Politik, Sachbuch

Dokumentation des Grauens

© Thomas Hummitzsch

Kaum einer hat das Grauen eindrucksvoller beschrieben, als Jonathan Littell in seinem preisgekrönten Roman »Die Wohlgesinnten«. Aus der Geschichte ist er in die Gegenwart gegangen, in seinen »Notizen aus Homs« beschreibt er die Schrecken in einer abgeriegelten Stadt.

Als das syrische Regime beschloss, den Aufstand des eigenen Volkes mit aller Gewalt niederzuschlagen, reiste der französische Autor Jonathan Littell heimlich in das Land, um für Le Monde aus der Hochburg des Widerstands zu berichten. Für Journalisten war Syrien zu dem Zeitpunkt schon eine No-Go-Area. Umso wertvoller sind Littells Notizen aus Homs, da sie das grausige Geschehen, das den Westen nur in verwackelten Bildern erreicht, bezeugen: »Diese Notizen erstatten Bericht über einen Moment, der quasi ohne Zeugen von außen stattgefunden hat: die letzten Tage der Erhebung eines Teils der Stadt Homs gegen das Regime Baschar al-Assads.«

Eingeschleust von Aufständischen und immer in ihrer Obhut konnte Littell Ende Januar zwei Wochen lang beobachten, wie sich der Kampf zwischen Aufständischen und Regime entwickelt und vor allem welche Auswirkungen er auf die syrische Gesellschaft hat. »Man könnte sagen, dass sich die syrische Gesellschaft verdoppelt hat, dass im Land inzwischen zwei Parallelgesellschaften existieren, die in tödlichem Konflikt miteinander stehen.«

Diese Aussage gilt heute ebenso wie vor einem halben Jahr. Bei Littell erfährt man auch, warum sich in den vergangenen Wochen und Monaten Berichte über ausländische Kämpfer in Syrien häuften, denn schon vor einem halben Jahr sagten ihm die Aufständischen, dass sie den Konflikt internationalisieren würden, wenn die Welt weiter tatenlos bleibe. Es ist zu befürchten, dass die Ausrufung des Dschihad, des heiligen Krieges, nicht mehr auszuschießen ist.

Erschütternd ist Littells Augenzeugenbericht aber vor allem in seinen Einblicken, die er in den Alltag des Krieges ermöglicht. Im wahrsten Sinne des Wortes hat sich der Franzose todesmutig in den Straßen von Homs bewegt, sich stets der Tatsache bewusst, dass er als westlicher Infiltrant und Begleiter der Aufständischen gleich in doppelter Weise gefährdet war, von einem Scharfschützen ins Visier genommen zu werden.

Jonathan Littell: Notizen aus Homs. Aus dem Französischen von Dorit Gesa Engelhardt. Hanser Berlin 2012. 240 Seiten. 18,90 Euro. Hier bestellen

»Sie schießen auch auf Kinder. Für nichts und wieder nichts. Außer um dieses widerspenstige, verfluchte Volk zu strafen, das schuldig ist, sich nicht beugen, seinem Herrn und Meister nicht widerspruchslos gehorchen zu wollen. Um es auf kleiner Flamme zu strafen.«

Trotz der allgegenwärtigen Gefahr, selbst Opfer der Auseinandersetzungen zu werden, besuchte Littell Demonstrationen und Beerdigungszüge, sah sich klandestine Operationssäle und Waffenlager an, besuchte Angehörige von Opfern des Regimes und sprach mit jenen, die sich den Kämpfern anschlossen. »Sobald wir irgendwo ankommen, wollen alle sofort erzählen.« Bei diesen Begegnungen und Gesprächen sah er sich auch dutzende Handyaufnahmen an, die Schusswechsel, Anschläge, Massaker und das, was sie hinterlassen, zeigen. Blutüberströmte Leichen, manchmal sogar nur Leichenteile, Folterszenen und Folterspuren, klagende Familien. »All diese Handys sind Museen des Horrors.« Und immer wieder muss Littell mit ansehen, wie Zivilisten direkt neben ihm sterben. Teilweise an den einfachsten Verletzungen, weil sie nicht operiert werden können. Wenngleich Littell schon so viele Krisengebiete bereist hat, erschütterte ihn die grenzenlose Gewalt des Krieges, die sich eines blinden Fanatismus bedient, am meisten.

Auch wen Littell mehr Informationen über die Untaten der Regierungssoldaten sammelt, etwa dass sie Gefangene – wenn sie denn welche machen – mit Stromkabel und Reifenteilen prügeln oder mit Absicht auf Kopf und Wirbelsäule schießen, bleibt er dennoch kritisch den Informationen gegenüber, die er von den Aufständischen bekommt. Er übernimmt nichts ungeprüft, will das Geschilderte selbst sehen oder andere finden, die es gesehen haben. Der Franzose lässt sich auch nicht instrumentalisieren oder einnehmen, bleibt auch gegenüber seinen „Gastgebern“ skeptisch. Man kennt dies aus seinen journalistischen Berichten von den Kämpfen im Kaukasus oder Georgien, die ihre Nachhaltigkeit aus der Neutralität des Autors ziehen.

Jonathan Littell beschreibt in seinen Notizen aus Homs den rücksichtslosen Häuserkampf beider Parteien und belegt das systematische Morden der Regierungstruppen ebenso wie die Racheaktionen der Aufständischen. Das Leiden der Zivilbevölkerung lässt ihn seine Stimme gegen die internationale Tatenlosigkeit erheben angesichts des Horrors, der sich in Syrien vor den Augen der Welt abspielt.