnerungen des Ich-Erzählers Elio übersetzt er in ruhige, stimmungsvolle Bilder. Hauptdarsteller des Dramas über ein unerwartetes Coming-out ist neben den Schauspielern Timothée Chalamet und Armie Hammer die verführerische Landschaft.

Regie: Luca Guadagnino | Mit Armie Hammer, Timothée Chalamet, Michael Stuhlbarg, Esther Garrel

Return to Montauk (angelehnt an das Leben von Max Frisch und dessen Roman »Montauk«)

© Wild Bunch Germany 2017 / Ann Ray
© Wild Bunch Germany 2017 / Ann Ray

Der Schriftsteller Max Zorn, Anfang 60, reist zu seiner Buchpremiere nach New York. Dort erwartet ihn seine Frau Clara, die für den amerikanischen Verlag an der Veröffentlichung mitgearbeitet hat. Sein sehr persönlicher Roman handelt vom Scheitern einer großen Liebe. Schon bald trifft Max die Frau von damals wieder: Rebecca, in Deutschland geboren, lebt als erfolgreiche Anwältin in New York. Gemeinsam kehren sie für ein Winterwochenende nach Montauk zurück, das Küstenstädtchen am Ende von Long Island, wo sie einst glücklich waren. Rebecca ist distanziert, verletzt, Max möchte sich ihr wieder annähern. Man spricht über die Jahre, die man nicht miteinander verbracht hat, Erinnerungen an die gemeinsame Vergangenheit werden lebendig. Doch haben die Gefühle von damals noch eine Gegenwart oder eine Zukunft? Volker Schlöndorff widmet sich nach »Homo Faber« noch einmal dem Universum seines Freundes Max Frisch. Vorgegebene Motive wie das Glück und der Schmerz von Erinnerungen werden variiert und in eine neue filmische Erzählung überführt.

Regie: Volker Schlöndorff | Mit Stellan Skarsgård, Nina Hoss, Susanne Wolff

Pokot (nach dem Roman »Der Gesang der Fledermäuse« von Olga Tokarczuk)

© Robert Paêka
© Robert Paêka

Duszejko, eine pensionierte Brückenbauingenieurin, lebt zurückgezogen in einem Bergdorf an der polnisch-tschechischen Grenze. Sie ist charismatisch, exzentrisch, eine leidenschaftliche Astrologin und strikte Vegetarierin. Eines Tages sind ihre geliebten Hunde verschwunden. Wenig später entdeckt sie in einer verschneiten Winternacht ihren toten Nachbarn und bei dessen Leiche eine Hirschfährte. Weitere Männer sterben auf mysteriöse Weise. Alle hatten ihren festen Platz in der dörflichen Gemeinschaft, alle waren passionierte Jäger. Haben wilde Tiere die Männer auf dem Gewissen? Oder lässt sich ein Mensch zu einem blutigen Rachefeldzug hinreißen? Irgendwann fällt der Verdacht auf Duszejko …

Nach ihrem Ausflug in die Welt der Serien meldet sich Agnieszka Holland mit einem subversiven Krimi auf der großen Leinwand zurück. Pokot spielt in einer Landschaft mit wechselnden Jahreszeiten, deren wilde Schönheit jedoch nicht über Korruption, Grausamkeit und Dummheit ihrer Bewohner hinwegtäuscht. Fest verwurzelt in der Realität der polnischen Provinz, ist der Film so anarchistisch wie seine Heldin – ein waghalsiger Genremix aus komischer Detektivstory, spannendem Ökothriller und feministischem Märchen.

Regie: Agnieszka Holland | Mit Agnieszka Mandat, Wiktor Zborowski, Miroslav Krobot, Jakub Gierszał, Patricia Volny, Borys Szyc

Es war einmal in Deutschland … (nach dem Roman »Die Teilfacher« von Michel Bergmann)

© 2017 - IGC Films -Virginie Saint-Martin
© 2017 – IGC Films -Virginie Saint-Martin

Frankfurt 1946: Der jüdische Kaufmann David will mit Freunden, die wie er knapp dem Tod entkommen sind, ein Geschäft aufziehen. Dabei knüpft er an die Tradition seiner im Holocaust ermordeten Familie an, die einen Weißwäsche-Handel betrieben hat. Von Haustür zu Haustür ziehen die selbst ernannten Handelsvertreter und verschaffen sich mit aberwitzigen Tricks Einlass, um deutschen Hausfrauen feinste Bettwäsche anzubieten. Ihre Erlebnisse setzen sich zu einem Bild der frühen Nachkriegszeit aus jüdischer Perspektive zusammen.

Sam Garbarski übernimmt den mal lakonischen, mal komischen, Tonfall der literarischen Vorlage, Michel Bergmanns Teilacher-Trilogie. Scheinbar beiläufig werden große Fragen behandelt: Bleibt man im Land der Verfolger, das einst die Heimat war? Oder versucht man mit dem frisch verdienten Geld so schnell wie möglich auszureisen? Mit Fragen ganz anderer Art wird David konfrontiert, der den Holocaust aufgrund seines komischen Talents mit Nummernrevues für die Nazis überlebt hat. Special Agent Sara Simon erforscht seine Vergangenheit. Sie will in Erfahrung bringen, weshalb er zwei Pässe hatte und warum er Adolf Hitler auf dem Obersalzberg besuchen sollte.

