Warum tragen Apfelbäume nicht keine Äpfel? Und warum ist die Erde nicht der Mittepunkt von allem? Und was hält die Welt im Innersten zusammen? Schwer zu sagen? Ralf König erklärt es in seinem neuesten Werk »Prototyp«.
Ein Prototyp ist laut Definition ein Vorab-Exemplar einer späteren Serienfertigung, welches zur Erprobung der wesentlichen Eigenschaften dient. Fragt man hingegen Ralf König, einen der bekanntesten deutschen Comicmacher, bietet er die wohl kürzeste Deutung des Begriffs Prototyp an: »Adam!«, würde seine Antwort lauten. »Adam? Welcher Adam? Der Adam?«, würde der verdutzte Hörer dieser Deutung wohl fragen. »Ja, der Adam!«, würde König ohne jede Aufregung antworten.
Prototyp heißt auch Königs Version der biblischen Schöpfungsgeschichte, die kürzlich im Rowohlt-Verlag erschienen ist. Mit Fug und Recht kann man behaupten, dass sich das Verlagshaus alle Mühe gegeben hat, den witzig-provokanten Inhalt dieses Bandes möglichst fromm zu verpacken. Zwischen zwei schwarzen, goldfarben bedruckten Hardcover-Bänden finden sich die König’schen Schöpfungs-Episoden, von denen einige schon in der französischen Satirezeitschrift Fluide Glacial sowie in der FAZ erschienen sind. Neben diesen stehen fast zwanzig zusätzliche Szenen, die Prototyp zu einer abgeschlossenen Erzählung machen.
Über die biblische Schöpfungsgeschichte muss hier wohl kein Wort verloren werden, die ist jedem mehr oder minder in die Wiege gelegt. König wandelt sie nur in den Details ab und spitzt sie pointiert zu. So entspinnt er einen regen Dialog zwischen dem allmächtigen Gott – der in Prototyp in gotischen Lettern daherkommt – und der gehörnten Schlange Luzifer. Bereits in diesem Austausch, der von ironisch-lachhaft über kritisch bis hin zu flehend sämtliche Töne anschlägt, macht König deutlich, dass er nicht nur ein hervorragender Zeichner, sondern auch ein kluger und erstklassiger Texter ist.
Adam ist als wirklicher Prototyp entworfen, ein Erstling mit allerlei Nachbesserungsbedarf. Dies geschieht auch im Laufe dieser doch sehr speziellen Geschichte der Menschheitsschöpfung. Zunächst völlig ohne Intellekt ausgestattet, grunzt sich Adam durch das Paradies. Als Luz Gott darauf hinweist, dass ein solches verhalten doch etwas armselig für ein gottgleiches Ebenbild sei, experimentiert der Herr über alle Dinge an Adams Körperfunktionen herum. Und wenn ein »König der Schwulenszene« Gott an seinem nackten Ebenbild tüfteln lässt, kann dies nur anstößig oder höchst komisch sein: »Ist das gut?! Sag!!! Ist das jetzt richtig gut?! Gefällt dir das?! Ich weiß, was Du brauchst! Von mir kriegst du’s richtig, du….«, dröhnt der eigentlich doch so uneitle Gott, als er dem wonnig leidenden Adam die Funktion seines Gemächts nahe bringt.
Nach den basalen Körperfunktionen nimmt sich Gott auf Bitten der teuflischen Schlange das Denkvermögen vor, was in Königs Band ordentlich nach hinten losgeht. Aus dem grunzenden Adam wird ein intellektuelles Schwergewicht, der sich schon schnell die existenziellen Fragen stellt und Gott sowie dessen ständigen Begleiter Luz(-ifer) in Zweifel zieht. Die spezielle Philosophie über Erkenntnis, Willensfreiheit, Logik, Sünde und Keuschheit in diesem Comic lässt keinen Lachmuskel entspannt und kein Auge trocken.
