Literatur, Roman

Wirklich Realismus?

Zwischen Bar und Badmintonhalle bewegen sich die super unabhängigen Helden in Leif Randts neuem Roman »Allegro Pastell«. Obwohl sich die Geschichte zwischen Berlin und Frankfurt – den Hotspots des multikulturellen Miteinanders hierzulande – bewegt, spielen gesellschaftspolitische Fragen keine Rolle.

»Leif Randt ist ein weißer Westdeutscher, der seine eigene Schüchternheit über die Jahre hinweg durch viel Schreiben und Sprechen überwunden hat. Er mag es, wenn Leute erzählen, er mag Filme, Mode und Katzen.« Mit diesen Worten beschreibt sich der 1983 in Frankfurt/Main geborene Schriftsteller im Gespräch mit dem Freitag selbst. Dabei unterschlägt er bescheiden die gleichermaßen erwartungs- wie salbungsvollen Lobeshymnen, die er seit seinem Debütroman »Schimmernder Dunst über CobyCounty« als der aufregendste Schriftsteller seiner Generation gilt.

Nach seinem Ausflug in die Science Fiction mit »Planet Magnon« hat er mit »Allegro Pastell« den Roman einer Generation geschrieben, zumindest wenn man Ijoma Mangold glaubt, der in der Zeit Randts neuen Roman zu einem der wichtigsten Bücher der Gegenwartsliteratur erhoben hat. »Kein Millennial wird künftig einen Roman schreiben können, ohne sich zu Allegro Pastell zu verhalten«, meint Mangold. Nun, angesichts solch kühner Urteile könnte man meinen, man hätte es hier mit einem Schlüsselroman zu unserer Zeit tun. Dem Versprechen leistet der Roman aber nur bedingt Folge.

Worum geht es aber in »Allegro Pastell«, diesem Roman, der im Titel schon von einer gedämmten Schnelligkeit spricht, die sich gewissermaßen auch durch den gesamten Roman zieht. Es geht um Jerome und Tanja und ihre Beziehung, die ebenso Freiheit wie unbedingte Lockerheit atmet – eine Liebe wie ein Lifestyle. Nach dem Sex auf dem Balkon trinken sie schweigend Tee, so haben sie es vereinbart. In der Stille fühlen sie sich auf schräge Art verbunden, nur nicht den postkoitalen Moment, diese Mischung aus Kraft und Zerbrechlichkeit, verderben. Es ist ihr Ritual, um dem Lärm der Gegenwart, aber auch dem Geklapper der eigenen Psyche aus dem Weg zu gehen.

Der Web-Designer und die erfolgreiche Romanautorin führen eine ebenso vielversprechende wie sorgenlose Fernbeziehung zwischen Berlin und Frankfurt. Sind sie getrennt, halten sie sich mit verbindlich unverbindlichen Nachrichten auf dem Laufenden, sind sie zusammen, übertragen sie diese schwer zu fassende Intimität auf ihr umtriebiges Leben zwischen Bett, Bar und Badmintonhalle. Zukunft, Kinder, Geld, all das ist kein Thema zwischen den beiden. Irgendwie eine perfekte Beschreibung der Liebe in Zeiten von Tinder und Globalisierung. Beide sind im unbesorgten Millennial-Dasein gefangen, in dem das Leben ein bunter Strauß an Möglichkeiten ist, die nur darauf warten, ausprobiert zu werden. Und weil die Verlockungen so groß und die Möglichkeiten unendlich sind, wird das Leben zu einem Projekt, das zwischen Familie und Freundschaften, Fitness und Vergnügen, Ambitionen und Versprechungen auf eine Zerreißprobe gestellt wird.

