Film

Spiel mir das Lied von Ennio Morricone

Niemand hat dem Kino derart seinen Stempel aufgedrückt wie Ennio Morricone. Der Italo-Western ist ohne ihn nicht denkbar, aber auch Brian De Palma, Oliver Stone oder Quentin Tarantino wussten das Genie des Italieners zu schätzen. Der Dokumentarfilm von Oscar-Preisträger Giuseppe Tornatore führt noch einmal Leben und Werk des 2020 verstorbenen Meisters der Töne vor Augen.

»Die Musik ist ein zusätzliches abstraktes Element, das der Film nicht braucht. Aber wenn man sie hören will, muss man ihr Freiheit lassen«, erklärte Ennio Morricone kurz vor seinem Tod seinem langjährigen Freund, dem Oscar-Preisträger Giuseppe Tornatore. Tornatore ist bekannt für Filme wie »Die 100 Tage von Palermo« oder »Cinema Paradiso«, im Dezember kam sein Biopic über den italienischen Maestro in die Kinos.

Keiner hat die Musik derart von den Ketten der Tradition befreit wie der italienische »Meister der Noten«, dessen einzigartiges Werk bis heute Filmemacher und Musiker in aller Welt begeistert. Anhand von Archivaufnahmen, Filmausschnitten und Interviews taucht Tornatores facettenreiche Dokumentation tief in das Wirken des italienischen Maestros ein, der 2020 kurz nach dem Abschluss der Dreharbeiten gestorben ist. Dabei wird schnell eines klar: Niemand hat das Kino des 20. Jahrhunderts derart geprägt wie Morricone.

Giuseppe Tornatore: Ennio Morricone – Der Maestro. Mit Ennio Morricone, Clint Eastwood, Quentin Tarantino, John Williams, Hans Zimmer, Bernardo Bertolucci. Plaion Pictures.

Ursprünglich wollte Morricone Arzt werden, aber sein Vater meldete ihn auf dem Konservatorium an, wo er eine klassische Ausbildung genoss. Auf sie würde er Zeit seines Lebens zurückgreifen. Aber es war ein langer Weg ins Filmbusiness, jahrelang musste Morricone als Trompeter auf Märkten und in Bars den Lebensunterhalt seiner Familie verdienen. Ein Auftritt von John Cage in Darmstadt öffnete ihm die Augen für die avantgardistische Herangehensweise an Musik. Auf der Basis seines breiten klassischen Grundwissens erfand er mithilfe ungewöhnlicher Methoden eine neue Art des Musizierens. Morricone ging wie ein Architekt vor. »Musik sollte gedacht werden, bevor sie geschrieben wird«, sagt er im Film. Also fertigte er unzählige Entwürfe an, die er immer wieder überschrieb und besser machte. Wenn Noten sein Baumaterial war, dann baute Morricone daraus Kathedralen.

»Traumatische Geräusche« wurden feste Elemente seiner Kompositionen, etwa wenn er mit Konservendosen und Schreibmaschinen Musik machte, die Logik der Zwölfton-Musik auf tonale Melodien anwandte oder der Kunst des Pfeifens eine Bühne gab, mit Flöten, Mundharmonikas, Glocken und Peitschen unvergessliche Sound-Landschaften schuf. Man denke nur an den legendären Kojote-Ruf aus dem Hauptthema von »Zwei glorreiche Halunken«. »Ennio Morricone – Der Maestro« lässt detailliert nachvollziehen, auf welche klassischen Vorläufer sich der Italiener in seinen Kompositionen berief, welche Ziele er damit verfolgte und wie er den Bildern eine Tonspur an die Seite stellte, die oft gleichwertig zur Kamera war.