Regie: Sam Garbarski | Mit Moritz Bleibtreu, Antje Traue, Mark Ivanir, Hans Löw

The Lost City of Z (nach dem gleichnamigen Buch von David Grann)

© 2016 LCOZ HOLDINGS, LLC / Aidan Monaghan
© 2016 LCOZ HOLDINGS, LLC / Aidan Monaghan

Aufgrund seiner einfachen Herkunft hat Percy Fawcett als Soldat im England der 1920er-Jahre wenig Aufstiegschancen. Von der Royal Society auf eine Expedition zur Landvermessung in Bolivien entsandt, ist er trotz der Strapazen vom Dschungel fasziniert. Er lässt sich auf eine weitere Expedition ein und nimmt dabei in Kauf, dass die jahrelange Abwesenheit ihn von seiner Frau entfremdet, die eigenen Kinder ihn kaum kennen. Im Regenwald des Amazonas findet er Spuren vergangener Zivilisationen. Er ist überzeugt von der Existenz einer versunkenen Metropole, der mysteriösen Stadt Z. Doch etablierte Wissenschaftler lachen ihn aus. Getrieben von dem Wunsch, seine Theorie zu beweisen, begibt sich Fawcett zusammen mit seinem mittlerweile erwachsenen Sohn auf eine verhängnisvolle letzte Reise. Die dramatischen Geschehnisse im brasilianischen Urwald geben bis heute Anlass zu zahlreichen Spekulationen. Nach dem Sachbuch von David Grann erzählt James Gray eine dramatische Abenteuergeschichte und porträtiert gekonnt die gesellschaftlichen Konventionen in einer Zeit großer wissenschaftlicher und gesellschaftlicher Umbrüche.

Regie: James Gray | Mit Charlie Hunnam, Robert Pattinson, Sienna Miller, Tom Holland, Edward Ashley, Angus Macfadyen

SS-GB (nach dem gleichnamigen Roman von Len Deighton)

© Sid Gentle Films Ltd
© Sid Gentle Films Ltd

Verstörende Dystopie: In einem von den Nazis besiegten und besetzten Großbritannien führt eine Mordermittlung Detektiv Douglas Archer ins Schwarzmarktmilieu. Er gerät zwischen die Fronten von SS, Scotland Yard und der britischen Widerstandsbewegung.

Regie: Philipp Kadelbach | Sam Riley, Kate Bosworth, Lars Eidinger, James Cosmo

1984 (nach dem gleichnamigen Roman von George Orwell)

Quelle: Deutsche Kinemathek
Quelle: Deutsche Kinemathek

19 Jahre nach dem Atomkrieg ist London Hauptstadt des diktatorisch regierten Reichs Ozeanien. Hier arbeitet Winston Smith im »Ministerium für Wahrheit«, innerlich aber opponiert er gegen das Regime des »Großen Bruders«. In der Kollegin Julia findet er eine Gleichgesinnte. Trotz Verbots beginnen die zwei eine Liebesbeziehung. Als sie in Winstons Vorgesetztem General O’Connor einen Mann des Widerstands zu erkennen meinen, offenbaren sie sich dem Regierungsbeamten … Bewusst entwirft die erste Kino-Verfilmung des berühmtesten aller dystopischen Romane ein alltägliches Bild des allumfassenden Schreckens: »Dies ist eine Geschichte der Zukunft. Nicht einer Zukunft der Raumschiffe und Besucher von anderen Planeten, sondern der unmittelbaren Zukunft«, heißt es am Anfang des Films. In den schäbigen Altbauten zwischen Trümmerbrachen signalisiert nur das allgegenwärtige »Kamera-Auge« einen technologischen Vorgriff. Im öffentlichen Raum tun dies die Riesenbildschirme. Die Aufmärsche fanatischer Massen, die Hausdurchsuchungen durch die »Gedankenpolizei« und ein Schauprozess hingegen sind deutlicher Ausdruck von George Orwells Verarbeitung faschistischer und stalinistischer Herrschaftsmethoden der Vergangenheit.

Regie: Michael Anderson | Mit Edmond O’Brien, Michael Redgrave, Jan Sterling, David Kossoff, Mervyn Johns, Donald Pleasence, Carol Wolveridge

Blade Runner (nach dem Roman »Do Androids Dream of Electric Sheep« (1968) von Philip K. Dick)

© 2007 Warner Bros. Entertainment Inc. All Rights Reserved.
© 2007 Warner Bros. Entertainment Inc. All Rights Reserved.

