Anderthalb Jahre nach seinem Tod ist im Frühjahr eine »Belmondo Collection« mit einigen der wichtigsten Filme des Franzosen erschienen. Sie zeigt die Wandlungsfähigkeit der Schauspiel-Ikone Jean-Paul Belmondo, der die Nouvelle Vague ritt wie kein anderer, um schließlich auf dem Pferd des Unterhaltungskinos dem Sonnenuntergang entgegen zu reiten.
Was wäre die Nouvelle Vague ohne ihren Superstar Jean-Paul Belmondo? Wäre sie überhaupt? Wahrscheinlich schon, aber kaum einer hat diesen von den französischen Existenzialisten inspirierten Drang, frei und im Moment zu leben, so unmittelbar, selbstsicher und sinnlich verkörpert wie der in der Nähe von Paris geborene Franzose. Er war immer alles auf einmal: Gauner und Kommissar, Priester und Liebhaber, Draufgänger und Unschuld vom Lande, Künstler und Lebemann. Vor allem aber war er der lässigste Actionheld, den das Kino je hatte.
Die Franzosen liebten ihren »Bébel«, mit seinem unverwechselbaren Spiel zog er sie von Anfang an in Bann. Die Speerspitze der Nouvelle Vague um François Truffaut, Claude Chabrol und Jean-Luc Godard war begeistert von der Mischung aus Ernsthaftigkeit und wilder Energie, die den ehemaligen Boxer Belmondo umgab. In Godards »Außer Atem«, dem bedeutendsten Werk des neuen französischen Kinos, kam sie gleich in aller Pracht zur Geltung. Unvergessen die wahnwitzige Leicht(sinn)igkeit, mit der er den windigen Kleinganoven Michel Poiccard gab, der bei der umwerfenden Patricia (Jean Seeberg) untertaucht, während ihm die Flics auf den Fersen sind.
Godards Debüt war auch der Auftakt von Belmondos Weltkarriere, während der er zwischen 1956 und 2008 über 80 Filme drehte. Er hat mit den Granden seiner Zeit gearbeitet, neben den bereits genannten auch mit Louis Malle, Jean-Pierre Melville, Jean-Paul Rappeneau, Henri Verneuil, Georges Lautner, Alain Resnais oder Claude Lelouch. Auf der Leinwand legte er sich mit Lino Ventura, Jean Gabin, Alain Delon, Omar Sharif und Daniel Craig an, während er Schauspielerinnen wie Jeanne Moreau, Claudia Cardinale, Anna Karina, Sophia Loren, Catherine Deneuve oder Raquel Welch mindestens in ihren jeweiligen Rollen den Kopf verdrehte.
Das Verhältnis seiner Antihelden zu den Frauen war immer komplex, mehr als einmal sind seine Figuren am Kalkül der angehimmelten Damen gescheitert oder wurden von ihnen vorgeführt. Man denke nur an Anna Karina als Marianne Renoir, die Ferdinand alias Pierrot le Fou in Godards surrealistischem Roadmovie (in dem Belmondo in der Zunge von Arthur Rimbaud über das Meer, die Sonne und die Ewigkeit spricht) hinter die Palme führt.
Am 9. April wäre der im September 2021 verstorbene französische Schauspieler 90 Jahre alt geworden. Aus diesem Anlass ist im Frühjahr eine Sammlung von 16 Filmen erschienen, die vor allem seine Publikumserfolge ins Schaufenster stellt. Die breite Auswahl reicht von den Nouvelle-Vague-Arbeiten mit Jean-Luc Godard und Louis Malle über die Kriminalfilme, Räuberpistolen und Polizeidramen von Jean-Pierre-Melville und Philippe de Broca bis hin zu den Action-geladenen Streifen von Henri Verneuil und Georges Lautner. Dass zentrale Werke wie Philippe de Brocas »Abenteuer in Rio«, François Truffauts »Das Geheimnis der falschen Braut« oder Jacques Derays französische Al-Capone-Variante »Borsalino« fehlen, trübt die Freude an dieser dennoch begrüßenswerten Sammlung ein wenig.
Insgesamt beweist diese Auswahl, dass Belmondo zwar im intellektuellen europäischen Autorenkino seine Anfänge nahm, die größten Erfolge aber mit kommerzielleren Genreproduktionen feierte, die nach dem Vorbild des amerikanischen Actionkinos gestaltet waren. Ob anspruchsvolles Kunstkino oder konventionellere Hau-drauf-Filme – Belmondo beherrschte sein Handwerk wie nur wenige andere neben ihm. Auch deshalb standen ihm viele Türen offen. Die Ausfahrt nach Hollywood hat er nie genommen, er blieb seiner französischen Heimat und ihrer Geschichte stets treu verbunden.
Als er im vergangenen Jahr starb, trauerten die französischen Zeitungen auf den Titelseiten um »Le Magnifique«, um »den Größten« – in Anspielung an den gleichnamigen Film von Philippe de Broca, in dem er 1973 als Schriftsteller glänzte, der sich in seine Romane träumte. Ein Träumer war Belmondo nur auf der Leinwand, im tatsächlichen Leben hat er seine Karriere ganz bewusst gestaltet. Er konnte den intellektuellen Dandy ebenso spielen wie den düsteren Gangster oder den abenteuerlustigen Sunnyboy. Weil er ein ungeschlagener Meister seines Fachs war.