Film

Genial überdreht – Lars von Triers Abschluss von »Geister«

Birgitte Raaberg (Judith), Nicolas Bro (Balder), Bodil Jørgensen (Karen) und Lars Mikkelsen (Pontopidan) in »Geister« von Lars von Trier | © Zentropa / Henrik Ohsten

Der dänische Regisseur Lars von Trier hat nach 25 Jahren seine legendäre Horror-Serie »Hospital der Geister« abgeschlossen. In »Geister – Exodus« lädt er noch einmal in das Königliche Reichshospital Kopenhagen ein, um in grandioser Manier den Kehraus der Dämonen zu betreiben. Seien Sie bereit für das Gute und das Böse!

Es sei doch unglaublich, »dass die sowas Halbfertiges verkaufen. Das ist doch kein richtiges Ende«, flucht die rüstige Karen Svensson in ihrem Wohnzimmer, nachdem sie offensichtlich die ersten beiden Staffeln von Lars von Triers »Geister«-Serie auf DVD gesehen hat. Die waren mit jeweils vier Folgen 1994 und 1997 im Fernsehen ausgestrahlt worden, danach widmete sich der Däne bekanntermaßen dem Kino. Filme wie sein Dogma-Streifen »Die Idioten« sowie seine größten Erfolge »Dancer in the Dark« (im Jahr 2000 mit der Goldenen Palme in Cannes ausgezeichnet), »Dogville« und »Manderlay«, gefolgt von seiner Weltleidenstrilogie bestehend aus »Antichrist«, »Melancholia« und dem zweiteiligen Drama »Nymphomaniac«. Zuletzt lief sein Serienmörder-Thriller »The House that Jack built« in den Kinos.

Bodil Jørgensen als Karen in »Geister« von Lars von Trier | © Zentropa Christian Geisnæs
Bodil Jørgensen als Karen in »Geister« von Lars von Trier | © Zentropa Christian Geisnæs

Zu Halloween findet seine »Geister«-Serie, die bei Filmfans Kultcharakter genießt, ihren Abschluss. Im Kino kann man sich die fünf einstündigen Folgen am Stück ansehen. Klingt wie ein Grusel-Marathon, ist es aber nicht, sondern – so viel sei schon einmal vorausgeschickt – ein großer Spaß. Und das selbst für jene, die die ersten beiden Staffeln nicht kennen. Denen entgehen einige Bezüge, »Geister – Exodus« funktioniert aber auch als in sich geschlossene Miniserie.

Mikael Persbrandt als Helmer Jr. in »Geister« von Lars von Trier | © Zentropa Henrik Ohsten
Mikael Persbrandt als Helmer Jr. in »Geister« von Lars von Trier | © Zentropa Henrik Ohsten

Alles beginnt mit Karen, die sich noch in derselben Nacht, in der sie die ersten acht Folgen der Serien gesehen hat, vor dem Reichskrankenhaus wiederfindet. Das ist die legendäre Klinik, in der die ersten beiden Staffeln spielen, errichtet auf den Sümpfen Kopenhagens, wo einst die Färber ihre Wäsche spülten, dann aber die Ärzte und Wissenschaftler einzogen, um alles Spirituelle mit Erkenntnis, Aufklärung und Rationalität auszutreiben. Doch inzwischen tun sich »Ermüdungsrisse in dem so modernen und scheinbar soliden Gebäude« auf, wie wir im Intro zu jeder Folge erfahren und durchaus als spitzen Kommentar des dänischen Regisseurs auf die vermeintlichen Risse im Mauerwerk der wissenschaftlichen Leuchttürme verstehen können, die Klimawandelleugner, Impfgegner und andere Erleuchtete ausgemacht haben wollen.

