Deutschlands erste Professorin für Islamische Studien, Katajun Amirpur, hat sechs islamische Reformtheologen porträtiert, die den Islam nur in Verbindung mit Demokratie und Menschenrechten verwirklicht sehen. Tatsächlich repräsentativ für die innerislamischen Debatten sind die Thesen dieser Querdenker jedoch nicht.
Der ägyptische Journalist Sayyid Qutb gilt als einer der wichtigsten islamistischen Denker des 20. Jahrhunderts. Er hat zahlreichen radikalislamischen Gruppierungen und Regimen die Grundlagen für ihre extremistischen Ideologien geliefert. Unter anderem basiert das iranische Ayatollah-Regime auf Qutbs Forderung, eine wahrhaft islamische Gesellschaft zu bilden, „in welcher der Islam in allen seinen Dimensionen praktiziert wird“. Nach der islamischen Revolution im Iran forderte Ayatollah Khomeini, diese vollkommen islamische Gesellschaft im Iran zu verwirklichen, im Zweifel auch mithilfe von Zwang und Gewalt, weil die Menschen sonst Gefahr liefen, dem negativen Einfluss von Atheisten und der Feinde der Religion anheimzufallen.
Das Gesetz Gottes, so argumentierte Qutb, gelte nicht nur in den Moscheen, sondern in Staat und Gesellschaft gleichermaßen. Und so wie es innerhalb der gesellschaftlichen Institutionen grenzüberschreitend wirke, gelte es auch weltweit und müsse global durchgesetzt werden. Qutbs Aufruf zum weltweiten Dschihad zur Verwirklichung der Gottesherrschaft folgen radikale Islamisten noch heute – von Al Quaida und Hamas über die Salafisten bis hin zu den Muslimbrüdern.
Doch die autokratische Position der Zwangsverordnung einer islamischen Gesellschaft gerät in den Ländern der arabischen Welt zunehmend in die Kritik. Die zahlreichen arabischen Aufstände in den nordafrikanischen und arabischen Staaten haben deutlich gemacht, dass mit Zwang und Gewalt auch in den arabischen Staaten bald keine Gesellschaft mehr zu machen ist.
Entscheidend für den nachhaltigen Erfolg der reformerischen Bewegungen in den arabischen Staaten scheint neben der Unzufriedenheit und Protestbereitschaft der Menschen auch das intellektuelle Backup der Proteste. Denn wenn sich die Interpreten des Islam nicht von den radikalen und autokratischen Positionen eines Sayyid Qutb und seinen Anhängern befreien, fehlt den reformerischen Kräften der kulturelle Rückhalt.
Die Hamburger Journalistin und erste deutsche Professorin auf einem Lehrstuhl für Islamische Studien, Katajun Amirpur, vertritt in ihrem Buch Den Islam neu denken die These, dass dieser theologisch-kulturelle Rückhalt gerade entstehe. Die Deutsch-Iranerin erkennt in der jüngeren Geschichte und den Stimmen des Reformislams einen „Dschihad für Demokratie, Freiheit und Frauenrechte“. So lässt es zumindest der Untertitel des Buches verlautbaren. Amirpur versteht unter Dschihad aber keinen irgendwie gearteten Kampf, sondern das „individuelle Bemühen darum, ein gottgefälliges Leben zu führen“. Dazu gehöre auch, die Religion des Islam mit den universalen Menschenrechten zu versöhnen.
Katajun Amirpur ist an der Universität Hamburg Assistenzprofessorin für Moderne Islamische Welt und ist stellvertretende Direktorin der universitätseigenen Akademie der Weltreligionen. Nebenher schreibt sie für die Süddeutsche Zeitung und Die Zeit und gehört seit 2011 zum Herausgeberkreis der politisch-wissenschaftlichen Monatszeitschrift Blätter für deutsche und internationale Politik. Ihr Mann, der Schriftsteller und Essayist Navid Kermani, gehört zu den deutschen Vordenkern in Fragen der Relevanz von religiös-weltanschaulichen Debatten.
In ihrer bemerkenswerten Schrift stellt Amirpur einige der wichtigsten Reformdenker in der islamischen Welt vor, die man unter dem Begriff des Post-Islamismus versammeln und als Befreiungstheologen im Sinne der Befreiung des Islam aus der konservativen Deutungshoheit bezeichnen könnte. Dieser Vorstellung voran stellt sie eine Einführung in das reformerische Islamdenken und dessen Wegbereitern. Zu diesen gehört Mohsen Kadivar, der sich seit Jahren für einen reformierten Islam stark macht, in dem säkulare Normen stärker zur Geltung kommen. Oder Mohammed Shabestari, der fragt, warum Muslime ihre Religion nicht ebenso reformieren dürfen, wie dies Christen und Juden im Laufe der Jahrhunderte immer wieder getan haben. Die entscheidende Frage laute, ob Muslime heute bereit seien, die Vereinbarkeit von Islam und Demokratie entstehen zu lassen, zitiert Amirpur den iranischen Geistlichen.
Vor allem die Situation der Frauen brennt vielen der Reformer, aber auch vielen betroffenen und engagierten Frauen unter den Nägeln. Dass im Kampf für mehr Frauenrechte ausgerechnet auf den Islam selbst – wenngleich in einer reformierten Form – gesetzt wird, mag auf den ersten Blick verwundern. Aber weil die Unterdrückung der Frau nichts mit dem Islam an sich zu tun habe, würden sich viele der Engagierten für Frauenrechte gerade auf den Islam stützen. Es geht dann darum, Aussagen des Koran neu zu interpretieren, um ihre Bedeutung in der Gegenwart zu überprüfen und zu klären, wie mit diesen Aussagen umzugehen ist.
