Comic

Zum Fraß vorgeworfen

Joe Sacco hat sich mit zahlreichen Krisenreportagen einen Ruf als Comicreporter erarbeitet. Zuletzt hat er mit seinem Weltkriegsleporello Geschichte erfahrbar gemacht. In seinem neuesten Werk verarbeitet er im Underground-Stil die moralischen Verfehlungen der Machtpolitik der USA. »BUMF Vol. 1. I buggered the Kaiser« ist DER Comic zum US-Folterbericht.

Die Welt ist ein Moloch. Aus dem paradiesischen Garten hat der Mensch in ein paar Jahrhunderten eine Hölle auf Erden gemacht. Wir sehen die brennenden Twin-Towers, eine gewalttätige Mutter, einen sich übergebenden Kriegsveteran, eine abgehalfterte Prostituierte, einen Mann am Galgen und einen Raubüberfall, bei dem gerade einem der Schädel weggeblasen wird. Im Hintergrund lässt sich ein Bischoff oral von einem Jungen befriedigen, es rauchen die Schlote der Großindustrie und marschieren faschistische Truppen. Im Vordergrund ein paar Ratten zwischen Müll und Drogenspritzen das Weite suchen. Durch dieses apokalyptische Gegenwartspanorama, das Joe Saccos neuen Comic eröffnet, spaziert ein schlechtgelaunter Mann mit Hühnerkörper, der Erzähler einer Geschichte, wie sie in Comicform noch nicht erschienen ist.

BUMF Volume 1 ist eine Abrechnung mit den politischen Abgründen der USA. Der in Malta geborene, in Australien aufgewachsene und in den USA lebende Comiczeichner Joe Sacco präsentiert uns die dunkle Seite seiner Wahlheimat als ewiges Kontinuum, das weder Ära noch Personen kennt. Schon auf dem Titelblatt blickt uns Richard Nixon an, der von sich behauptet, er wäre Barack Obama. Ein paar Seiten weiter wacht eben jener Richard Nixon, der Vietnam mit Napalmbomben überziehen und verschiedene Foltermethoden wie Waterboarding und simulierte Erschießungen als reguläre Verhörmethoden einführen ließ, neben Michelle Obama im Weißen Haus auf – ein weiteres Indiz dafür, dass die amerikanischen Präsidenten hier als austauschbar dargestellt werden, weil sie nur das fortsetzen, was unter ihren Vorgängern begonnen wurde.

Saccos Ouvertüre erinnert an Dantes Vorhölle, und tatsächlich folgt danach eine Reise hinab ins Zentrum des Infernos. Der Mann mit Hühnerkörper zeigt dem ahnungslosen Präsidenten die Verließe der Macht, um ihn mit der Wirklichkeit zu konfrontieren. Schließlich gibt es einen Krieg gegen die Übermacht eines ominösen kaiserlichen Heeres zu gewinnen. Auf dem Weg in den geheimen situation room passieren der Präsident und sein Berater einen Theatersaal, in dem eine Art klerikale Weltregierung über die versauten Geschicke der Welt wacht. Sie segnen gutgläubig ab, was kommen wird.

Anschließend geht es in einen Computerraum, wo der Präsident mit Begeisterung Drohnenkrieg spielt. Begeistert wählt er seine Opfer am Bildschirm aus, nichts ahnend, was das für Menschen sind (Präsident: »Are they the bad guys?«, Berater: »Who do you want them to be Mr. President?«). Es geht immer weiter über eine Schleuse hinaus in eine irgendwo im Andromeda-Nebel versteckte Welt, wo weder die Regeln der Physik noch die der Menschenrechtskonvention gelten. Hier soll sich der Präsident einer Gefangenen annehmen. Als er ihr die Fingernägel ziehen will, wird er von den Schergen in diesem Reich unterbrochen mit den Worten: »To be honest, Sir. We pride ourselves to be a finesse team. We prefer to scramble the egg without cracking the shell.«

Das Horrorszenario, das sich hier auftut – nackte Amazonen reiten mit Henkerskapuzen auf dem Kopf auf Wölfen über Berge von Körpern –, ist Saccos Verarbeitung der Bildikonen aus rechtsfreien Räumen wie Guantanamo und Abu Ghraib, wo US-Sicherheitskräfte mit Gefangenen nach Gutdünken verfahren. »All jurisdiction of any sort whatsoever is null, void, and, in any case, 3 million light years away«, kommentiert Saccos Erzähler die abgebildeten Ereignisse zynisch.