Wenn sich der Leserbetrachter während des Konsumierens von Prototyp an Galilei, Kant, Nietzsche, Einstein oder Newton, aber auch an die Klassiker der Philosophie wie Platon oder Sokrates erinnert fühlt, ist dies keineswegs aus Zufall so. Inwiefern hier Königs Tätigkeit im Beirat der Giordano-Bruno-Stiftung ihren Einschlag nimmt, kann nur vermutet werden. Man hätte allerdings ein besseres Gefühl beim Lesen, wenn diese religiös-philosophische Diskussion ohne sein Mittun in besagter Stiftung entstanden wäre. So bleibt bei allem Witz ein leicht fader Beigeschmack.
Ralf König ist einer der meistgelesenen Comiczeichner Deutschlands. Der im westfälischen Soest geborene Zeichner begann damit, Comics über das Leben in der homosexuellen Subkultur zu kreieren. Mit Der bewegte Mann gelang ihm schließlich der Durchbruch auf dem Comicmarkt, national wie international. Schon 1990 wurde er im französischen Grenoble als bester deutscher Comiczeichner geehrt, eine Auszeichnung, die die deutschen Kritiker auf dem Comicsalon in Erlangen 1992 nachholten. Überhaupt, in fast allen großen Heimatländern des Comics, wo diese literarisch-zeichnerische Gattung schon lange nicht mehr in den Schmuddelecken der Buchhandlungen gesucht werden muss, sondern ganz vorn in den Schaufenstern mit Stolz präsentiert wird, hat König beachtliche Erfolge gefeiert. In Barcelona erhielt er die Auszeichnung als Bester internationaler Comic-Zeichner, im französischen Angoulême bekam er den Prix Alph’Art für das Beste Szenario und in Italien den Preis für das beste Szenario.
Seine jetzt vorliegende Variante der Schöpfungsgeschichte hat zum Teil empörte Reaktionen – insbesondere bei der FAZ-Leserschaft – hervorgerufen, einige Leser kündigten sogar das Traditionsblatt aufgrund der Zeichnungen Königs – obwohl er zum ersten Mal, wie er selbst bekennt, mit Prototyp so »gar nichts Schwules« geschaffen hat. Doch derlei radikale Erwiderungen hindern ihn nicht daran, seine Meinung zu äußern. Dies zeigte er nicht zuletzt auch mutig während des Karikaturenstreits, auf den er nicht, wie viele seiner Kollegen, mit Rückzug reagierte, sondern dem er eigene Karikaturen und Strips entgegensetzte. »Wenn der Westen da nicht gegenhält und seine demokratischen Werte ohne Wenn und Aber und Entschuldigungen verteidigt, ist’s bald vorbei mit Presse- und Meinungsfreiheit«, so König zu seinen satirischen Repliken zum Karikaturenstreit. Für diesen mutigen Schritt wurde er 2006 auf dem Comicsalon in Erlangen mit einem Spezialpreis ausgezeichnet.
Wenn König nun mit Prototyp eine schöpfungsgeschichtliche Persiflage vorlegt, ist dies eine Fortsetzung seiner grundsätzlichen Auseinandersetzung mit religiösen Dogmen. Ihm geht es nicht um die Religion an sich oder die Art der Religion, sondern um die angebliche Unumstößlichkeit von Vorschriften und vorgefertigten Lebensbildern. Es ist Königs tolerante Haltung, die prototypisch aus diesem Werk, wie auch aus allen anderen spricht. Dies tut sie höchst witzig, höchst amüsant und höchst klug. Ein herausragender Comic!
[…] hatte empörte Reaktionen hervorgerufen. Als Sommervertretung veröffentlichte Ralf König die in Prototyp versammelten religionskritischen Strips vorab in der FAZ, was dazu führte, dass einige Leser dem […]
[…] selbstgerechte Vertreter Gottes auf Erden einem zuweilen die Freude am Leben verhageln. Waren der Prototyp und der Archetyp noch historische Gestalten, ist der Antityp eine historisch verpackte Zeitkritik, […]