Los Angeles, 2019. Im Dauerregen unter einem schwarzen Himmel macht der Polizeibeamte Deckard Jagd auf Replikanten. Die Arbeits-Androiden, deren Aufenthalt auf der Erde illegal ist, sind äußerlich von Menschen nicht zu unterscheiden. Sie sind ihnen körperlich und geistig überlegen, dafür aber nur wenige Jahre lebensfähig. Dies zu ändern, ist das Ziel einer sechsköpfigen Replikanten-Gruppe um Roy Batty, der beim Besuch seines »Schöpfers« eine blutige Spur hinterlässt. Bei ihrer Verfolgung muss Deckard die Hilfe von Rachael in Anspruch nehmen, einer schönen Replikantin aus einer höher entwickelten Baureihe, in die er sich unfehlbar verliebt … Nicht allein durch seinen dystopischen Entwurf einer urbanen Stadtlandschaft mit »Ghetto«-Charakter und vielfältigen elektronischen Reizüberflutungen war Blade Runner zukunftsweisend. Nachhaltig wirksam waren auch die Verweise auf den Film Noir. Sie reichen von Deckards Liebe zur »femme fatale« und seinem Trenchcoat bis zum Showdown im Bradbury Building, das 1951 schon als Drehort für das US-Remake von Fritz Langs M gedient hatte. Mit Low-Key-Ausleuchtung und expressionistischen Lichteffekten prägte Blade Runner den »Neo-Noir« des SF-Genres.

Regie: Ridley Scott | Mit Harrison Ford, Rutger Hauer, Sean Young, Daryl Hannah, William Sanderson

ORG (nach einer indischen Legende und Thomas Manns Erzählung »Die vertauschten Köpfe«)

ORG

Fernando Birris ORG ist ein monströser, seit seiner Uraufführung beim Festival von Venedig 1979 äußerst selten gezeigter, knapp dreistündiger Film. Der heute 91-jährige Regisseur, Dichter, Maler, Lehrer und Gründer von Filmschulen gilt seit seinem Debütfilm Tire Dié als eine zentrale Figur des lateinamerikanischen Kinos. Für Birri war der Film das Ergebnis seiner italienischen Exilerfahrung: »Der Film ORG ist ein Alptraum mit geschlossenen Augen, weil er zu den schrecklichsten Augenblicken meines Lebens zählt, zu meinem zweiten Exil, das sehr lange dauerte.« Die Geschichte von ORG basiert auf einer antiken indischen Legende, die auch Thomas Mann in seiner Erzählung »Die vertauschten Köpfe« aufgegriffen hat. Vor allem aber ist der Film ein Wahrnehmungsexperiment mit über 26.000 Schnitten und knapp 700 Tonspuren.

Teils finanziert vom Hauptdarsteller Mario Girotti, auch bekannt als Terence Hill, ermöglicht ORG einen kaleidoskopartigen Einblick in die experimentellen, ästhetischen und politischen Strömungen der 1970er Jahre. Birri überließ dem Arsenal 1991 eine 35-mm-Kopie, die im Rahmen des Projekts »Living Archive« digitalisiert wurde. Zur Berlinale erscheint auch die DVD des Films.

Regie: Fernando Birri

Uchûjin Tôkyô ni arawaru / Die Außerirdischen erscheinen in Tokio (nach einem Roman von Gentarō Nakajima)

 © KADOKAWA CORPORATION 1956
© KADOKAWA CORPORATION 1956

Japanische Wissenschaftler sind beunruhigt, als sie über Tokio unbekannte Flugobjekte wahrnehmen. Dabei wollen die Außerirdischen die Bewohner der Erde vor der verheerenden Kollision mit einem anderen Planeten warnen. Weil sie aufgrund ihres abnormen Äußeren jedoch als Monster wahrgenommen werden, misslingt die Kontaktaufnahme. Erst als eines der »Aliens« die Gestalt eines berühmten japanischen Showstars annimmt, findet es Gehör bei den Wissenschaftlern. Doch anscheinend zu spät: Selbst Atomraketen können den Planeten nicht von seinem Kurs abbringen … Außerirdische in Seesterngestalt! Für diese exaltierte Formgebung des Fremden war der in seiner Jugend von den französischen Surrealisten beeinflusste Avantgarde-Künstler Tarō Okamoto (1911–1996) verantwortlich. Er war beim ersten farbigen »tokusatsu-eiga« (Spezialeffekt-Film) auch für das Farbdesign zuständig. Noch bemerkenswerter als die rote Strahlkraft des sich nähernden Planeten und die Verwüstungen, die sie mit sich bringt, sind allerdings das positive Bild, das der Film von den Außerirdischen zeichnet, und sein Vertrauen in die heilbringenden Kräfte von Atombomben – ein Jahrzehnt nach den Abwürfen über Hiroshima und Nagasaki.

