Interviews & Porträts, Literatur, Roman

»Eine Welt menschlicher Literatur«

Taiye Selasi | Foto: Thomas Hummitzsch

Die Schriftstellerin Taiye Selasi eröffnete im Haus der Berliner Festspiele mit einer beeindruckenden Rede zur Frage, ob Literatur nationale oder kontinentale Kategorisierungen braucht, das 13. Internationale Literaturfestival in Berlin.

Es ist zum Reflex eines sich permanent drehenden Literaturkosmos geworden, Autoren mit ihren Geschichten in einen engen Zusammenhang zu setzen. Da werden Biografien gewälzt und Erlebnisexegese wird betrieben, um verdeckte Motive von Schriftstellern für ihr Schreiben und ihre Art zu schreiben zu heben.

Die in London geborene und in Amerika aufgewachsene Schriftstellerin mit nigerianischen und ghanaischen Wurzeln Taiye Selasi setzte diesem Habitus von Verlagen und Kritikern zum Auftakt des Internationalen Literaturfestivals Berlin ein Plädoyer entgegen, in dem sie für einen Blick auf die Literatur warb, der sich von den Autoren löst und stärker ihre Werke in den Blick nimmt. Ausgangspunkt der furiosen, weil gleichermaßen ernsthaft wie locker gehaltenen, Rede der Schriftstellerin – aktuell eine der gefragtesten Stimmen in der englischsprachigen Literaturwelt – ist der Umgang von Verlagen und Journalisten mit ihrem eigenen Werk.

Ihren Blick musste Selasi dabei nicht in die Ferne lenken. Gerade ist ihr erster Roman »Ghana must go« in deutscher Übersetzung im S. FISCHER Verlag erschienen. Darin erzählt sie überaus poetisch und kraftvoll die Geschichte einer über die Welt verteilten Familie, die nach vielen Jahren der Trennung wieder zusammenfindet, um festzustellen, »dass die Welt zu offen ist, weit offen, wie ein Ozean«, in der das Schiff des eigenen Lebens ins Strudeln gerät. Dies stellen die Protagonisten ihres fulminanten Debütromans erst fest, als sie zurückkehren an den Ort ihrer Herkunft, Ghana. Erst wenn diese Herkunft verstanden und losgelassen werden kann, können sie verstehen, wer sie sind. »Ghana must go« dreht sich um die Suche nach Identität und Zugehörigkeit, nach Liebe und Familie, nach Glück.

Hinweise auf den Originaltitel sucht man auf dem Buchdeckel der deutschen Ausgabe jedoch vergeblich. »Diese Dinge geschehen nicht einfach so« heißt der Roman in der von Adelheid Zöfel sensibel übertragenen Ausgabe. Der herausgebende Verlag wollte es so; schließlich handele es sich nicht um so einen »afrikanischen Roman«, in dem es um Armut, Krieg und so weiter gehe, erinnert sich Taiye Selasi an die Begründung ihres deutschen Verlegers. »Ich liebe meinen deutschen Titel, aber ich hasse die Gründe, dass es ihn braucht«, sagt Selasi zur Entscheidung ihres deutschen Verlegers.

In dieser Aussage liegt der Kern ihres Themas: Braucht es nationale oder kontinentale Kategorien? Dies betrifft Romane ebenso wie ihre Autoren. Denn was heißt es eigentlich, wenn wir von einem afrikanischen Roman sprechen, fragte Selasi im Haus der Berliner Festspiele. Seien das Romane von Autoren, die in Afrika geboren seien, aber im Ausland leben? Oder Bücher von Schriftstellern, die im Ausland geboren seien, aber in Afrika leben? Ist Teju Cole, der in den USA geboren, in Nigeria aufgewachsen und nun wieder in den USA lebt, ein afrikanischer Autor? Oder William Boyd, der in Ghana geboren und in Schottland zur Schule gegangen ist, seine Ferien aber in verschiedenen afrikanischen Ländern verbracht hat und heute in London lebt? Oder Taiye Selasi selbst, deren Verbindung nach Afrika in der Vita ihrer Eltern besteht, deren erstes Buch aber in Ghana spielt? Können Bücher, die »afrikanische Themen« behandeln – was immer man darunter auch verstehe – oder in denen die Menschen, um die es geht, afrikanisch sind, ihre Autoren zu »afrikanischen Stimmen« oder »Stimmen Afrikas« machen?

Taiye Selasi: Diese Dinge geschehen nicht einfach so. Aus dem Englischen von Adelheid Zöfel. S. Fischer Verlag 2013. 400 Seiten. 21,99 Euro. Hier bestellen.