Leif Randt, der gemeinsam mit dem Berliner Schriftsteller Jakob Nolte (hier im Interview über seinen Roman »Schreckliche Gewalten«) die aufregende Publikationsplattform »Tegel Media« betreibt, schreibt sich mit diesem Buch, liest man es als Meta-Roman in die Annalen der Popliteratur ein. So unmittelbar, wie Randt die Dekadenz der ausgehenden Zehnerjahre in diesem zärtlichen Roman einfängt, ist das seit Christian Krachts »Faserland« tatsächlich keinem deutschen Autoren gelungen. Alles ist hier irgendwie fast and furious, aber nichts von wirklicher Dringlichkeit. Die Egalität und Unbesorgtheit, mit der seine Figuren durch die Welt wandeln, ist von beeindruckender Ignoranz gegenüber den Herausforderungen der Gegenwart. Jerome, Tanja und ihre coolen Freunde blenden den Katastrophenmodus unserer Zeit vollkommen aus und drehen sich in Clubs, Restaurants oder auf Privatparties weiter um sich selbst. All das beschreibt Randt in einem flüssigen, eingängigen Ton, der Roman entwickelt in all seiner Banalität einen Sog. Und dennoch fragt man sich, was für eine Welt das sein soll, in der Politik und Gesellschaft maximal Randbemerkungen wert sind? Fehlt das nicht für den Realismus, der dem Roman an vielen Stellen attestiert wird?

Leif Randt: Allegro Pastell
Verlag Kiepenheuer & Witsch 2020
280 Seiten. 22 Euro
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Nun könnte man sagen, dass dies eine fiktive Geschichte ist, in der der Anspruch auf Wirklichkeitsbezüge eher einer der Leser:innen als der Literatur selbst ist. Keine Frage, dem ist zuzustimmen. Literaturkritik muss dies dennoch sichtbar machen, das scheint – wohl auch durch die Nominierung des Romans zum Preis der Leipziger Buchmesse – jedoch in Vergessenheit zu geraten. Dem Autor ist das nicht vorzuwerfen.

Randt selbst wirft in der Ausgestaltung seiner in den Jahren 2018 und 2019 verorteten Erzählung aber ebenfalls zahlreiche Wirklichkeitsanker Während Jeromes Dasein in Maintal bei Frankfurt, wo es »weder um den Aufbruch noch um die Restauration« ging, sondern mutmaßlich darum, »nicht gestört zu werden«, der Welt von Randts Herkunft entspricht, ist Tanjas Leben in Berlin Neukölln, am Rande der Hasenheide und einen Steinwurf entfernt vom Verein, wo das Paar regelmäßig Badminton spielen geht, dem Alltag des Schriftstellers in Berlin entrissen. Wer so viele Realitätsbezüge in seine Literatur einbaut, muss sich möglicherweise dann doch auch etwas daran messen lassen, ob er diese Realität treffend abbildet oder nicht; selbst wenn er Re-Fiktionalisierungen vornimmt und Peter Handke in der Wirklichkeit seiner Figuren zu einem Autor aus der Schweiz macht.

Die Wirklichkeit findet in diesem Roman jedoch nicht statt. Die Gegenwart ist eben doch mehr von Klimawandel, Rassismus und Armut geprägt, als es uns Popliterat Leif Randt glauben machen will. Das unbesorgte Leben der digital natives in diesem Roman ist letztlich jedoch nur vom distanzierten Kalkül der permanenten Selbstoptimierung geprägt, (was vielleicht auch ein Ausschnitt aus der Wirklichkeit der internationalen Berliner Hipster-Szene ist,) bei der sogar das postkoitale Beisammensein zu einem inneren Beauty-Projekt verkommt. Randts Milieustudie zeigt facettenreich, wie sich die saturierte Wohlstandsgesellschaft mit den diffusen Wirklichkeiten ihrer Traumwelten von der rauen Wirklichkeit ablenkt.

Weil »Allegro Pastell« die bittere Realität nicht benennt, taumelt der Roman zwischen gelungener gegenwartskritischer Meta-Fiktion und beklemmender postmoderner Wirklichkeitsverweigerung. Randts neuer Roman ist eben nicht, wie Mangolds Eloge vermuten lässt, eine perfekte Durchdringung der Gegenwart, sondern eine perfekte Durchdringung der Dekadenz unserer Zeit. Die Gegenwart ist keine Yoga-Übung, (als die das Buch im genannten Text auch bezeichnet wird), sondern eher eine monumentale Formlosigkeit, als die sie David Foster Wallace in seiner Literatur beschreibt.