Bodil Jørgensen als Karen in »Geister« von Lars von Trier | © Zentropa / Christian Geisnæs
Bodil Jørgensen als Karen in »Geister« von Lars von Trier | © Zentropa / Christian Geisnæs

In den heiligen Hallen des Rigshospitalet taucht Karen Svensson also eines Abends auf und fragt entschlossen nach Frau Drusse. Nach der habe sich schon Jahrzehnte niemand mehr erkundigt, kommentiert der Nachtwächter amüsiert, nur um sich kurz darauf aufzuregen, dass die ohnehin nur ein Hirngespinst von diesem Idioten Trier gewesen sei. Tatsächlich gehört Frau Drusse und das Riesenbaby Brüderchen zum Inventar der ersten beiden Staffeln, ebenso wie der schwedische Oberarzt Helmer, der seinen Dänenhass genüsslich zelebrierte, sein ärgster Widersacher und Eigenbrötler Jørgen Krogshøj, Klinikdirektor Bob, der alles andere als die Klinik führt, die Schwestern Camilla und Laura und viele andere mehr.

Mikael Persbrandt (Helmer Jr.) in »Geister« von Lars von Trier | © Zentropa / Christian Geisnæs
Mikael Persbrandt (Helmer Jr.) in »Geister« von Lars von Trier | © Zentropa / Christian Geisnæs

Einigen davon begegnet man auch in der abschließenden, von einem absurden Duo erzählten dritten Staffel wieder. Bei den beiden Hauptfiguren Frau Drusse und Stig Helmer, gespielt von den mittlerweile verstorbenen Darsteller:innen Kirsten Rolffes und Ernst-Hugo Järegard, ist das allerdings nicht möglich. An ihre Stelle treten mit Karen Svensson (Bodil Jørgensen) und Helmer Jr. (Mikael Persbrandt), die bewundernswert durch diese Staffel führen. Karen Svensson findet aufgrund ihrer Schlafprobleme Aufnahme in der Klinik und in dem Chirurgen Filip (Nikolaj Lie Kaas) einen ehrgeizigen Mediziner, der sich nicht scheut, maximalinvasiv vorzugehen. Im Keller der Klinik sucht sie mit Glöckchen um den Hals nach ihrem Brüderchen (Udo Kier), begibt sich in die nassen Sümpfe der ursprünglichen Spukgeschichte, um ihr im Finale den Stecker zu ziehen.

Jesper Sørensen als Lillemand in »Geister« von Lars von Trier | © Zentropa / Christian Geisnæs
Jesper Sørensen als Lillemand in »Geister« von Lars von Trier | © Zentropa / Christian Geisnæs

Helmer Jr. wird von seinen Kolleginnen nur scherzhaft Halmer gerufen, weil er nur ein halber Helmer sei. Nichts desto trotz trägt er den ganzen Furor seines Vaters in sich und flucht beständig über die Dänen. Zu allem Ärger muss er sich den Chefarzt-Posten in der Neurologie mit dem eigenwilligen Pontopidan (Lars Mikkelsen) teilen, der früh dafür sorgt, dass Halmer seine Würde im Keller abgeben muss. Dort trifft sich im Verlauf der fünf Stunden auch immer wieder ein verschworener Kreis der »anonymen Schweden«, die Helmer Jr. in seiner wachsenden Rage zu einem »Unternehmen Barbarossa« anstiften will, um den Dänen all die Demütigungen zuteilwerden zu lassen, die er selbst erlitten hat. Dazu gehört auch, dass die Asche seines Vaters »so schwedisch wie möglich« in einem Tetra-Pack verscharrt wurde.

Lars Mikkelsen als Pontopidan in »Geister« von Lars von Trier | © Zentropa / Christian Geisnæs
Lars Mikkelsen als Pontopidan in »Geister« von Lars von Trier | © Zentropa / Christian Geisnæs

Zu diesem Selbsthilfeverein dabei auch Krankenschwester Anna (Tuva Novotny), die Helmer Jr. immer wieder in pikante Situationen führt, um sich dann umgehend an ihren schwedischen Anwalt zu wenden, der gleichermaßen Helmers Anwalt ist. Gespielt wird dieser bewundernswerte Wendehals von Alexander Skarsgård, der damit die Rolle von seinem Vater Stellan Skarsgård übernimmt. Dazu gibt es eine Handvoll skurriler Nebenfiguren, die der neuen Staffel zusätzlich Leben einhauchen.

