Guy Nattiv erzählt in »Skin« die Geschichte eines Neonazi-Aussteigers, dem die rechte Ideologie in Fleisch und Blut übergegangen ist.
Es gibt wenige stille Momente in diesem Film, aber einer der wenigen ist vielsagend. Da schaut der junge Neonazi-Kader Bryon (Jamie Bell) dem auf der Straße aufgelesenen Teenager Gavin in die Augen und es ist, als würde er in sein jüngeres Spiegelbild schauen. Deshalb rät er ihm auch, möglichst schnell das weite zu suchen, bevor er zum Teil dessen wird, was er gerade innerlich loswerden will.
Als Tone Kayes »American History X« 1998 in die Kinos kam, verstand man plötzlich, wie die rechte Szene tickt. Edward Norton verkörpert darin einen amerikanischen Neonazi-Kader mit Springerstiefeln und Hakenkreuz-Tattoo, der nach einigen Jahren im Knast seinen Bruder davor bewahren will, den selben Weg einzuschlagen. Kaye inszenierte seinen Film als innere Läuterung, die bis in die rechtsradikale Hauptorganisation durchschlägt.
Der israelische Regisseur und Oscar-Preisträger Guy Nattiv (»Mabul«, »Strangers«) greift in seinem neuen Film »Skin« zu einem ähnlichen Sujet, ließ sich dabei von der Geschichte des Naziaussteigers Bryon Widner inspirieren, die bereits als MSNBC-Dokumentation »Erasing Hate« verfilmt wurde. Nattiv erzählt Widners Geschichte in einer Indie-Kino-Ästhetik und macht so deutlich, wie verführerisch harmlos sich die Öko-Nazis vom Land inszenieren. Und wie brutal zugleich ihre Ideologie ist. Er zeigt, wie Bryon in einer rassistischen Gemeinschaft im ländlichen Amerika aufwächst, deren »Blut und Ehre«-Ideologie der von seinen Eltern vernachlässigte Junge wie ein trockener Schwamm aufgesogen hat. Was er als Kind jedoch nicht ahnen kann: seine Ersatzeltern Fred und Shareen stehen einer völkischen Siedlergemeinschaft vor, für die sie Jungs von der Straße aufsammeln und indoktrinieren.
SKIN Trailer from AscotElite on Vimeo.
Bryon, der um sich beißende Pitbull dieser in sich geschlossenen Bewegung, ist nicht nur ihr Liebling, sondern vor allem bei den weiblichen Mitgliedern dieser verschworenen Gemeinschaft everybody’s darling. Und was kann einen jungen Mann in einer solchen Gemeinschaft mehr halten, als die permanente Verfügbarkeit willfähriger Frauen, selbst wenn die sexuellen Eskapaden eher wilden Exzessen mit Ausschlägen Richtung Gewalt als zärtlichen Begegnungen ähneln? Schließlich ist hier ohnehin alles auf Lautstärke, Rausch, Macht und Brutalität ausgelegt.
Eines Tages lernt er Julie (Danielle Macdonald) kennen, eine selbstbewusste junge Mutter von drei Kindern. Beide kommen sich näher, doch als die junge Frau Byrons Ersatzfamilie kennenlernt, zeiht sie sich zurück. Sie ist selbst aus der Szene ausgestiegen. »Du bist besser als diese rassistischen Scheißkerle«, bekundet sie ihr Befremden zu seiner inneren Heimat. Doch Bryon lässt nicht locker, will Julie und die Mädchen zum Teil seiner großen Familie machen. Doch als dieser Versuch scheitert, muss er sich entscheiden. Schließlich wendet er sich an die neonazi-Aussteigerorganisation SPLC, mit deren Hilfe er den Absprung schafft.
Für ein neues Leben müssen vor allem die Nazi-Tattoos verschwinden, die seinen Körper zieren. Immer wieder zeigen mitten in die Handlung hineingeschnittene Nahaufnahmen, wie Haut unter einem Laser verbrennt, platzt und reißt. »Was, wenn ich all das Zeug loswerde und immer noch ein Stück Scheiße bin?«, fragt sich Bryon mal und es ist völlig klar, dass mit dem Zeug weniger die Tattoos als vielmehr die rechte Ideologie unter seiner Haut gemeint ist. »Skin« überwältigt in seiner schonungslosen Darstellung des gegenwärtigen Rechtsextremismus und ist damit eine Art »American History X« unserer Zeit.