Fragen über Fragen schickte Selasi, untermauert mit zahlreichen Beispielen aus der Autorenwelt, von Emile Zola bis zu Edward Said, ins Publikum, dem die Absurdidät der kontinentalen Kategorisierung schnell bewusst wurde – zumal Afrika der einzige Kontinent ist, der eine eigene, irgendwie zusammenfassbare Literatur hervorzubringen scheint. Denn eine südamerikanische oder nordamerikanische, eine europäische oder asiatische Literatur ist nicht bekannt. Und was ist das eigentlich für ein Afrika, dass da in den Köpfen herhalten muss, um Eigenschaften zu produzieren, die plötzlich Bücher und Autoren charakterisieren? Es könne ja wohl kaum das reale Afrika mit seinen über 4.000 Sprachen und Idiomen, hunderten Ethnien, fast ebenso vielen Weltanschauungen und den über fünfzig Nationen sein.

Der Schriftsteller Binyawanga Wainaina schreibt in seinem satirischen Essay »How to write about Africa« über das Afrikabild, das in den Köpfen der Menschen hängt: »Behandeln Sie Afrika in ihren Texten ruhig, als wäre es ein einziges Land. Dieses Land ist heiß und staubig mit sanften Wiesen und riesigen Tierherden, in dem große, dünne Menschen leben, die hungern. Oder es ist heiß und schwül mit sehr kleinen Menschen, die Primaten essen. Verzetteln Sie sich bloß nicht mit genauen Beschreibungen. Afrika ist groß: 54 Länder mit 900 Millionen Menschen, die zu beschäftigt sind mit hungern und sterben und Krieg führen und auswandern, um Ihr Buch zu lesen. Der Kontinent ist voll von Wüsten, Dschungeln, Hochländern, Savannen und viele andere Dingen, aber Ihren Lesern ist das alles egal. Also bleiben Sie bei Ihren romantischen, stimmungsvollen und ungenauen Beschreibungen.

Hier wird ein wunder Punkt berührt, der viel mit dem immer noch existierenden kolonialen Bild zu tun hat, dass der Westen von Afrika hat. Denn die Erfindungen einer »afrikanischen Literatur«, von »afrikanischen Stimmen« und »afrikanischen Autoren« ignoriert vollkommen die Vielfalt und Diversität, die der Kontinent bietet. Während mit Blick auf die Literatur in Europa nie von einer europäischen Literatur, sondern von einer russischen oder französischen Literatur die Rede ist, wird nie von einer senegalesischen oder ugandischen Literatur gesprochen, sondern immer nur von einer afrikanischen. Afrikanische Literatur ist ein willkürlicher Begriff, dessen sich der Kunstbetrieb mal aufgrund afrikanischer Wurzeln der Autoren oder aufgrund bestimmter Inhalte bedient. Der Begriff »afrikanische Literatur« ist entweder eine heillos überfrachtete oder eine inhaltsleere Charakterbeschreibung, die am Ende nichts hinterlässt, als das Klischee.

Dieses Klischee muss überwunden werden, fordert Selasi. Dazu braucht es nicht konkretere Blicke auf die Autoren und ihre Herkunftsgeschichten, sondern ein Blick auf die Literatur. »Alles, was zählt, sind die Worte, die wir schreiben, und die Eigenschaft, dass wir uns in Menschen hineinversetzen, die wir nicht sind und deren Erfahrungen wir nicht gemacht haben.« Es sind der Ton und die Form, die ein Autor gefunden hat, die der Literatur einen Namen geben sollten. Bei Musik ist das meist schon der Fall, daran sollte sich der Literaturbetrieb ein Beispiel nehmen, erklärte Taiye Selasi. »Wir sollten aufhören, Literatur nach Ländern zu ordnen, und anfangen, die Inhalte für sich sprechen zu lassen.« Dies würde dazu beitragen, dass das Klischee in den Hintergrund und der Mensch mit seinen Fragen an das Leben in den Vordergrund tritt.

Ein Welt menschlicher Literatur, ist das nicht eine heillos verträumte Utopie? Sicher, schmunzelt Taiye Selasi. »Aber wenn Literatur nicht utopisch ist, dann weiß ich nicht, was sonst.«

Mehr unter www.taiyeselasi.com

2 Kommentare

  1. […] Form, er vertraut dem assoziativen Gefüge seiner Erinnerungsfetzen, dem »Vieldinggesplitter«, wie es der kenianische Journalist Binyawanga Wainaina in seinen Memoiren nennt. Er stellt sie schlicht nebeneinander, Rücken an Rücken, wenn man so will, wie diese beiden […]

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