Ennio Morricone in seinem Arbeitszimmer

Der italienische Film – vom Italo-Western Sergio Leones bis hin zum neorealistischen Kino von Bernardo Bertolucci oder Pier Paolo Pasolini – ist ohne Morricones Melodien ebensowenig vorstellbar wie das internationale Cinema des 20. Jahrhunderts. Weit mehr als 100 Filme hat er seinen akustischen Stempel aufgedrückt. Seine Musik begleitet Werke von Henri Verneuil (»Die Hölle von San Sebastian«, »Der Clan der Sizilianer«, »Der Coup«, »Die Schlange«, »Angst über der Stadt«), Terrence Malick (»In der Glut des Südens«), Brian De Palma (»Die Unbestechlichen«, »Die Verdammten des Krieges«) oder Oliver Stone (»U-Turn – Kein Weg zurück«). Dass es nicht zur Zusammenarbeit mit Stanley Kubrick für dessen Kult-Film »Clockwork Orange« gekommen ist, sei das einzige, was er bereut, gesteht Morricone seinem Freund Tornatore vor der Kamera.

Seine Vertonung von Roland Joffés Film »Die Mission«, der von der Missionierung Südamerikas durch Priester des Jesuitenordens erzählt, unterlag 1986 überraschend bei den Oscars gegen Herbie Hancocks Jazz-Score, der Bertrand Taverniers Musikfilm »Um Mitternacht« begleitet. 2007 erhielt er den Ehren-Oscar für sein Lebenswerk. Erst mit der sechsten Nominierung sollte er den längst überfälligen Filmmusik-Oscar erhalten. 2016 wurde seine Betonung von Quentin Tarantinos »The Hateful Eight« von der Academy ausgezeichnet.

Ennio Morricone und Giuseppe Tornatore am Set

Ennio Morricone hatte alle Regiearbeiten von Giuseppe Tornatore vertont, sein Lebenswerk zieht sich nun auch durch diesen, posthum fertiggestellten Film. »Ennio Morricone – Der Maestro« zeichnet ein vielschichtiges Bild vom Architekt der Töne, rekonstruiert dessen Leben und Werk, lässt Wegbegleiter und Anhänger, und natürlich den großen Maestro selbst inmitten seiner Arbeiten zu Wort kommen. Gleich zu Beginn schwärmen Prominente aus Film und Musik wie Bruce Springsteen, Dario Argento, Lina Wertmüller oder Bernardo Bertolucci von dem musikbesessenen Genie. Mit kritischen Tönen geht der Ton sparsam unter, überlässt sie meist dem Kult-Komponisten selbst, der unter anderem einräumt, sich seinem Lehrer Goffredo Petrassi und der »wahren Musik« schuldig gegenüber gefühlt zu haben, als er die klassische Musik hinter sich ließ.

Den mitunter störrischen Charakter Morricones kann aber kein noch so ergebenes Porträt auslassen. »Der Regisseur überwacht alles. Buch, Bühnenbild, Kostüme, Spiel, Licht, Kamera, aber nicht die Musik«, sagt er an einer Stelle im Film. Dieses Selbstverständnis hat so manchen Konflikt befeuert, andere hat es beflügelt. Quentin Tarantino ließ beispielsweise bei seinem letzten Film »Once Upon A Time In Hollywood« die Musik beim Dreh laufen, um seine Schauspieler:innen in die richtige Atmosphäre zu versetzen.

Filmemacher unter sich – Giuseppe Tornatore und Quentn Tarantino

Tornatores Film ist eine Reise in die Musik und das Kino, die Lust macht, ins Kino zu gehen beziehungsweise im eigenen Filmarchiv zu wühlen und den Spuren nachzugehen, die dieser Film streut. Ennio Morricone hat den Soundtrack zum Leben der Menschen geschrieben, selbst Metallica verzichtet nicht auf seine Melodien. Wer seine Musik einmal gehört hat, kann sie nie wieder vergessen, sagt Wong Kar-Wai in diesem eindrucksvollen Film, der der italienischen Musik-Ikone ein würdiges Denkmal setzt.

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