Regie: Kōji Shima | Mit Keizō Kawasaki, Toyomi Karita, Bin Yagisawa

Invasion of the Body Snatchers / Die Dämonischen (nach der Fortsetzungsgeschichte »The Body Snatchers« (1954) von Jack Finney)

© Courtesy of Park Circus / Paramount
© Courtesy of Park Circus / Paramount

Als der Arzt Miles Bennell von einer Vortragsreise ins kalifornische Santa Mira zurückkehrt, findet er einige Bewohner seltsam verändert. Sie erkennen nahe Verwandte nicht wieder und behaupten, dass sie ganz fremde Menschen seien. Kurz darauf stoßen Bennell und seine Jugendfreundin Becky Driscoll an mehreren Orten der Kleinstadt auf unbelebte menschliche Körper. Als sie dann auch noch übergroße, aus dem Weltall stammende Samenschoten entdecken, in denen diese Körper individuelle Ausprägungen entwickeln, wird ihnen klar, dass offenbar seelenlose Doppelgänger die Bevölkerung ersetzen sollen. Zu spät erkennen sie, dass diese Duplikate schon in der Überzahl sind. Ihre einzige Überlebenschance sehen sie in der Flucht … Metapher für die »kommunistische Gefahr«? Oder Warnung vor einer mentalen Gleichschaltung in den USA? Schon während des Kalten Kriegs waren sich Kritiker darüber nicht einig. Zum zeitlosen Klassiker konnte sich das spannende B-Picture entwickeln, weil es das Genre des Science-Fiction-Horrors und des Paranoia-Thrillers gerade durch Betonung einer scheinbaren Normalität hinsichtlich der Außerirdischen prägte: »Auf den ersten Blick sah alles aus wie immer. Aber das täuschte.«

Regie: Don Siegel | Mit Kevin McCarthy, Dana Wynter, Larry Gates

Kamikaze ʼ89 (nach dem Roman »Mord på 31:a våningen« (1964) von Per Wahlöö)

© Ziegler Film / Ursula Röhnert
© Ziegler Film / Ursula Röhnert

1989 ist die Bundesrepublik ein politisch und sozial »befriedeter« Staat; die öffentliche Meinung wird von einem einzigen Pressekonzern beherrscht. Als in dessen Hochhaus eine Bombendrohung eingeht, übernimmt Polizeileutnant Jansen die Ermittlungen. Bei der Befragung von Führungskräften und Angestellten erfährt er von einem geheimen 31. Stockwerk im Gebäude. In welcher Beziehung stehen dessen Bewohner zu einer Gruppe von Oppositionellen, die unter dem Kampfnamen »Krysmopompas« agieren? … In der grellen Science-Fiction-Farce ist Videotechnik allgegenwärtig: Der Ermittler im Leopardenanzug trägt einen Rekorder im Schulterhalfter und am Finger einen Ring mit eingebauter Kamera. Die bewusst »schmutzigen« Bilder waren Grundlage einer New-Wave-Ästhetik, zu der auch buntes Neonlicht, Klangcollagen unter Einschluss des Apollo-Funkverkehrs und die Bauten eines westdeutschen Beton-Brutalismus gehören. All das verband der Film zu einem zeitgenössischen »No Future«-Feeling. Co-Autor Robert Katz: »Der von Rainer Werner Fassbinder kreierte Jansen verkörpert die Zukunftslosigkeit eines Kamikaze-Kämpfers. Die Abwesenheit von Zukunft bedeutet wiederum die Abwesenheit einer Message.«

Regie: Wolf Gremm | Mit Rainer Werner Fassbinder, Günther Kaufmann, Nicole Heesters, Brigitte Mira

Ikarie XB 1 (nach dem Roman »Obłok Magellana« (1955) von Stanisław Lem)

© National Film Archive, Czech Republic
© National Film Archive, Czech Republic

Im Jahr 2163 bricht das Raumschiff Ikarie XB 1 auf den Weg ins Sonnensystem Alpha Centauri auf, um auf einem »Weißen Planeten« nach Leben zu suchen. Zur 40-köpfigen Besatzung unter den Kommandanten Abajev und MacDonald gehören eine schwangere Offizierin und ein schon etwas altersschwacher Roboter. Unterwegs treffen sie auf ein Raumschiff, dessen Crew rund 200 Jahre zuvor eines gewaltsamen Todes starb. Für zwei Kosmonauten der Ikarie endet diese Begegnung tödlich. Die anderen werden kurz danach von einer seltsamen Schlafkrankheit heimgesucht. Offenbar wird sie von einem dunklen Stern verursacht, der sich zwischen das Raumschiff und den Weißen Planeten schiebt … Die elektronische Musik zur Stanisław-Lem-Verfilmung wirkt noch heute avantgardistisch. Auch im Westen Ikarie XB 1 erlebte einen Höhenflug. Hierfür ist weniger ein verhunzter Umschnitt für den US-Markt von Belang, als vielmehr die Tatsache, dass Stanley Kubrick – nach Aussage seines Assistenten Anthony Frewin – den Film als Vorbereitung auf 2001: A Space Odyssey (1968) sah. Die atmosphärische Lichtsetzung, aber auch mehrere Ausstattungsdetails wie die sechseckigen Korridore, ähneln sich in beiden Filmen deutlich.