Genau darin sieht Katajun Amirpur die Leistung der sechs theologischen Vordenker, die sie in ihrem Buch vorstellt. Dazu zählt sie neben ihren universalen Wegbegleitern Abdolkarim Soroush, mit dessen Thesen sie sich in ihrer Doktorarbeit beschäftigte, und Mohammad Mojtahed Shabestari, über den sie ihre Habilitation geschrieben hat, auch den Ägypter Nasr Hamid Abu Zaid, der sich viel mit dem Werk von Sayyid Qutb auseinandergesetzt und diesen vor allem für dessen literaturtheoretische Herangehensweise an den Koran bewundert hat. Von diesem Ansatz her hat er seine Position heraus entwickelt, die den Koran als historische Schrift begreift, die immer im Kontext ihrer Entstehung heraus gelesen und immer wieder zeitgemäß interpretiert werden müsse. „Die Religion ist eine Sammlung von historisch feststehenden religiösen Texten, während das religiöse Denken aus den menschlichen Anstrengungen zum Verständnis dieser Texte und ihrer Interpretation und der Extrahierung ihrer Bedeutung besteht.“ In dieser Lesart sind freier Wille, Vernunft und Glaube im Islam vereinbar.
Ein weiterer islamischer Querdenker ist der Pakistaner Fazlur Rahman, der als Berater der pakistanischen Regierung in religiösen Fragen liberale Reformvorschläge machte, die insbesondere den Konservativen nicht passten. Für Rahman war der Koran kein Gesetzbuch, sondern eine Art ethischer Leitfaden für die Menschen in ihrem täglichen Leben, um das Ideal der „sozialen Gerechtigkeit“ innerhalb einer Gesellschaft zu erlangen.
Mit Amina Wadud, Tochter des methodistischen Pfarrers und Schülerin von Rahman, führt Amirpur eine Reformerin an, die immer den Status der Dissidentin hatte. Als konvertierte US-Amerikanerin bringe Wadud „einen geist kritischen Hinterfragens“ mit, schreibt Amirpur. Das ist verwunderlich, denn normalerweise erweisen sich die konvertierten Gläubigen, egal welcher Religion, meist als die größten Eiferer. Wadud aber gehe es darum, „den Gleichheitsgedanken im Koran aufzuspüren und ihn für das, was sie den Gender-Dschihad nennt, zu nutzen“. Ergänzt wird diese Perspektive von der Kritik der patriarchalischen Deutung des Koran durch Asma Barlas, die den Koran als anti-patriarchalen Text liest, zugleich aber deutlich macht, dass sie sich nicht als Feministin missverstanden fühlen möchte. Im Gegensatz zu Barlas Texten sind Waduds Schriften und Reflexionen sind maßgeblich für viele Frauenrechtsgruppen und arabische Feministinnen, wie Amirpur detailliert zeigt. Zugleich aber gibt es für Wadud in der muslimischen Mainstream-Community keinen Platz, weder in den USA noch in den islamischen Ländern.
Dieses Problem stellt sich aber bei allen Reformern, die Amirpur vorstellt. Vier von sechs können in ihren Heimatländern nicht mehr leben, weil ihrer reformerischen Gedanken dazu geführt haben, dass sie entweder staatlicherseits oder von radikalen islamistischen Gruppen unter Druck gesetzt und bedroht wurden. Die innerislamisch-theologischen Diskurse, die Amirpur hier vorstellt, sind keine, die inmitten der islamischen Gesellschaften geführt werden, sondern dort maximal ein Randdasein fristen. Das heißt nicht zwangsweise, dass sie in den Gesellschaften selbst keine Rolle spielen oder spielen werden. Aber die vorgebrachten Argumente machen in ihrer oftmals stark religiösen Fundierung und anti-säkularen Form doch auch deutlich, dass es noch ein langer Weg zu Demokratie, Freiheit und Frauenrechten in der arabischen Welt ist.
Hoffnung gibt aber wiederum, dass diese reformerischen Gedanken auf eine soziale Realität stoßen, die wiederum ein Umdenken anstoßen. Denn lange wird sich der religiös begründete Grundsatz, Aussagen und Zeugnisse von Frauen seien weniger Wert wie die eines Mannes, nicht halten angesichts der zunehmenden Bildungserfolge von Frauen in den islamischen Ländern. Auch das Ende der innerislamischen Isolation, die angesichts der Auflösung von räumlichen und zeitlichen Grenzen durch das Internet nicht mehr aufrechtzuerhalten ist, birgt die Hoffnung darauf, dass die konservativ-patriarchalen Strukturen des Islam langfristig an Rückhalt verlieren. Am Ende sind die Muslime selbst in der Pflicht, erklärt Katajun Amirpur, „das beste aus dem Islam zu machen“.
[…] Romanciers der Republik, macht dies in seinem neuen Buch Ungläubiges Staunen. Darin beugt sich der bekennende Muslim schwärmend, aber nicht unkritisch über das Christentum und seine Bildkultur. Ob in El Grecos […]
[…] der Bruchlinien des 20. Jahrhunderts. Einen großen Unterschied konnte ich leicht entnehmen. Kermani interessierte sich stets für das zu geistigen und materiellen Strukturen Gewordene, für Glaubenssysteme, Kirchen und Moscheen, aber selten für die Menschen, denen er […]