Literatur, Roman

Leuchttürme und Abenteuer

Der Autor und Zeichner Walter Moers hat mit »Die Insel der Tausend Leuchttürme« einen weiteren Roman aus seinem fiktiven Kosmos Zamonien veröffentlicht. Das Buch war seit Jahren angekündigt. Und um es gleich vorweg zu sagen: Das Warten auf diese Explosion aus Kreativität und Erzählfreude hat sich gelohnt.

Schon zu Beginn, bei der Überfahrt auf die Insel Eydernorn, ist klar: das wird kein einfacher Kuraufenthalt. Ein Sturm versenkt das Schiff beinahe mit Mann und Maus, und der zamonische Dichter Hildegunst von Mythenmetz muss sich erst mal von der Seereise erholen statt sich, wie eigentlich geplant, im Meeresklima seiner Bücherstauballergie widmen zu können.

Dann aber begegnet ihm die Insel mit ihrer Vielfalt und zieht ihn in den Bann. Das reicht vom Besuch des besten Restaurants der Insel, wo ihm eigenartige Meerestiere und ein genauso schlechter wie überteuerter Wein serviert werden, über das »Kraakenfieken«, eine Art Golf, bis hin zu den titelgebenden Leuchttürmen. Es sind zwar nur 111, dafür aber leuchten sie bei Nacht wie tausend. Ihre Wärter sind keine einfachen Leuchtturmwärter, sondern zumeist intellektuelle Sonderlinge. Doch die Begegnungen auf der Insel werden immer bedrohlicher: Frostfratten, Wolkenspinnen, Strandlöper, und nicht zu vergessen der Dämon aus der Tiefe des Ozeans: der Quaquappa. Je genauer Mythenmetz das einer Nordseeinsel nachempfundene Eydernorn kennen lernt , desto klarer wird, dass unter der Oberfläche – und auch in den immer präsenten Wolken am Himmel – eine bedrohliche Entwicklung ihren Lauf nimmt.

Walter Moers: Die Insel der Tausend Leuchttürme. Penguin Verlag 2023. 656 Seiten. 42,- Euro. Hier bestellen.

Der Autor und Zeichner Walter Moers legt mit »Die Insel der Tausend Leuchttürme« den mittlerweile zehnten Roman aus seiner fiktiven Welt Zamonien vor. Seit »Die 13 ½ Leben des Käpt’n Blaubär« (1999) stellt Moers mit jedem weiteren Band seine überbordende Kreativität und seinen offensichtlich nicht zu erschöpfenden Einfallsreichtum vor. Zamonien ist ein Kosmos voller Ideen, bevölkert von dichtenden Lindwürmern, kampferprobten Wolperdingern, blauen Bären und vielen weiteren Wesen, denen eines gemeinsam ist: Es gibt sie nur in Zamonien, einem mal gefährlichen, mal bezaubernden Kontinent.

Aus jeder Zeile dieses mittlerweile monumentalen Werks – und das gilt auch für den vorliegenden neuen Roman – leuchtet die Freude am Erzählen. Wie schon zuvor tritt Moers hier als »Herausgeber« auf und behauptet, lediglich Briefe von Hildegunst von Mythenmetz an seinen Freund Hachmed Ben Kibitzer aus dem zamonischen übertragen und so weit redigiert zu haben, dass daraus ein Buch entstehen könne. Dieses reiht sich damit in die Tradition des Briefromans ein, wobei dieser darunter leidet, dass die Briefe witterungsbedingt nicht von der Insel verschickt werden können und dementsprechend die Antworten fehlen. Das hat immerhin den Vorteil, dass sich die Handlung zügiger entwickeln kann.

Hildegunst von Mythenmetz und die fiktive Welt Zamonien

Die Geschichte ist gespickt mit Anspielungen und Querverweisen. So sind Namen oft Anagramme realer Schriftsteller, auch im Inselnamen ist unschwer eine reale ostfriesische Insel zu erkennen. Das ist sehr unterhaltsam und manchmal auch sehr lustig, wenn sich etwa der Kurarzt des Dichters, Tefrint de Bong, als Freizeitpoet outet und Hildegunst von Mythenmetz eine Lesung eines seiner Werke aufnötigt. Das Gedicht, das er ihm mit von Eitelkeit triefender Stimme vorträgt, entpuppt sich als wirklich gekonnt schlechte Version der »kleinen Aster« von Gottfried Benn und lässt den Dichter innerlich erschauern. Auch die Unterhaltung mit einer Leuchtturmwärterin zeigt den großartigen Humor, den Walter Moers schon als Comiczeichner immer wieder unter Beweis stellte.

Ebenso beeindruckt das Buch immer wieder in der hohen Detailfreude der Beschreibungen der Insel, von den Bewohnern über Straßenlaternen, Grabsteine, Gebäude bis hin zu den Leuchttürmen, die Mythenmetz im Laufe seines Aufenthaltes auf der Insel besucht und deren Bewohner er nach und nach kennen lernt. Das aber ist nicht unproblematisch. Mit fortgeschrittener Lektüre wirken die reichhaltige Ornamentik und das System der Verweise ermüdend und lassen die Handlung vermissen. Moers treibt aber auch damit ein gekonntes Spiel, wenn er Mythenmetz bei der Betrachtung eines besonders verzierten Leuchtturms fragen lässt, was daran so falsch sein solle, den Betrachter durch Verspieltheit zu unterhalten. Obendrein gibt er in seinem Nachwort zu Protokoll, dass er die mythenmetzsche Geschwätzigkeit bereits erheblich abgemildert habe. So sei die Schilderung des Besuchs des Inselmuseums – schon im Buch eine Geduldsprobe – im Original sieben mal so lang!

Am Ende ist Mythenmetz mit nicht weniger betraut als mit der Rettung Zamoniens. Das gelingt ihm, doch den Untergang der Insel Eydernorn kann er nicht verhindern und entkommt selbst nur knapp. Vor dem Ertrinken rettet ihn unter anderem der Auftrieb der wasserdichten Tasche, in der er seine Briefe an den Freund aufbewahrt – ein Sieg des Schreibenden über die Realität. Diese Apokalypse ist so gut geschrieben, so plastisch und so fantasievoll, dass man das Buch schließlich mit Bedauern weglegt und sich auf weitere Nachrichten aus Zamonien freut.