Regie: Jindřich Polák | Mit Zdeněk Štěpánek, František Smolík, Dana Medřická

Test pilota Pirxa / Der Test des Piloten Pirx (nach Erzählungen (1968) von Stanisław Lem)

Licence KADR FILM STUDIO/www.SFKADR.com
Licence KADR FILM STUDIO/www.SFKADR.com

Kommandant Pirx erhält den Auftrag, auf einem Testflug Raumsonden in der Cassinischen Teilung des Planeten Saturn auszusetzen. Hinter dieser Aufgabe verbirgt sich eine heikle Mission: Die fünfköpfige Besatzung besteht nur zum Teil aus Menschen, zu ihr gehören auch Roboter. Das wahre Ziel des Testflugs ist es, zu erforschen, ob die Androiden ihre menschlichen Kollegen womöglich schon bald ersetzen können. Wie brisant die Aufgabe ist, merkt Pirx erst, als er fast das Opfer eines Mordanschlages wird. Beim Manöver am Saturn verursacht einer der Roboter fast eine Katastrophe. Doch nach der Rückkehr zur Erde ist es Pirx, der sich einem Strafverfahren stellen muss … Reklame für Pan Am, Lee und McDonald’s: Unübersehbar ist die polnisch-sowjetische Stanislaw-Lem-Adaption in der westlichen Hemisphäre angesiedelt – denn nur im Kapitalismus trägt der Einsatz humanoider Maschinen zur Freisetzung menschlicher Arbeitskraft ja bedrohliche Züge. Pirx, der Kosmonaut im Jeans-Anzug, kann seine wahre Natur als geschulter Dialektiker allerdings nicht verbergen. Am Ende des Films steht seine humanistische Botschaft, dass gerade die Schwäche des Menschen der Stärke der Roboter überlegen ist.

Regie: Marek Piestrak | Mit Sergiej Desnitski, Bolesław Abart, Władimir Iwaszow

Soylent Green / … Jahr 2022 … die überleben wollen (nach dem Roman »Make Room! Make Room!« (1966) von Harry Harrison)

© 1973 Warner Bros. Entertainment Inc. All Rights Reserved.
© 1973 Warner Bros. Entertainment Inc. All Rights Reserved.

New York 2022. Polizei-Detective Thorn ermittelt im Fall eines ermordeten Geschäftsmanns, der Kontakte zum Lebensmittelkonzern Soylent hatte. Dessen neues, angeblich aus Plankton gewonnenes Produkt »Soylent Grün« ist bei den 40 Millionen Einwohnern der Stadt hochbegehrt. Thorns Nachforschungen führen ihn in die abgeschottete Welt der Reichen und in die Elendsquartiere der Armen. Von Attentätern verfolgt und Vorgesetzten behindert, kommt er einem fatalen Zusammenhang zwischen Bestattungsriten und der Nahrungsproduktion auf die Spur … Mit seinem Verweis auf den Treibhauseffekt war Soylent Green 1973 die erste »Öko-Dystopie«, die die brisanten Thesen des Club of Rome (»Die Grenzen des Wachstums«, 1972) anschaulich machte, wobei die Prophezeiung einer »Überbevölkerung« und drastische Zeichnung von Verteilungskämpfen populärwissenschaftlichen Ansichten entsprach (Paul R. Ehrlich: »Die Bevölkerungsbombe«, 1968). Auch die Darstellung einer weitgehend immobil gewordenen Gesellschaft war im Jahr der »Ölkrise« brandaktuell. »Heil« ist im Film letztlich nur noch das Kino, das in seinen Bildern die Erinnerung an eine intakte Natur bewahrt – für ihren Betrachter allerdings mit tödlichen Konsequenzen.

Regie: Richard Fleischer | Mit Charlton Heston, Leigh Taylor-Young, Chuck Connors

Le tunnel (nach dem Roman »Der Tunnel« (1913) von Bernhard Kellermann)

© Les Films du Panthéon
© Les Films du Panthéon

Der philanthropische Ingenieur Mac Allan plant den Bau eines Tunnels zwischen den USA und Europa. Bei einem Treffen kapitalstarker Investoren in einem New Yorker Hotel findet er volle Unterstützung. Der Spekulant Woolf verfolgt allerdings ausschließlich Eigeninteressen: Als Präsident des Tunnel-Syndikats unterschlägt er hohe Summen. Nach einem Wassereinbruch, drei Jahre später, kommt es zu Unruhen unter den Tunnelarbeitern. Mac Allan ahnt nicht, dass Woolf Provokateure engagiert hat, um den Abbruch des Tunnelbaus herbeizuführen. Um seine Unterschlagungen zu verschleiern, schreckt Woolf auch vor einem Sprengstoffanschlag nicht zurück … Der in den Bavaria-Ateliers bei München gedrehte Film entstand in einer deutschen und einer französischen Sprachversion. Establishing Shots von New Yorker Wolkenkratzern legitimierten seinen technischen Optimismus hinsichtlich einer Untertunnelung des Atlantiks schon in der nahen Zukunft. So konnte die eingesetzte Technik durchaus der Gegenwart entsprechen. Zukunftspotenzial gewann sie außerdem durch Mac Allans Kontrahenten, der sich in auffällig »gestriger« Kleidung – Zylinder, Gamaschen, Cutaway und Frackkragen – dem Fortschritt in den Weg stellt.

