Dem WDR ist mit der preisgekrönten Produktion von »Ein letzter schöner Tag« ein wahrhaftiger Film darüber gelungen, wie der Alltag aus den vermeintlich sicheren Bahnen geraten kann, wenn ein naher Mensch sich das Leben nimmt. Authentisch und ohne ideologische Scheuklappen begleitet der Film eine Familie in einer Ausnahmesituation.
Als Sybille Langhoff (Julia Koschitz) ihren Mann und ihre Kinder noch einmal anruft, können diese nicht ahnen, dass dies das letzte Gespräch mit ihr sein wird. Ihre normalen Reaktionen stehen im Kontrast zu dem, was kommen wird. Landschaftsarchitekt Lars Langhoff (Wotan Wilke Möhring) ist noch auf einer Baustelle und sagt Sybille, dass es bei ihm später werden wird. Tochter Maike (Matilda Merkel) fühlt sich auf dem Weg ins Kino kontrolliert und reagiert genervt auf den Anruf der Mutter. Und ihr Sohn Piet (Nick Julius Schuck) kickt gerade mit einigen Schulkameraden und freut sich über einen Abend bei seinem besten Freund. Sybille ruft an, weil sie Abschied nehmen will von ihrer Familie. Kaum hat sie aufgelegt, setzt sie sich in ihr Auto, fährt in einen abgelegenen Wald und bringt sich dort um. Sie habe nicht länger gegen den Wunsch zu sterben ankämpfen können, schreibt sie in ihrem Abschiedsbrief.
Lars und die Kinder stehen unter Schock. Natürlich wussten sie um die Depression von Sybille, immer mehr Raum hatte die Krankheit im Alltag der Familie eingefordert. Aber alle dachten, dass es ihr zuletzt wieder besser ging. Sybilles Freitod reißt den ohnehin unebenen Boden der Familie auf. Wut, Angst, Zweifel, Schmerz, Sehnsucht – all diese Gefühle machen sich breit in der Familie, die das Geschehene verarbeiten und zugleich auch irgendwie weitermachen muss. Die kleinen Fragen bekommen auf einmal größte Bedeutung und die Suche nach dem Sinn, nach dem Verstehen dessen, dass die eigene Mutter nicht nur tot ist, sondern auch lieber tot als lebendig sein wollte, beginnt.
Der letzte schöne Tag heißt die unter anderem mit dem Grimme-Preis 2013, dem Deutschen Fernsehpreis 2012 und dem 3sat-Zuschauerpreis 2012 ausgezeichnete WDR-Produktion, die sich dem schwierigen Thema der Depression und des Suizids widmet. Mehr als 10.000 Menschen setzen in Deutschland ihrem Leben jedes Jahr ein Ende, etwa 15 Prozent aller an Depression Erkrankten sollen Schätzungen zufolge den Suizid wählen, weil sie keinen anderen Ausweg mehr aus dieser Krankheit sehen.
In beeindruckender Manier nähern sich Film und Akteure der Auseinandersetzung, die dieses Thema mit sich bringt. Dabei geht es weniger um die inneren Zweifel der Suizidenten, sondern um das, was bei jenen bleibt, die nach dem Freitod eines nahen Angehörigen weitermachen müssen. Die Reise, auf die sich der Film dabei begibt, ist zeitlich gesehen eine kurze. Die Erzählung bleibt nah an der Familie und den Tagen zwischen Tod und Beerdigung und konfrontiert so die Dinge, die gemacht werden müssen, mit den inneren Löchern, die sich in diesen Tagen auftun, wobei jedes Familienmitglied dabei anders mit dem Selbstmord von Sybille umgeht.
Ehemann Lars bemüht sich, nur nicht zur Ruhe zu kommen, dem Schmerz und den Zweifeln nicht zu viel Raum zu geben – auch weil unsere Gesellschaft mit schwachen Männern nicht umzugehen weiß. Tochter Maike hegt großen Groll gegenüber der Mutter, hinter deren Krankheit ihre Ansprüche immer zurückstehen mussten – doch am Ende wird die verletzte und verlassene Tochter sichtbar, die sich in die Arme der Mutter fliehen will. Nesthäkchen Piet begegnet Sybille in seinen Träumen und findet den natürlichsten Umgang mit dem Tod seiner Mutter. Wenngleich dies sofort die Frage provoziert, was für ein Umgang natürlich ist angesichts der Tatsache, dass sich ein so nahestehender Mensch das Leben nimmt.
Der Film verschleiert und verklärt nichts, sondern problematisiert die Not jener, die zurückbleiben. Die Autorin des Drehbuchs, Dorothee Schön, weiß aus eigener Erfahrung, wovon sie hier erzählt. Sowohl ihre Mutter als auch ihre Schwester haben sich das Leben genommen. Ihre eigene Familiengeschichte sei traurigerweise die Vorbereitung auf das Drehbuch gewesen, sagt sie.
Dennoch ist dieser Film alles andere als eine larmoyante oder melodramatische Anklage, sondern gibt in überaus authentischen, bewegenden und zugleich schonungslosen Szenen Einblick in die innerfamiliären Konfrontations-, Bearbeitungs- und Bewältigungsprozesse. Dabei sperrt sich dieser Film gegen jeden ideologischen Missbrauch. Es geht nicht um eine Debatte von Sterbehilfe oder Ähnlichem, sondern um die sehr menschliche Frage, wie man weitermacht, nachdem einem der Boden unter den Füßen weggerissen wurde.
Wie kehrt man zurück in eine Normalität, die alles andere als normal ist? Eine kleine Szene in dem Film gibt Auskunft darüber, dass dies fast unmöglich ist. Der Geschäftspartner von Lars versucht ihm Hoffnung auf die Zukunft zu machen und erzählt ihm von einem Freund, dessen Frau an Krebs gestorben sei und der etwa ein Jahr gebraucht habe, um sich zu fangen. Lars entgegnet ihm, dass dies nicht vergleichbar sei, weil bei einer Krankheit einfach nur die Zeit nach dem Tod nicht mehr stimme, wenn sich aber jemand still und leise das Leben nehme dann auch an der Zeit vor dem Tod nichts mehr richtig sei. Lange hallt dieser Satz noch im Kopf des Zuschauers nach und so ganz will er nicht mehr verschwinden, wie einige der Szenen in diesem beeindruckenden Fernsehfilm – der ganz nebenbei noch beweist, dass sich unter dem Unterhaltungsschund des öffentlich-rechtlichen Fernsehens so manche Perle befindet, die uns in unserem Menschsein berührt.