Alice Schwarzer hat Steuern hinterzogen, die #GroKo ist am Rand des Abgrunds und in Dänemark wirft ein Zoo seine Giraffen den Löwen zum Fraß vor. Das Jahr 2014 hat mit Meldungen losgelegt, die 2013 schnell vergessen machen könnten. Klaus Stuttmanns Karikaturenband »Frisch verwählt!« sorgt dafür, dass die Ereignisse des Vorjahres nicht so schnell aus unseren Köpfen verschwinden.
In Zeiten des Ringkampfes um Leser- und Klickzahlen, um Relevanz und Importanz, ist der Einzelne dem medialen Dauerbeschuss hilflos ausgeliefert. Ganz egal, welche Sau gerade durch das Dorf der berichtenden Zunft getrieben wird, von allen Seiten wird sie beleuchtet und untersucht. Ob gewaltsame Proteste in Ägypten oder blutige Aufstände in der Ukraine, Afghanistan-Einsatz oder Nahost-Konflikt, Wahlkampf oder Finanzkrise, Kirchen- oder Gammelfleisch-Skandale – der Rhythmus der medialen »Auf-pörung« und »Em-klärung« ist stets der gleiche. Er beginnt mit der Entdeckung (Eilmeldung. In Kürze mehr!), es folgt die Draufsicht (Update. Wir bleiben für Sie dran!), dann die Ansicht (Sensationelle Enthüllung!), schließlich das Erlegen (Weltweites Exklusivinterview!) und dann die Sektion (Hintergrundbericht! Wir zeigen alles!).
Das Ende der Begrenzung in der Onlinewelt hat dazu geführt, dass wir alles präsentiert, aber nichts vermittelt bekommen. Unsereins kann nichts mehr verpassen, aber auch kaum noch etwas begreifen. Der Userleserhörerzuschauer ist Goethes Tor, der nach dem Nachrichtenkonsum »so klug als wie zuvor« ist. Erklärt wird dieses Phänomen mit der Komplexität der Welt. In unserer Zeit der Interkonnektivität entzieht sich angeblich alles der Auslegung. Da stellt sich die Frage, ob mit diesem Ansatz das Pferd nicht von hinten aufgezäumt wird. Der Mix aus Overinformation und Infotainment hat zum kollektiven Braindrain der einstmals kritischen Masse geführt? Wir sind alle zur Torheit verdammt, weil es das System nicht anders zulässt.
Alle? Nein! Ein von unbeugsamen Querdenkern bevölkertes Dorf hört nicht auf, dem kollektiven Schwund des Geistes Widerstand zu leisten. In diesem Dorf leben sie, die Karikaturisten, diese Gallier unter den Medienschaffenden, die für uns das tägliche Einerlei gewichten und auslegen, um die überkomplexe Welt dann doch erklären zu können.
Der eher links von der Mitte denkende Berliner Klaus Stuttmann gehört zu den wichtigsten und besten Karikaturisten der Republik, seine Zeichnungen erscheinen unter anderem im Tagesspiegel, der taz, dem Freitag und dem Eulenspiegel. Fast täglich sitzt er an seinem elektronischen Zeichentablett und sortiert die Nachrichtenflut, der wir ausgesetzt sind. Seine ironischen Zeichnungen kommen so federleicht daher, als würde er die Komplexität in seinen erfrischend gezeichneten Kommentaren auflösen. Dabei ist das Gegenteil der Fall. Ganz nach dem Motto »Warum auflösen, was zusammenhängt?« entscheidet er sich für die Kompression statt für die Dekomposition. Wie den Schnee zu einem Ball komprimiert er die Informationsflut zu einer informationsgeladenen Zeichnung – ganz egal ob er sich mit Weltbewegendem oder der Regionalpolitik beschäftigt.
Seine Kunstfertigkeit beweisen einmal mehr seine in dem Band Frisch verwählt! zusammengeführten Arbeiten aus dem Vorjahr. Anhand der knapp 200 Karikaturen können wir noch einmal die politischen und gesellschaftlichen Turbulenzen des zurückliegenden Jahres Revue passieren lassen.