Regie: Kurt Bernhardt | Mit Jean Gabin, Madeleine Renaud, Edmund van Daële

Kampf der Welten (nach dem Roman »The War of the Worlds« (1898) von H. G. Wells)

© Courtesy of Park Circus / Paramount
© Courtesy of Park Circus / Paramount

Als in der Nähe einer kalifornischen Kleinstadt ein glühender Himmelskörper niedergeht, glaubt die Bevölkerung zunächst an einen Meteor. Doch der Physiker Clayton Forrester und die weitere Entwicklung belehren sie rasch eines Schlechteren. Tatsächlich befinden sich Wesen vom Mars in den Ufos, die nun in schneller Folge auf allen Kontinenten landen. Ihr Ziel: die Vernichtung der Menschheit und die Übernahme der Erde. Mit ihren metallenen Kampfmaschinen, die tödliche Strahlen aussenden, legen sie ganze Städte in Schutt und Asche … Die Technicolor-Verfilmung des Romans von H. G. Wells brachte mitten im Kalten Krieg die Ängste vor einer atomaren Apokalypse auf bestechende Weise zum Ausdruck. Die Charakterisierung der Marsianer als aggressive Invasoren bestimmte die Darstellung der außerirdischen »Fremden« im US-Kino für Jahrzehnte. Ebenso prägend waren die Planeten-Entwürfe des »astronomischen« Malers Chesley Bonestell (1888–1986) und die Oscar-prämierten Spezialeffekte des Films unter Leitung von Gordon Jennings (1896–1953), die in Blockbustern von Close Encounters of the Third Kind (1977) bis zu Roland Emmerichs Independence Day (1996) deutliche Spuren hinterließen.

Regie: Byron Haskin | Mit Gene Barry, Ann Robinson, Les Tremayne, Bob Cornthwaite

Welt am Draht (nach dem Roman »Simulacron-3« (1964) von Daniel F. Galouye)

© Rainer Werner Fassbinder Foundation
© Rainer Werner Fassbinder Foundation

Der Tod des Direktors am Institut für Kybernetik und Zukunftsforschung (IKZ) löst bei seinem Nachfolger Stiller viele Fragen aus: Was wollte ihm der Security-Mann Lause sagen, ehe er spurlos von der Bildfläche verschwand? Warum ist Stiller der Einzige, der sich an Lause erinnert? Hat das alles mit dem IKZ-Projekt »Simulacron-1« zu tun, in dem menschliches Leben durch elektronische Schaltkreise simuliert wird? Warum endet eine Straße plötzlich im Nichts? Ist Stillers Existenz etwa auch nur eine Simulation? … »Ich denke, also bin ich«: Beunruhigender als später The Matrix stellte Welt am Draht schon 1973 diese philosophische Grundannahme infrage. Plausibel weckt der Film Zweifel an jeglicher Identität, indem er Platons Höhlengleichnis in eine nahe Zukunft transponierte, die allein an Tastentelefonen, einem Videofon und einigen futuristischen Lichtskulpturen kenntlich wird. Elektronische Soundeffekte und Michael Ballhaus’ Kameraführung, die mit schwindelerregenden Fahrten und vielen Spiegelbildern die Orientierung erschwert, machen die Bedrohung, die in Fassbinders genialem Fernseh-Zweiteiler von IBM-Großrechnern ausgeht, bis in die Gegenwart auch emotional nachvollziehbar.

Regie: Rainer Werner Fassbinder | Mit Klaus Löwitsch, Barbara Valentin, Mascha Rabben, Karl Heinz Vosgerau

Barry Lyndon (nach dem Roman »The Luck of Barry Lyndon, Esq.« (1844) von William Makepeace Thackeray)

© 1975 A Warner Bros. Entertainment Inc. All Rights Reserved.
© 1975 A Warner Bros. Entertainment Inc. All Rights Reserved.

Der junge, verarmte irische Landjunker Redmond Barry lässt sich nach einem Duell mit einem englischen Offizier zur britischen Armee anwerben. Er kämpft im Siebenjährigen Krieg in Deutschland, wo er als Fahnenflüchtiger ins preußische Heer gepresst wird. In Berlin als Polizeispitzel auf einen irischen Glücksspieler angesetzt, unterstützt Barry diesen bald in seinem betrügerischen Gewerbe. An einem Spieltisch lernt er Lady Lyndon kennen, eine schöne und vermögende Frau. Nach dem Tod ihres Ehemanns heiratet er sie. Doch vom Höhepunkt seiner Laufbahn geht es schnell wieder bergab … »Dieser Mantel ist aus feinstem Samt. Kein feinerer ist je gewoben worden. Es gibt keinen Besseren.« So wie sich an Barrys Kleidung sein Wandel zum feudalen Gecken ablesen lässt, geben auch die blassen, fast farblosen Rokoko-Kostüme Lady Lyndons Auskunft über den Charakter ihrer Trägerin, deren Persönlichkeit vom despotischen Gatten geradezu ausgelöscht wird. Nicht gerade »prêt-à-porter«, haben sie doch nachhaltige Wirkung gehabt. Daniela Sannwald, 2015: »Lady Lyndons Garderobe könnte die Kollektionen von Vivienne Westwood beeinflusst haben – die kalten Nude-Töne ebenso wie die Schnitte des Hochrokokos«.