Die dritte Staffel von »Geister« überzeugt vor allem in ihrem wahnwitzigen Sinn für Humor und Zwischentöne. Wer hier den haarsträubenden Grusel der ersten beiden Folgen sucht, wird enttäuscht aus dem Kinosaal gehen. Aber Lars von Trier hat gar kein Interesse, dem Horror der Gegenwart eine wie auch immer geartete Fantastik entgegenzusetzen. Zwar gibt es hier eine Doppelgänger-Erzählung, die die Spiegelung von Klinik und Sumpf, Diesseits und Jenseits, Gut und Böse aufgreift und in der Figur eines Grand Duc (Willem Dafoe) einen teuflischen Antipoden, aber ein besonderer Horror entsteht daraus nicht. Das ist alles längst überholt. Der Horror scheint auserzählt und von der Wirklichkeit abgelöst.

Tuva_Novotny (Anna), Alexander Skarsgård (Schwedischer Anwalt) und Mikael Persbrandt (Helmer_Jr.) in »Geister« von Lars von Trier | © Zentropa / Christian Geisnæs
Tuva_Novotny (Anna), Alexander Skarsgård (Schwedischer Anwalt) und Mikael Persbrandt (Helmer_Jr.) in »Geister« von Lars von Trier | © Zentropa / Christian Geisnæs

Das Vergnügen findet hier auf einer anderen Ebene statt. Lars von Trier reinsziniert genüsslich das 90er-Jahre Look and Feel der ersten beiden Staffeln, aus denen zentrale Szenen in Schwarz-Weiß-Schnipseln immer wieder kurz aufblitzen, um personelle oder motivische Bezüge freizulegen. Ginge es nur darum, wäre das l’art pour l‘art, deshalb macht die dänische Regieikone etwas Anderes. Im schrammeligen Dekor der in jedem Sinne aus der Zeit gefallenen Klinik platziert er einige süffisante und vollkommen überdrehte Kommentare auf aktuelle Debatten.

Birthe Neumann (Frau Svendsen), Nicolas Bro (Balder), Nikolaj Lie Kaas (Naver) in »Geister« von Lars von Trier | © Zentropa / Christian Geisnæs
Birthe Neumann (Frau Svendsen), Nicolas Bro (Balder), Nikolaj Lie Kaas (Naver) in »Geister« von Lars von Trier | © Zentropa / Christian Geisnæs

So führt Helmer Jr. gleich zu Beginn die genderneutrale Führung der Patientenaktien ein, was infolge zu einer folgenschweren Verwechslung im OP-Saal führen wird, in die auch Karen Svensson verwickelt sein wird. In dem Verhältnis von Halmer und Schwester Anna verhandelt er sarkastisch die Debatten um das Verhältnis der Geschlechter, um einvernehmlichen Sex und Männlichkeitsbilder. Die Hybris der Götter in Weiß bekommt hier ebenso ihr Fett weg wie nationalistische Brandstifter, sie alle werden als absolut lachhafte Figuren vollkommen demaskiert. Zuweilen fühlt man sich an Anders Thomas Jensens Komödien (»Flickering Lights«, »Dänische Delikatessen«, »Men & Chicken« erinnert. »Geister – Exodus« ist eine beißende Satire über das menschliche Miteinander, die kein Auge trocken lässt.

Eitelkeit treibt die Welt an, erklärt Lars von Trier, der es sich wie schon in den ersten Folgen nicht nehmen lässt, als Macher dieser Filme das Geschehen im Abspann zu kommentieren und einzuordnen. Nur steht er diesmal nicht vor, sondern hinter dem roten Vorhang, einzig die schwarzen Lackschuhe ragen darunter hervor. Die 25 Jahre seit den Dreharbeiten der alten Episoden hätten eben Spuren hinterlassen, mit dem »unerträglich großspurigen« Typen von damals könne er nicht mehr mithalten.

Lars von Trier während der Produktion von EXODUS | © Casper Sejersen

Die dritte Staffel »Geister« hingegen muss sich hinter keinem Vorhang verstecken, ganz im Gegenteil. Endlich fällt er ein letztes Mal, um den Blick auf fünf Stunden bestes dänisches Kino voller Witz, Sarkasmus, Einfallsreichtum und Absurdität freizugeben. Das Halbfertige ist nun fertig und grandios überdreht. Gehen Sie ins Kino, lehnen Sie sich zurück und seien Sie bereit für das Gute und das Böse!

Lars von Trier: Geister – Exodus. Plaion Pictures 2023. 306 Minuten.