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Joe Sacco

Die wenigsten werden hier Joe Sacco wiedererkennen. Der Mann, der für seine seriösen Comicreportagen aus aller Welt bekannt ist, geht hier zurück zu seinen Wurzeln als satirischer Underground-Zeichner. BUMF Volume 1 ist sein sarkastischer Kommentar auf die skrupellose und unmoralische Machtpolitik der USA und ihrer Alliierten. Zugleich ist es sein Blick auf die Geschichte des Westens im 20. Jahrhundert. Es ist eine Geschichte des Krieges, der Provokationen und Sadismen. Die Handlung springt wild durch Zeit und Raum. Gerade noch befinden wir uns im Jahr 1914 in Sarajevo, dann schon wieder 1968 in Saigon. Gerade noch sehen wir den Tätern zu, schon stürzen uns ihre Opfer in die Arme. Eines wird dabei klar: wir sind immer Teil des Ganzen.

Sacco nimmt auch die zweifelhafte Rolle der Medien als Steigbügelhalter dieser Politik in den Blick, indem er sich selbst als interessierter Journalist zu erkennen gibt, dem ein verlockendes Angebot als Regierungscartoonist gemacht wird – ein Entgegenkommen im Sinne des Auftraggebers versteht sich von selbst. Für einen Platz im Pool des Wohlgefühls verspricht er dem Präsidenten einen romantischen Comic, um die Massen bei Laune zu halten, während in den Verliesen der CIA weiter gefoltert wird.

Zwischen die Impressionen aus den Finsterkammern der Macht sind Blitzlichter des im Hintergrund laufenden Krieges sowie der US-Kriege der letzten Jahrzehnte geschaltet. Nicht wenige davon ähneln Saccos Weltkriegspanorama von der Schlacht an der Somme. Das belegt Saccos These, dass die Kriege dieser Welt letztendlich alle miteinander ähnlich sind.

Titel We buggered the Kaiser
Joe Sacco: BUMF Volume 1. I buggered the Kaiser. Fantagraphics Books 2014. 120 Seiten. 14,95 Euro. Hier bestellen

In der fernen rechtsfreien Galaxie kommt es am Ende des Comics zum totalen Showdown. Sex, Intrigen und Gewalt lassen die Heerscharen und Folterknechte des Präsidenten übereinander herfallen. Auf diesem Berg der Leichen und Gewalt wird der Präsident seine Kirche bauen und als Herr über alles und jeden zum Messias aufsteigen. Der ominöse Kaiser, der im Laufe des Comics vom Kriegstreiber zum Kriegsgegner mutiert (eine Art Wandel vom Saulus zum Paulus), wird in einer Art Bergpredigt den Hunden und Wölfen des Gottkönigs zum Fraß vorgeworfen. Der Untertitel des Comics »I buggered the Kaiser« erhält so eine wortwörtliche Bedeutung.

In BUMF Volume 1 durchläuft jeder sein ganz eigenes Purgatorium, einschließlich der Leser. Es hätte den Skandal des US-Folterberichts nicht gebraucht, um diesen Comic als Geniestreich Joe Saccos zu empfinden. Die neuen Erkenntnisse verdeutlichen nur mehr, dass Sacco auch hier nicht aus seiner Haut kam; dem exzessiven und ironischen Stil liegt eine Unmenge an Faktenwissen zu Grunde.

Es gibt Momente in dieser schonungslosen Satire, da möchte man in lautes Lachen ausbrechen. Aber schon beim nächsten Bild bleibt es einem im Halse stecken. Das, was uns hier als sarkastischer Scherz begegnet, ist zu großen Teilen Wirklichkeit. Wem da bei der Lektüre nicht eiskalte Schauer den Rücken herunter laufen, dem ist nicht zu helfen.

1 Kommentare

  1. […] Fans überraschen, wenn im Januar sein satirischer Underground-Comic BUMF erscheint, in dem er in radikal-satirischen Bildern erklärt, wie formidabel sich Barack Obamas Außenpolitik in die seiner Vorgänger einreiht. Zuletzt hatte […]

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