Regie: Stanley Kubrick | Mit Ryan O’Neal, Marisa Berenson, Patrick Magee, Hardy Krüger

A Clockwork Orange / Uhrwerk Orange (nach dem Roman »Clockwork Orange« (1962) von Anthony Burgess)

© 1971 Warner Bros. Entertainment Inc. All Rights Reserved.
© 1971 Warner Bros. Entertainment Inc. All Rights Reserved.

London in der Zukunft: In einem tristen Vorort tyrannisiert eine Schlägerbande ihre Umgebung. Alex, ihr Anführer, ist in der Clique nicht unumstritten, und nach einem Mord wenden sich die »Droogs« von ihm ab. Im Gefängnis wird Alex einer neuartigen Therapie unterzogen. In deren Folge reagiert er auf Beethovens »Neunte« äußerst sensibel. Als er seinen Opfern von einst wieder begegnet, überlebt er deren Rache nur knapp. Doch nachdem er sich von einem Selbstmordversuch erholt hat, gilt Alex als »geheilt« … Bowler Hats und Bovver Boots zu weißem Baumwollstoff: Die aggressiven Uniformen der »Droogs« haben sich tief im kollektiven Kino- und Modegedächtnis eingeprägt. Doch hat Milena Canonero in ihrem Filmdebüt für den Protagonisten Alex noch weitere »Masken der Gewalt« kreiert. Marisa Buovolo, 2006: »Sie variieren vom futuristischen Outfit als angsterregende Kostümierung für seine Gewalttaten über einen blutroten Mantel im ›New Edwardian Style‹ als opulente Verkleidung zur Repräsentation sexueller Potenz bis zum abgenutzten Hosenanzug, der seinen Verlust an Selbstbestimmung und seine finale Verschmelzung mit der scheinbar tadellosen Maske der staatlichen Macht symbolisiert.«

Regie: Stanley Kubrick | Mit Malcolm McDowell, Patrick Magee, Adrienne Corri, Michael Bates

Marie Antoinette (nach dem Buch »Marie Antoinette: The Journey« (2001) von Antonia Fraser)

© Courtesy of Park Circus / Sony
© Courtesy of Park Circus / Sony

1768. Die österreichische Erzherzogin Marie Antoinette gelangt an den Hof von Versailles, um den französischen Dauphin zu heiraten. Zunächst noch amüsiert, passt sie sich der unbehaglichen Etikette an. Den Vollzug der Ehe schiebt Ludwig hinaus; frustriert gibt Marie Antoinette sich royalem Nichtstun hin. Erst als sich doch noch ein Thronfolger einstellt, wird »die Österreicherin« von den Hofschranzen akzeptiert. An politischen Vorgängen desinteressiert, beginnt sie eine Affäre mit einem schwedischen Adligen. Dass die öffentliche Meinung sich im Vorfeld der Französischen Revolution gegen sie richtet, ignoriert Marie Antoinette … »Ich finde sie entzückend. Sie sieht aus wie ein Törtchen.« Helle Farben in Pastelltönen bestimmen die Staatsroben der »Fashion Queen« Marie Antoinette, während das »Traumkleid« der selbstbewussten Hofmätresse du Barry in einem kräftigen Blau gehalten ist. Die authentischen Kleiderschnitte werden konterkariert durch anachronistische Accessoires. Sofia Coppola und Milena Canonero ging es nicht darum, die Epoche historisch exakt abzubilden. Vielmehr dürfen sich Stil-Ikonen und »Shopping Queens« der Gegenwart in Marie Antoinette widergespiegelt sehen.

Regie: Sophia Coppola | Mit Kirsten Dunst, Jason Schwartzman, Judy Davis, Rip Torn, Marianne Faithfull

The Shining (nach dem gleichnamigen Roman (1977) von Stephen King)

© 1980 Warner Bros. Entertainment Inc. All Rights Reserved.
© 1980 Warner Bros. Entertainment Inc. All Rights Reserved.

Das Overlook Hotel in den Rocky Mountains ist ein riesiges Gebäude mit einigen Hundert Zimmern. Im Winter steht es leer. Für diese Zeit lässt sich der Lehrer und Möchtegern-Schriftsteller Jack Torrance als Hausmeister engagieren. Zusammen mit Ehefrau Wendy und Sohn Danny zieht er in den alten Prachtbau ein. Dass die Familie dort nichts Gutes erwartet, wird in Visionen deutlich, die der seherisch begabte Danny hat: Aus dem Fahrstuhl des Hauses fließt Blut, zwei Zwillingsmädchen werden hingemeuchelt. Bald hat auch Jack Erscheinungen. Als er Einflüsterungen seines Vorgängers vernimmt, der als Hausmeister im Overlook seine Frau und seine zwei kleinen Töchter ermordet haben soll, greift Jack zur Axt … So wie sich der »leere Kasten« des Hotels auf fatale Weise als belebt erweist, entwickeln sich auch die inneren Konflikte, von denen die Familie heimgesucht wird, hinter einem biederen Outfit. Jack trägt Allerweltsflanell, und Wendy ist ein spätes Hippie-Mädchen, das den kleinen Danny in selbst gestrickte Pullover steckt. Ein kindlich-naives »Apollo 11«-Design ließ Kubrick-Exegeten rätseln: War es eine heimliche Bestätigung ihrer Theorie, dass der Regisseur die Mondlandungen inszeniert hatte?