Wie war das denn, anno 2013, fragt man sich, bevor man den Band zur Hand nimmt, um dann sofort einzutauchen in die Erkenntnisse und Lektionen des vergangenen Jahres. So mussten wir etwa lernen, dass unsere Sicherheitsdienste auf dem rechten Auge blind sind, sich dafür aber mit links grandios selbst überwachen, wenn sie nicht gerade die Gespräche unbescholtener Bürger belauschen. In dem inhaltsleeren Wahlkampf, aus dem Mutti – ohne Tränen und Stinkefinger wohlgemerkt – siegreich hervor- sowie das Projekt 18+ endgültig unterging, spielte das aber keine Rolle. Es gab ja zum Glück eine Krise, mit der wir uns vom Wesentlichen ablenken konnten. Völlig zu Unrecht übrigens, denn um diese Krise sind wir nämlich so gut drum herum gekommen, dass wir uns mit der Elbphilharmonie, Stuttgart 21 und dem Berliner Großflughafen gleich drei Milliardengräber leisten konnten. Das ganze Geschwafel von der sozialen Armut war nur heiße Luft. Nicht einmal der von der schwarz-gelben Regierung frisierte Armutsbericht konnte echte soziale Missstände in Deutschland attestieren. Wenn nur nicht diese marodierenden EU-Bürger aus Osteuropa wären, da muss man aufpassen…
Und im Ausland? Ach ja, da war mal die Rede vom arabischen Frühling – aber welche Wetterfee hat noch nicht vom blauen Himmel allzu schnell auf warme Temperaturen geschlossen? In Frankreich hat ein Kommunist den präsidialen Frauenschwarm abgelöst, Italiens Bunga-Bunga-König erging es nicht besser. Russlands Putin hat ein weiches Jahr erwischt, Chodorkowsky, Pussy Riot und Snowden kamen in den Genuss seiner Großzügigkeit und Gnade. Dank Snowden (über Julian Assange redet irgendwie keiner mehr oder?) diskutieren wir über NSA, Prism und Tempora – die übrigens besser funktionieren, als sämtliche Klimaschutzmaßnahmen zusammen.
Und ansonsten gab es viel #raute: Sexismus, Leiharbeit, Drohnen, Organspende, Missbrauchsskandal und rassistische Literatur führten alle zum #aufschrei, in den arabischen Staaten kam es wiederholt zum #aufmarsch, in Südeuropa aufgrund des deutschen Spardiktats zu #aufregung und weltweites #aufatmen gab es nach dem Rücktritt von Papst Benedikt XVI.
Wir ahnten es schon: dieses 2013 war irgendwie ganz schön voll. Dank der Karikaturen von Klaus Stuttmann werden uns die Zusammenhänge bewusst, die uns in der Informationsflut verloren gegangen sind. Im Moment der Erleuchtung verschlägt es uns die Sprache. Was bleibt ist Lachen, selten auch Weinen. Und immer die Erkenntnis, dass uns Satire die Welt besser erklären kann, als der mediale stream of consciousness.
Geht es hier darum dass man Inhalt für eine neue Karrikatur hinterlässt?
Meine Idee wären die Stationen von Herrn Friedrichs Ministerleben, also als wegschauender Innenminsister, und danach als Häppchen-essender Landwirtschaftsminister. Und schließlich als zurückgetretener Niemand.
Eine Karikatur in dem einerseits Steuerhinterzieher Geld ins Ausland schaffen und Reiche in Deutschland sich arm rechnen und andererseits marode Schulen Bildungseinrichtungen, fehlende Lehrer/innen usw. hinterlassen 🙂
Ein hervorragender Artikel. ich liebe die Karikaturen von Stuttmann. Seine Bilder sagen mehr als 1000 Worte.
Stutti ! Du warst und bist ja sooo große Klasse !. Ein inzwischen altes Mädchen schwärmt immer noch von Deiner Satire .