Regie: Stanley Kubrick | Mit Jack Nicholson, Shelley Duvall, Danny Lloyd

Jenseits von Africa (nach den Büchern »Out of Africa« (1937) und Schriften von Isak Dinesen, »Isak Dinesen: The Life of a Storyteller« (1982) von Judith Thurman, »Silence Will Speak« (1977) von Errol Trzebinski)

Quelle: Deutsche Kinemathek, © NBCUniversal
Quelle: Deutsche Kinemathek, © NBCUniversal

Nach einer unerfüllten Liebe reist die Dänin Karen Dinesen 1913 nach Kenia, um dort den Bruder ihres Geliebten, den Baron Bror von Blixen, zu heiraten. Während ihr Mann seinen Jagd- und Liebesabenteuern nachgeht, sieht Karen sich gezwungen, die Bewirtschaftung ihrer Kaffeeplantage in die eigenen Hände zu nehmen. Unter den englischen Kolonisten und kenianischen Hausangestellten wird der Großwildjäger Denys Hatton ihr einziger Vertrauter. Nach einem Aufenthalt in Dänemark, wo sie während des Ersten Weltkriegs eine Syphilis-Erkrankung auskuriert, beginnt sie ein Liebesverhältnis mit ihm. Doch auch dieser Beziehung ist kein Glück beschieden … Für ihr Kostümdesign orientierte sich Milena Canonero an historischen Fotografien von Karen Blixen und an traditionellen afrikanischen Stoffen und Mustern. Kleidung ist im Film das wichtigste Signal, das Integration und wachsende Handlungsspielräume der Heldin in der Fremde anzeigt: Während Karen bald ein afrikanisches Schultertuch über ihrer Tropenkleidung trägt, serviert ihr »Boy« die Drinks mit weißen Handschuhen, und ein beinahe nackter Junge, dessen Wunden sie verarzten lässt, dankt es ihr, indem er eine khakibraune Felduniform anlegt.

Regie: Sydney Pollack | Mit Meryl Streep, Robert Redford, Klaus Maria Brandauer

I Am Not Your Negro (nach James Baldwins unvollendet gebliebenen Text »Remember This House«)

© Dan Budnik 
© Dan Budnik

Im Juni 1979 beginnt der bedeutende US-Autor James Baldwin seinen letzten, unvollendet gebliebenen Text »Remember This House«. Mit persönlichen Erinnerungen an seine drei ermordeten Bürgerrechtler-Freunde Malcolm X, Medgar Evers und Martin Luther King und Reflexionen der eigenen, schmerzhaften Lebenserfahrung als Schwarzer schreibt er die Geschichte Amerikas neu. Raoul Peck inszeniert die 30 bislang unveröffentlichten Manuskriptseiten mit einer fulminanten Collage von Archivfotos, Filmausschnitten und Nachrichten-Clips: die Boykottinitiativen und den Widerstand gegen die Rassentrennung in den 1950er- und 60er-Jahren, die Unsichtbarkeit von Schwarzen in den Kinomythen Hollywoods, afroamerikanische Proteste gegen weiße Polizeigewalt bis in die jüngste Gegenwart, Baldwins kompliziertes Verhältnis zur Black-Power-Bewegung, den paranoiden Blick eines FBI-Berichts auf dessen Homosexualität. Ein prägnanter und verstörender Essay über die bis heute vom Mainstream weitgehend ausgeblendete Wirklichkeit schwarzer Amerikaner. Samuel L. Jacksons Stimme verleiht der poetisch-meditativen Sprache Baldwins einen angemessenen Ausdruck.

Regie: Raoul Peck

A Tall Tale (inspiriert von Edgar Allan Poe und Orson Welles)

© Maya Schweizer
© Maya Schweizer

»Einen kaum wahrnehmbaren Riss, der an der Frontseite des Hauses vom Dach im Zickzack die Mauer hinunterlief, bis er sich in den trüben Wassern des Teiches verlor,« bemerkt der Erzähler, als er an Ushers Haus ankommt und eröffnet so eine Parallele zwischen dem irischen Setting von Maya Schweizers filmischer Assoziation und Edgar Allan Poes klassischer Gruselgeschichte. Orson Welles und andere cineastische Geister nehmen die Zuschauer*innen von A Tall Tale mit auf eine Reise durch eine Landschaft aus Ruinen und Filmen und Filmruinen, die von Phantomen und Elfen bevölkert wird.

Regie: Maya Schweizer

3 Kommentare

  1. […] Dabei bekommt das mobile Monster, das in ihr heranwächst, Züge der unheimlichen Wesen, die in Ridley Scotts »Alien« ihre Wirte aus dem Inneren heraus zerstören (nicht zufällig erinnert das […]

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